Am Samstag landen wir in Glasgow. Es regnet.
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Ich fühle mich Rugbyspielern sehr verbunden. Das hat mit den dicken Oberschenkeln in kurzen Hosen zu tun, das sind Männer die aussehen wie ich. In Fort William essen wir in einem Pub zu Mittag. Auf allen Bildschirmen läuft Rugby. Männer mit strammen Oberschenkeln überwerfen sich, versuchen einander etwas aus den Armen zu entreißen und schmeißen sich ins Gras. Ich finde das sehr ästhetisch. Das ist ganz anders als Fußball.
Nebenher google ich. Es gibt in Berlin auch Rugby Frauenmannschaften. Frauen mit strammen Oberschenkeln die sich überwerfen und ins Gras schmeißen. Das muss ich mir unbedingt ansehen.
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In einem altehrwürdigen Pub in Oban, am Pissoir. Neben mir pinkelt ein älterer Herr. Er sagt etwas und zeigt mit seinem Gesicht auf ein Poster das vor unserer Nase hängt. Auf dem Poster ist ein Boxer abgebildet der in Boxerpose posiert und hinter seinen Fäusten hervorlugt. Ich habe kein einziges Wort verstanden, das der Mann zu mir gesprochen hat. Ich entschudige mich höflich, ich sei gerade selbst so laut gewesen (Lachen), und frage ihn ob er sich wiederholen könne. Er wiederholt sich und ich verstehe nur einzelne Wortfetzen. Einer meiner wichtigsten Mitarbeiter ist Schotte, eine langjährige Kollegin war schottisch, ich bin verhältnismäßig oft in Schottland, ich bin an schottischen Akzenten durchaus gewöhnt. Aber den Mann verstehe ich nicht. Natürlich habe ich das eine oder andere Pint intus, der Mann das eine oder andere mehr. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass er gälisch mit mir spricht, Oban ist zu groß, alsdass man wildfremde Menschen auf der Toilette auf gälisch anspricht. Ich bin etwas ratlos. Soll ich ihn ein zweites Mal bitten sich zu wiederholen? Das könnte ihn kränken. Soll ich ihn fragen ob er gälisch mit mir gesprochen habe? Das kann auch falsch ausgefasst werden. Ich schaue auf das Poster und sehe das morgige Datum. Weil ich sonst nicht weiß was sagen, sage ich: it’s tomorrow.
Er schaut konzentriert auf das Poster und sagt schließlich, yorr right!
Die letzten Sekunden unserer Session schauen wir beide etwas nachdenklich auf das Poster aber dann waschen wir unsere Hände und gehen zurück in den Schankraum.
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Puh. Die Highlands. Ich meine es schon mal irgendwo aufgeschrieben zu haben: diese nackten Berge, diese nackte Landschaft. Keine Bäume die die Landschaft bedecken. Beim Anblick dieser Landschaft verstehe ich Esoteriker, wenn sie von Mutter Erde reden, wie sie so unbekleidet daliegt, Falten legt, sich ums Wasser windet, sich dramatisch und verwundbar entblößt. Sie ist richtig greifbar.
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In Berlin steigt das Thermometer wieder auf dreißig Grad, dafür bin ich das erste mal in diesem Sommer _nicht_ der Hitze hinterhergefahren. Vierzehn Grad. Skye. Regen. Yeah.
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OK, Sonne wär auch schön.
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Am Mittwoch geben die schottischen Behörden die Empfehlung aus, ab Mittag das Haus nicht zu verlassen. Ein ungewöhnlich starker Sturm soll aufkommen. 80 milesperhour. Wir stellen uns auf einen Tag im Hotelzimmer ein, werden Netflix schauen und uns Macaroni and Cheese besorgen.
Der Regen ist schon schwerer geworden, am Vormittag gehen wir trotzdem noch raus, ich wollte einmal diese seltsame Halbinsel südöstlich von Portree umrunden, auf dieser App mit OpenStreetmaps sehe ich, dass es einen Wanderweg gibt, der die Halbinsel umrundet. Die Halbinsel wird als „The Lump“ bezeichnet, darauf befindet sich ein Krankenhaus und eine Kirche und eie offene Fläche. Wir haben keinen Regenschirm dabei, gehen zuerst zu diesem Aussichtsturm hinauf, schauen einmal über die ganze Bucht von Portree, dann suchen wir den sogenannten Wanderweg, es ist ein sehr schmaler und verwachsener Weg, der hinter der Kirche beginnt, der Weg ist an dieser Stelle eigentlich eher ein Rinnsal, meine sommerlichen Vans saugen sich sofort mit kaltem Wasser voll, wir gehen aber weiter, oberhalb der Häuserreihe des Hafens entlang, dann weitet sich der Weg und wird trockner, als wir die Häuser hinter uns gelassen haben stehen wir auf einem Steilhang. Es hört auf zu regnen, die Sonne kommt raus, wir machen Fotos. Als wir the Lump umrundet haben wird der Himmel dunkel, die ersten Winde kommen auf.
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Danach ins Bett gegangen und Netflix angeschaltet. Wir schauten fast die ganze erste Staffel von „Outlander“. Die Geschichte der Engländerin, die durch die Zeit geschleust wird und in den Highlands des Jahres 1743 landet. Was sich sehr banal anhört ist eine überaus spannende und auch lustige Geschichte, da sie eine Zeitreise in eine frühere Zeit aus der (für mich) eher ungewöhnlichen Frauenperspektive erzählt. Ich kenne Zeitreisengeschichten eigentlich nur als Männergeschichten. Die Outlanderin gerät natürlich in ganz andere Schwierigkeiten als der durchschnittliche Mann, außerdem ist sie (für Schotten) eine Ausländerin und auf der Flucht. Und ganz nebenher wird auch noch eine wundervolle Liebesgeschichte erzählt. Ich werde mir auch die zweite Staffel ansehen.
Nach zwei oder drei Folgen ging ich hinunter ins Restaurant und bestellte zwei riesige Portionen Maccheroni Cheese zum Mitnehmen. Dann ins Bett. Draußen trotzten die Bäume dem Wind schon in einem Winkel von 45 Grad. Blätter und Gegenstände wehten durch die Straße. Mit der Frau ihm Bett. Auf unseren Schößen: die besten Macaroni and Cheese meines Lebens.
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Durch Inveraray sind wir vor etwa acht Jahren das erste mal gefahren. Wir befanden uns auf dem Weg nach Islay. Als wir durch Inveraray fuhren schauten wir nach links und nach rechts und fanden den Ort sehr schön, wir hatten beide den Gedanken, dass man hier anhalten und eine kleine Pause einlegen könne. Bevor der Plan aber noch richtig gereift war, hatten wir schon das Ortsende erreicht und fuhren weiter Küstabwärts. Zu faul um umzudrehen, zu faul um extra Kilometer zu fahren. Weil der Plan in der Zwischenzeit gereift war, hielt wir aber im nächsten Ort. Der war genau so schön.
Diesmal schlaute ich mich im Vorfeld über schöne, kleine Dörfer auf. Das Dorf sollte grob auf dem Rückweg nach Glasgow liegen und nicht allzuweit davon entfernt. So wurde uns Inveraray empfohlen. Als wir es auf der Karte und Streetview aufriefen erkannten wir es sofort wieder.
Sind wir natürlich hin.
War ganz nett. Bei näherer Betrachtung aber ein bisschen zu puppenstübchenhaft.
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Die dicken Frauen von Glasgow. Das habe ich so notiert. Die dicken Frauen von Glasgow. Ich weiß jedoch nicht mehr warum.
-> Im Blog gestöbert. Das hat mich schon in 2010 beschäftigt. Da schrieb ich: # Eines der vielleicht beachtlichsten Dinge in Schottland, sind die überschminkten, dicken Frauen in enganliegenden Kleidern oder Leggings. Frauen, die anderswo als ordinär verachtet werden. In Glasgow prägen sie am Samstagabend das Straßenbild. Ich bin hingerissen von der selbstbewussten Art, wie sie hier auftreten, sich schön finden, und laut lachen. Solche Frauen tauchen oft in meinen Träumen auf. Dort sitzen sie auf grünen Sofas.
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Woran ich mich erinner will und das muss ich wirklich aufschreiben weil ich es sonst bestimmt vergesse sind zwei Dinge die wir am letzten Tag auf dem Rückweg kurz vor Glasgow gemacht haben. Zum einen sind wir zwanzig Kilometer vor Glasgow von der Autobahn runter um irgendwo unkompliziert zu essen. In einem Ort namens Alexandria sahen wir große Schilder die ein Outlet Center auswiesen, und dann sind wir, genau, ins Anartex Outlet Center gefahren und haben Klamotten gekauft. Kein Tourist. Weit und breit. Ich habe mir zwei Tweedwesten gekauft. Vorne Tweet und hinten ein psychedelisches Muster das den Sitzbezügen der Berliner UBahn den Rang abläuft.
Nach erfolgreichem Shoppen sind wir drei oder vier Ortschaften weiter auf der anderen Wasserseite in einem etwas heruntergekommenen Einkaufszentrum namens „Bridgewater Shopping Centre“ gelandet und haben uns in ein Lokal gesetzt in dem auf den Bildschirmen Polo gezeigt wurde und es Macaroni Cheese mit Pommes gab.
Wir fühlten uns da so wohl als wären wir zwei Kartoffeln.
Wunderbar, danke!
Seit ich vor ewigen Zeiten in Schottland war, u.a. auch in Oban, denke ich immer wieder daran zurück.
Die Highlands, oh, die Highlands!
Also ich könnte ja wieder zurückfahren.
„Wir fühlten uns da so wohl als wären wir zwei Kartoffeln.“
Fühlen sich Kartoffeln denn wohl? Oder bezieht sich das auf die Bezeichnung „des typisch Deutschen“ im Ausland? Habt ihr euch wohl gefühlt oder nicht? Ich versteh den letzten Satz nicht.
Oh. Aufmerksame Leser. Ich wurde ertappt 🙂
Die Kartoffel ist ganz referenzlos. Ich war so happy, dass ich das Bild einer zufriedenen kartoffel (Klein, rund und öhm, GRINSEND) vor mir hatte.