Ein unfassbar produktiver Tag. Neben Haushalt (Wäsche waschen, Wäsche aufhängen, Wäsche wegräumen, Boden wischen, einkaufen …) habe ich auch viele Bewerbungen gefunden und rausgeschickt, mit Headhuntern kommuniziert, meinen Lebenslauf überarbeitet, alle meine Strafzettel bezahlt und sogar mit Österreich telefoniert wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung in Kärnten, die ich bereits bezahlt hatte. Ich fand sogar Zeit, kurz nach Mittag eine Stunde Schlaf nachzuholen und 50 Seiten aus einem Buch zu lesen. Als meine Frau nach Hause kam, hatte ich das Abendessen fertig zubereitet und diesmal sogar hinter mir her aufgeräumt, was ich sonst immer erst nach dem Essen mache. Unfassbar. Dabei habe ich die zwei obligatorischen Gassirunden mit der Hündin (zwei Stunden) noch gar nicht auf das Konto eingepreist. Allerdings ging ich nicht zum Sport, das passte dann doch nicht mehr in den Zeitrahmen.
#
Am Abend war ich mit meiner Nachbarin, die Tür an Tür mit uns wohnt, verabredet. Wir wollten schon länger einmal etwas trinken. Da ich letzte Woche ihre Novelle las und ihr schrieb, wie gut sie mir gefallen hat, lud sie mich kurzerhand zu sich in die Wohnung ein. Sie trinkt keinen Alkohol, was ich als willkommenen Anlass nahm, selber nichts zu trinken. Dafür servierte sie Tee. Es ist mit Tee immer das Gleiche: Ich habe nie Lust auf Tee, weil ich mir darunter immer ein heisses Wässerchen mit etwas Geschmack vorstelle. Wenn ich dann aber Tee trinke, geniesse ich es wirklich, es ist immer eine fremde Erfahrung für mich, immer wieder, wenn ich Tee trinke statt Kaffee oder Alkohol, komme ich mir wie in einer fremden Welt vor, etwas asketisch vielleicht, aber die Erfahrung ist immer positiv. Ich verstehe nicht, warum ich selbst nie auf die Idee komme, mir Tee zu kochen. Es ist wie mit Äpfeln. Ich habe nie Lust auf Äpfel. Wenn ich dann aber in einen Apfel beisse, macht es mich auf eine ganze simple Art glücklich. Allerdings ohne den Effekt der fremden Welt, den Tee immer noch in mir auslöst. Den kann ich mir nicht erklären.
Meine Nachbarin lebt als Transgender. Dabei kenne ich sie noch aus der Zeit, bevor sie ihre Transition begann. Ich stellte oft Fragen, bei denen ich mich sofort für die Indiskretion entschuldigte, weil mich das Thema auf der persönlichen und privaten Ebene sehr interessiert, Fragen, deren Antworten ich auch später hätte nachlesen können, aber wenn die Fragen während des Gespräches in mir aufkommen, interessieren sie mich zu brennend, als dass ich sie aufschieben möchte, ausserdem erlaubt die direkte Konversation weitere Nachfragen oder weiteren Austausch dazu. Sie fand meine Fragen aber immer in Ordnung. So wollte ich wissen, wie man beispielsweise auf die Idee kommt, mit Mitte fünfzig immer noch eine Transition zu beginnen, oder auch Fragen zum Orgasmus nach einer Hormontherapie oder überhaupt, wie die Frau und die Kinder darauf reagierten und damit umgingen. Es war ein sehr schöner Abend, an dem wir über viele existenzielle Themen sprachen.
Ihre Novelle ist autobiografisch und handelt von der Zeit im Internat als dreizehnjähriger Junge in einer bedrückenden Lage zwischen der Liebe zu einem Mitschüler, der Entdeckung der eigenen Sexualität und dem sexuellen Missbrauch durch einen der Mönche. Dabei wird der Text nie deprimierend, er ist von der Neugierde getrieben, von der Entdeckung der Möglichkeiten, auch der Entdeckung des Andersseins und der Suche nach Verbündeten, nach dem eigenen Weg.
Da ich in meiner frühen Jugend auch zwei Jahre in einem Internat untergebracht war, tauschten wir uns auch über die Erfahrungen aus. Ich kannte vieles aus jener Geschichte, wie wir alle unsere Sexualität entdeckten bei gleichzeitiger totaler Abwesenheit von Mädchen. Die Jungs aus der Klasse, die über den Sommer grosse Penisse bekommen hatten, und jene Jungs, die noch nicht in die Pubertät eingetreten waren. Wie wir in der Gruppe wichsten oder wie man im Schlafsaal beim Masturbieren immer leise sein musste, bei diesen quietschigen Metallpritschen, die jede Bewegung akustisch verstärkten. Die Berührungsängste unter Jungs waren damals nicht sonderlich gross. Ich habe keine Ahnung, ob das unsere Sexualität beeinflusst hat. Missbrauch durch Mönche gab es bei uns allerdings nicht. Die Wohnbereiche des Internats wurden ausschliesslich von Nonnen geführt. Den männlichen Klerus sah man nur in den Etagen der Schule. Das hat sicherlich seinen guten Grund. Ob Nonnen meine Sexualität beeinflusst haben, kann ich auch nicht sagen. Ich kann allerdings sagen, dass Nonnen meistens kurze Haare tragen und anders als in der Pornografie selten attraktiv sind und nie in engen Kostümen herumlaufen. Die Mathelehrerin schlug mich allerdings oft mit einem Stock. Fand ich nicht so schlimm, muss ich zugeben. Trotzdem schaue ich keine Nonnenpornos.