[tagebuchnotizen Sverige]

Meine bisherigen äußersten Positionen in den Himmelrichtungen waren:

Osten: In Vilnius, Lithauen, auf dem Platz wo die Kriviu Gatve in die Polocko Gatve mündet. Ich hätte noch ein Stück weiter Richtung Osten laufen können, aber das schien mir, für später, wenn ich meinen Ostrekord brechen wollen würde, zu undefiniert. DIE KREUZUNG KRIVIU/POLOCKO hingegen, ist eher eine Landmarke in Kapitalbuchstaben, die sich auf inneren (und äußeren) Landkarten gut festnageln lässt.

Westen: Dieses Problem habe ich nämlich mit meinem Westrekord, die Sinagoga del Transito in Toledo, Spanien. Ich weiß nämlich nicht mehr, ob ich nach den dem Besuch des Geländes, auf dem Weg in die Innenstadt, den Weg um das Gebäude herum genommen habe, oder den direkten Weg. Würde ich den Weg drumheurm genommen haben, wäre dies mein Westrekord. Das ist so undefiniert, das stört mich.

Süden: Wie vorher: Die Sinagoga del Transito in Toledo. Oder: Der Weg südwestlich um die Sinagoge herum.

Norden: Mein Nordrekord war jahrelang der Verbindungsweg zwischen Ost- und Westküste der schottischen Northwestern Highlands. Der nördlichste Punkt ist dort in dieser Kurve bei Corriemoilie. Zwar ist dieser Punkt keine LANDMARKE im vorher angedeuteten Sinne, aber dieser Punkt ist so markant und einsam in der schottischen Landschaft, dass ich ihn auf jeder Landkarte, ohne Anfahrt oder Bedenkzeit sofort anzeigen kann.
Letztes Jahr wurde mein Nordrekord allerdings gebrochen. Durch einen Ausflug in die Nähe des schwedischen Falköping. Auf einer Anhöhe steht dort ein kleines Restaurant annex Segelschule. Der nördlichste Punkt ist das rechte, der sechs kleinen Häuschen mit dem hellen Dach. Es klingt vielleicht albern und konstruiert, aber ich will nicht lange drumherum reden, dass es sich um die öffentliche Toilette des Geländes handelt. Das soll jetzt kein Witz sein. Isshaltso.
Jetzt sitze ich im Zug nach Stockholm, jede Sekunde, die tickt, ist mein neuer Nordrekord, das fühlt sich an, wie, sich mit einem Raum-/Zeitpflug vorne an die Lokomotivnase geschraubt, durch den schwedischen Wald zu gleiten.

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Ich bin ja nicht weit herumgekommen. Zwar bin ich viel herumgekommen, aber nicht weit. Die Sache mit dem Fliegen behindert mich da schon sehr. Nicht, dass ich Flugangst hätte, aber da oben zu sitzen und abzustürzen ist mir zu ungut.

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Stockholm. Es ist wunderbar eng hier, wunderbar körperlich, weniger hager als ich es mir vorgestellt habe. So war mein Bild von Stockholm ja eher immer geprägt von einer gewissen Perspektive, vielleicht die Perspektive auf die Altstadt Gamla Stan, vom Wasser aus, auf die romantische, erdfarbene Häuserfront, sehr schwedisch, sehr sauber, sehr blond, aufgeräumt, zurückhaltend malerisch, respektvoll auf Abstand, eine Eigenheit, die mir an Menschen neurdings missfällt.
Dabei erinnert mich das bisherige Stockholm eher an die Düsterkeit Prags, oder an die Köperlichkeit einer mittelitalienischen Stadt im Sommer. Verschwitzt, erotisch.

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Beim warmen Sommerregen sitzen K und ich unter der Markise bei einem Italiener und essen unsäglich lieblose Pizza. Eine fünfköpfige italienische Familie rettet sich unter die Markise, der Vater ruft erfreut: Ah! Una Pizzeria Italiana!
Sie tragen alle Windjacken. Die Mutter trägt dazu Mütze, Schal und Handschuhe. Wie man sich im Süden das ewige Eis vorstellt.

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Dieser tadellose orangene Teint der jungen Frauen hier. Ich meine sie immer mit den Fingern anschnippen zu müssen und sie dann in tausende, porzellanene Einzelteile zerklirren zu sehen. Diese willkürliche Boshaftigkeit ist nur oberflächlich, sie entstammt einer spielerischen Phantasie, wie man als Kind manchmal Sandburgen einstürzen machte, weil die Dinge nicht für die Ewigkeit gemacht werden wollten. Oderso. Vielleicht auch nur das Gefühl, die Bläschen von Luftpolsterkissen auszudrücken.

Zweifellos schön allerdings, die orangene Gesichtshaut, darüber das ungenierte Blond gelegt, dazwischen die freundlich verträumten Augen. Ich möchte eine dieser Frauen entführen, sie in eine Ecke stellen und malen. Wenn ich keine Lust mehr auf Malen hätte, dann würde ich ein schwarzes Tuch darüber legen und warten. Würde ich sie eine Woche später wieder enthüllen um mit dem Malen fortzufahren, sähe sie noch genauso aus, hätte einen makellosen orangenen Teint, die blonden Haare perfekt sitzend und dazwischen würden mich die Augen verträumt lächelnd anstrahlen.
Möglicherweise müsste ich sie nach einer ganzen Woche allerdings aufziehen, hinten am Nacken, an der kleinen Schraube, damit sie sich bewegt, mit den Wimpern klappert, oder den Schein aufrecht hält.

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UBahn in Stockholm. Man hört sie nicht. Sie hat die Fahrhaptik eines ICE. Nach den klapprigen Berliner Bahnen ist das ein eigenartiges unurbanes Gefühl. Aber Urbanität ist ja ohnehin Subjektiv, kein Anspruch hier die Urbanität zu werten. Ich dokumentiere ja nur.
Das Ticketsystem ist mir unergründlich, genauso die Farbgebung der drei UBahnlinien. Eine ist Dunkelblau, die andere in einem helleren blau und die andere in einem noch helleren Blau. Ich dachte ja, UBahnsysteme ließen sich nur noch über Farben definieren.

Oh und die Menschen lächeln hier immer, und wenn sie nicht lächeln, dann tragen sie zumindest einen Ausdruck von Weltfrieden auf dem Gesicht flanieren, als wäre die ganze stockholmer Bevölkerung mit einem gewissen Grundglück ausgestattet, oder eine gewisse Grundsorglosigkeit, Rundumgrundsorglosigkeit, ein bisschen wie man sie im südlichen Prenzlauer Berg auch oft sieht, aber dann eben über die ganze Stadt ausgeweitet, OK, Stockholm ist zwar nur doppelt so groß wie Prenzlauer Berg, aber immerhin. Trotz Referenz an den Prenzlauer Berg meine ich das mit der Freundlichkeit gar nicht sarkastisch, im Gegenteil, ich finde den Prenzlauer Berg voll okay, und Stockholm sowieso, die Freundlichkeit hat jedoch etwas ansteckendes, und zwar nicht nur in den betuchten Vierteln wie Östermalm oder in Teilen von Södermalm, nein auch bei den Jugendgangs am Bahnhof, oder um den Plattenbauten in Skärholmen, jeder seine eigene Art der Freundlichkeit, aber überall so, als wären sie von einer Art Polarlicht geblitzt und würden jetzt nur noch rosa Flecken sehen.
Das hat mir gefallen.

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„[…] diese HipHop-Touren, wie sie neuerdings in den Städten immer angeboten werden, das haben wir gemacht […]“
Sie meinte die HopOn-HopOff-Bustouren.

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Neuer Nordrekord. Wie einfach man sich heute mit GPS auf dem Handy orten und herumkommandieren lassen kann. Engelbrektsgatan Ecke Karlavägen. Nördliche Häuserecke, dort unter dem goldenen Elch.

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Die orangene Haut lässt mich nicht in Ruhe. Im Zug von Kopenhagen nach Hamburg sitze ich neben einer jungen Frau in kurzen Jeans. Sie ist blond und hat orangegebräunte Haut. Mir ist schon klar, dass man das so nicht sagen kann, da eine Bräunung ja braune Farbe voraussetzt, es müsste daher so etwas aufgesetztes wie „orangiert“ oder „georanget“ sein, oder „zu orange mutierte Hautpigmente“, was nicht nur schlecht und umständlich klingt, sondern auch physikalisch nicht geht, Hautpigmente die sich orange verfärben, wobei wir wieder bei der Unnatürlichkeit dieser Hautfarbe wären, ich weiß nicht.
Aus der Nähe wirkte die Haut ledriger als im Vorbeigehen auf der Straße. Das erschreckte mich.
Ich schielte jedenfalls ein bisschen zu lange auf ihre Beine. Sie hat es gemerkt und ihre Jacke drauf gelegt.

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Der Witz mit Orangenhaut undso, höhö, jaklar, aber das ist ein bisschen zu offensichtlich. Nur: bevor jetzt jemand in den Kommentaren damit kommt.

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11 Kommentare

  1. Aaah!! Ich seh sie auch, die Orangen! In Vilnius und Toledo und sogar in den Highlands steht eine von ihnen am Rand des Googlemapsfensters..

  2. Ja, an Selbstbräuner hatte ich auch gedacht, ich glaube, manche von denen führen zu seltsamen Ergebnissen.

  3. Das ist immer nach den Upgrades so. Müsste das Einbinden von Bildern immer wieder händisch setzen. Was ich dann immer vergesse.
    Aber: ich brauche scheinbar ein Login bei Ipernity. (?)

  4. Das ja doof von mir. Jetzt is der Witz auch weg 😉 Aber zumindest funktionierts nun, ich fragte mich nur ob Sie in derselben miesen Pizzabude waren wie unsereins seinerzeit…

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