Heute traf ich Fede. Sie ist seit Juni in Europa und verbringt noch die Hälfte der Woche in Berlin, bevor sie nach Bremen weiterzieht und schliesslich nach Wageningen in den Niederlanden. Von dort aus, wird sie nach Mexiko zurückfliegen. Sie hat ihren zwölfjährigen Sohn schon seit 6 Monaten nicht mehr gesehen. Sie freut sich darauf.
Federica gastiert in einer riesigen Künstlerwohnung in der Bülowstrasse. Mir sind die Wohnverhältnisse nicht ganz klar. Die Hauptmieterin wohnt eigentlich in Potsdam und hält ihr Zimmer zugesperrt. Dafür wohnt eine ältere Künstlerin aus Bayern in einem der grossen Zimmer. Im Zimmer nebenan wohnt eine junge Frau mit einem Hund, die aber auch nur zu Besuch zu sein scheint. Fede schläft im designierten Gästezimmer, einem schmalen Raum mit einem Fenster und einem Bett. Das Wohnzimmer ist mit Kunst und Künstlerbedarf vollgestellt. Farbeimer, Holz, Bilderrahmen, angefangene Gemälde, Textilien, viele Textilien. Darunter erkennt man Sofas. Der Gemeinschaftsraum ist deswegen die Küche, ein kleiner Raum am Ende der Wohnung. Es können dort nur drei Menschen an einem kleinen Tisch sitzen. Der Raum ist mit Küchenutensilien vollgestellt. Und überall stehen Marmeladegläser, Einweckgläser und Behälter mit Kräuter. Für uns beide reicht der Platz. Am Küchentisch hat sie ihren Arbeitsplatz eingerichtet. Dort stickt sie für die bayrische Künstlerin Halsreifen. Sie stanzt und näht und fädelt, während sie mir ihre Lebensgeschichte erzählt. Wir wohnten bis zur Räumung der Lange Nieuwstraat am 6.8.1997 zusammen, danach zog sie in ein besetztes Schulgebäude in der Lanslaan und ich zog mit einer Gruppe radikaler Veganer in den Kruisweg, einem legalisierten Haus nördlich der Utrechter Innenstadt. So verloren wir uns aus den Augen. Schliesslich zog sie zurück nach Italien und wir sahen einander nicht wieder.
Das ist 27 Jahre her.
Es war lustig, sie wieder zu sehen und wir hatten jede Menge Gesprächsstoff. Vorherrschendes Thema bei ihr ist der Tod ihres Ex-Mannes. Sie waren ein frischverliebtes Paar, sie kannten einander gerade einmal 18 Monate. Er kam aus England und wohnte teils in seinem Heimatland und teils in Mexiko. Er stammte aus englischen aristokratischen Verhältnissen, litt unter Depressionen und nahm sich schliesslich vor zwei Jahren das Leben. So weit so tragisch.
Nach seinem Tod wurde Fede von einer Frau über Social Media angeschrieben. Diese Frau war Patientin einer Krankenschwester eines nordenglischen Krankenhauses. Bei dieser Krankenschwester handelte es sich um die Ex-Frau des Verstorbenen. Die Patientin wurde von der Krankenschwester in einen Plan eingeweiht, um bei ihrem Ex-Mann den Tod herbeizuführen. Der Plan sah im Groben vor, die Medikamente des Ex-Mannes zu manipulieren und ihn durch therapeutische Gespräche einen Ausweg aus dem Leben durch Suizid aufzuzeigen.
Letztendlich wurde der Mann schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht, auf die Station seiner Ex-Frau während sie die Schicht leitete. Wo er in ihren Armen verstarb.
Die Patientin konnte den Plan anhand Chatverläufen mit der Krankenschwester beweisen. In den Wochen nach dem Tod, meldeten sich weitere fremde Menschen bei Fede, die allesamt den einfachen Suizid ihres Mannes anzweifelten. In den Gesprächen mit diesen Menschen stellte sich heraus, dass die Ex-Frau von allen als gefährliche Person oder Psychopatin beschrieben wurde.
Mittlerweile ist die Polizei eingeschaltet und es wird ermittelt.
Die Ex-Frau unterhält auf Insta und TikTok einen Kanal, in denen sie sich als Schamanin und als Hexe inszeniert. Die Ermittlungen halten sie nicht davon ab, sich zurückzuhalten. Sie ist eine schöne, auffällige Frau mit wilden, blonden Haaren und grossen Lippen. Sie führt Monologe, in denen sie erzählt, wie Hexen früher Phalluse in Gläsern hielten und wie schade es sei, dass es diese Tradition heute nicht mehr gäbe. Das kann man als lustigen oder harmlosen Goth-Content auf Socialmedia abtun. Hier bekommt das allerdings einen seltsamen Kupfergeschmack. Fede zeigt mir Videos wo die Frau in Insta-Stories sich offensichtlich an sie wendet und sagt, sie solle in Mexiko bleiben und sich um ihren eigenen Kram kümmern. Sie schwafelt von Liebe und ewigen Verbindungen, die sie als einfaches Mädchen niemals nachempfinden könne.
Diese ganze Geschichte ist auch einer der Gründe, warum sie sich seit 6 Monaten in Europa aufhält. Sie fliegt natürlich alle paar Wochen nach Birmingham.
Dazu schenkte sie mir Pasta e Fagioli ein.
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