[maria]

Maria wartete auf dem Bürgersteig in der Rosenthaler Straße und ich kam von einem der Spreestrände am Ostbahnhof, von der Firmenfeier, und hatte den Umweg durch das Klosterviertel genommen weil ein Taxifahrer neulich diesen Umweg gefahren war, als ich aus Kreuzberg nach hause musste und während jener Fahrt kam ich drauf, dass das gar kein Umweg ist, sondern schlicht die schönere Route, und so torkelte ich auf dem Fahrrad durch diese eigenartige historische Kulisse: Stralauer Straße, Spandauer Straße, merkwürdiges Stück Stadt, so vollkommen aus dem Zusammenhang geholt, und wenn ich nachts betrunken durch diese Stadt fahre, dann werde ich ja immer ungemein ehrfürchtig, so mit dramatischer Musik im Kopf und den Bildern der historischen Momente (meist Bombennächte oder der kalte Krieg in einer plakativen Größe die mir immer die Sicht nimmt) vor Augen, so auch gestern, ich feierlich betrunken auf der Spandauer Straße, geblendet und kopflos, da packte ich mich hin, ich weiß nicht mehr warum, das Gleichgewicht vermutlich, und donnerte mit lautem Krach in die Gosse, dass mir heute noch die Knochen schmerzen, doch raffte ich mich gleich auf, die Schmerzen würde ich erst nach dem Ausschlafen spüren und die Stadt war um diese Uhrzeit so leer, niemand würde mir zu Hilfe eilen wenn ich noch lange im Graben liege und wimmere, dann zwei Ecken weiter, in der Rosenthaler Straße, stand Maria auf dem Bürgersteig und rief mir zu: „hey du schicker Typ im schicken weißen Anzug, wie wäre es mit uns beiden?“ Worauf ich ein wenig die Haltung verlor, auf meinen Anzug hinunterschaute und mir dachte: „Scheiße Du trägst ja diesen weißen Anzug“ und spontan fiel mir in diesem Zusammenhang der Sturz ein und dann sah ich auch schon meine ganze rechte Körperhälfte, oder Anzugshälfte eben, eingeschwärzt. Ich hatte angehalten und dachte über meinen Anzug nach, Maria stand neben mir, fragte, ob ich nicht noch wolle. Ich lachte und antwortete: nein es tut mir leid, ich bin vergeben, das schickt sich nicht, und sie sagte, das sei egal, die Frau zuhause würde ja nichts davon erfahren und griff mir dabei mit der Hand in den Schoß, und ich sagte, ach laß das sein bitte, das bringt nichts, und sie sagte, dochdoch, sie sei um diese Uhrzeit auch nicht mehr so teuer. Sie knetete an meinen Dingern und ich fragte: wie heißt Du? Und sie sagte: Maria. Und ich sagte: Maria, Du bist schön, aber ich will jetzt gehen. Sie sagte: ach bitte. Und ich sagte: Nein, tut mir leid. Und sie: ach bitte. Und ich: Nein sorry. Und sie: ach bitte.
Ich verabschiedete mich mit einem freundlichen Gruß. Zehn Meter weiter hallte ihr Flehen nach und ein tiefes Schuldgefühl erfasste mich. Ich drehte um und sagte: sorry Maria, ich wollte Dich nicht abweisen, tut mir leid. Und sie sagte, das ist gut, ich koste nur noch achtzig heute. Und ich sagte: nein, so meinte ich das nicht. Und sie sagte: was meinst Du dann? Und ich sagte: ich weiß es nicht.
Wir standen ein bisschen da. Und sie sagte: komische Nacht heute. Und ich sagte: ja, vermutlich.