Natürlich schaue ich mir die Länderspiele an. Ich verfolge die Ergebnisse und schaue einzelne Spiele von Ländern, dessen Spieler ich mag, und ich schaue auch ein paar Spiele der großen Fussballnationen. Die Deutschlandspiele natürlich auch. Schon nur, weil meine Firma da den Grill anschmeißt und kühle Biere bereitstellt. Dennoch ist mir das Abschneiden der einzelnen Mannschaften relativ egal. Ich werde nicht sonderlich warm für dieses Auflaufen der Nationen. Das mag zum einen daran liegen, dass ich in Südtirol geboren und aufgewachsen bin, ich konnte daher nie etwas mit Italien anfangen. Mit Österreich aber erst recht nicht. Mit der Schweiz hatte ich nie etwas zu tun, auch wenn die Grenze nur 50 Kilometer entfernt war. Dies nur um die geographischen Möglichkeiten aufzuzählen. Später wohnte ich lange in der Niederlanden, danach in Spanien. Jetzt in Deutschland. Ich habe mich nie sehr meinem Herkunftsland zugehörig gefühlt. Ich fühlte mich aber immer zuhause da wo ich wohnte. Meine Frau ist Schwedin, sie hat jahrzehntelang in Italien und Wien gelebt. Würde ich sie fragen, wo sie zuhause ist, würde sie vermutlich sagen: Berlin.
Am ehesten bin ich für Deutschland. Aber vor allem, weil ich die Spieler kenne und deren Werdegang verfolge, allerdings auch weil mir diese ungenierte Euphorie in den Städten gefällt. Vor allem vor den Spielen. Diese aufgeregte Vorfreude. Die besoffenen Männergruppen nachher weniger. Dennoch ist die Stimmung vermutlich überall ähnlich. Lebte ich noch in Holland, würde ich eine ähnliche Sympathie für die oranje Elftal haben. In Holland freuen sich die Niederländer über einen Sieg gegen die Spanier, und in Spanien erwidern sie die Freude natürlich mit unguten Gefühlen. Bleiche Käsegesichter gegen haarige Männer. Länderspiele gucken ist immer ein bisschen ein Messen der Kulturen. Gut gegen böse. Gutes Essen gegen gute Wirtschaft, Wein gegen Bier, Schnitzel gegen Pizza, Sonne gegen Regen. Ich habe nie verstanden, warum Fußball die Nationen vereinen sollte. Es ist doch eher das Gegenteil der Fall. Die Franzosen waren nach der Niederlage 2006 keine Italienfreunde.
Da ich vorhin so pseudoweltmännisch meine Herkunft aufgelistet habe: ich fühle mich hier sehr wohl und komme mit den Dingen die man allgemein als deutsch bezeichnet sehr gut klar, ich bin in dieser Hinsicht vermutlich sehr deutsch geworden, ich bin bewusst hierher gezogen, weil ich das so wollte. Ich mag das hier. Aber ich habe keinen deutschen Pass. Wenn mich am Potsdamer Platz vor ein fahrendes Auto laufe, dann steht in der Zeitung, dass ein Italiener totgefahren wurde. Ich. Berliner. Basilikumzüchter, Balkonbesitzer, Liebhaber von guten Geschichten. Patzbum unters Auto und bin plötzlich Italiener.
Da wollte ich mir einen deutschen Pass anschaffen. Jedoch fiel mir ein, wenn ich Deutscher bin, dann bin ich zu einem Teil auch ein Bayer. Deswegen habe ich das sein lassen. Okay, das war ein blöder Scherz.
Benzema ist Algerier, spielt für Frankreich, weil er so gut ist, dass er es kann, er soll die französische Fußballseele heilen. Vor vier Jahren klappte das nicht, dann wurde er als Algerier abgewatscht. Es wundert mich keineswegs, wenn er nicht die Mareillaise singen will. Bei Hertha haben wir Brooks. In Berlin geboren, Vater aus Chicago, er musste sich entscheiden, ob er für Deutschland spielt oder für die USA. Lange hat er gezögert, vermutlich hat er sich bei den USA mehr Chancen zu Spielen ausgerechnet. Cigerci ist in der niedersächsischen Provinz geboren und großgeworden. Vor einigen Jahren kam er drauf, dass er sich im Land seiner Eltern (Türkei) super wohl fühlt. Deshalb spielt er da. Cacau. In Brasilien geboren, als siebenundzwanzigjähriger deutscher Staatsbürger geworden und in die deutsche Nationalelf berufen, singt das Deutschlandlied inbrünstig und mit der rechten Hand am Herz. Das ist natürlich supercool und lustig. Özil, geboren in Gelsenkirchen, spielt für Deutschland, weil er durch alle Jugendmannschaften des DFB durchlaufen hat und so gut war, dass er schlichtweg von alleine in die prestigeträchtigere deutsche Nationalelf kam. Er muss sich ständig rechtfertigen, warum er nicht für die Türkei spielt. Er hat keinen Bock auf die türkische Mannschaft, aus welchen Gründen auch immer, er singt aber auch nicht das Lied vom deutschen Vaterland. Warum auch? Solche Geschichten gibt es zu hunderten. Zuordnungen zu Nationen sind mir zu langweilig, zu willkürlich, zu banal auch. Mich langweilt es auch, dem Ganzen mitzufiebern.
Ich schaue lieber Clubfußball. Jeder kann Spieler bei einem FC werden (zumindest, wenn er bezahlbar ist) und jeder kann irgendeiner Trikotfarbe zujubeln. Ich glaube zwar nicht, dass Fußball auch nur den geringsten Beitrag zur Völkerverständigung beiträgt, aber wenigstens gehen da keine Nationen aufeinander los.
Ich freue mich darauf, dass die Spieler nach der WM von ihrem nationalen Auftrag wieder zurückkommen.
Bring the boys back home.
Nett, dass Sie hier sagen wie es ist.Diese Vielfalt! Grandios!