Weil wir schon beim Essen sind. Wir hatten ja neulich diese vegane Fehllieferung von Bringmeister erhalten. Es muss der Einkauf von sehr umweltbewussten bzw. veganen Menschen gewesen sein. Neben diversen Soja- und Kichererbsenprodukten lagen auch Packungen mit Körnern in den Tüten. Zum Beispiel Haferkörner. Ich hatte keine Ahnung, was man mit Haferkörner anstellen konnte. Die erste Idee, die mir kam, war, sie zu Flocken zu zerstampfen und sie mit Joghurt zu verspeisen. Weil ich Hafer halt in Form von Flocken kenne. Aber das schien mir seltsam ineffizient und etwas nutzlos. Warum sollte man ganze Körner kaufen um sie zu plätten. Vorgeplättete Körner gibt es ja genau so gut im Laden und ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass es eine besonders haferfreundliche Variante gab, den Hafer zu plätten.
Meine Frau hat in ihrer Jugend als geübte Vegetarierin alles durchprobiert, was mit Körnern zu tun hat. So wusste sie, dass sich Hafer sehr gut wie Reis verarbeiten ließ. Tatsächlich fand ich im Internet zahlreiche Haferrezepte, die sich lasen wie Reisspeisen. Ich dachte, nette Idee, aber sicherlich eine dieser netten Ideen aus einer Hippiekommune mit Demeterstempel, die in der Realität nach [irgendeine müde Referenz hier] riecht.
Meine Frau machte das trotzdem. Sie kochte das Haferkorn wie Reis und machte dazu Gemüse. Und jetzt bin ich ein bisschen überrascht. Das war so! gut! Wir fanden außerdem zahlreiche Rezepte, in denen mit Haferkorn Risotto gemacht wird. Ich frage mich, warum dem Haferkorn in der europäischen Küche keine Rolle zukommt, wie sie etwa Kartoffeln, Nudeln oder Reis inne haben.
So verbrachte ich den ganzen Abend damit, das zu verstehen. Ganz verstanden habe ich es nicht, aber Hafer war in früheren Jahrhunderten tatsächlich ein Nahrungsmittel, es war allerdings nie ein wichtiges Nahrungsmittel. Er schien irgendwann an Bedeutung zu verlieren. Den genauen Zeitraum konnte ich nicht finden, aber ich nehme an, dass der Siegeszug der Kartoffel eine Rolle darin spielte. Hafer ließ sich, anders als Weizen oder Roggen aufgrund der fehlenden Klebeeiweisse nicht gut zu Brot verarbeiten und so wurde es schließlich vornehmlich als Tierfutter verwendet.
Mich erstaunt das sehr. Gerade wenn ich auf den Nährwert des Hafers schaue, der als das nährstoffreichste Getreide dasteht, dann mag ich nur schwer glauben, dass weisser Reis oder die Kartoffel oder auch Weizennudeln eine weitere Verbreitung fanden.
Ganz nüchtern betrachtet: aus Sicht der lokalen Verfügbarkeit, der Nährhaftigkeit, der Anbaufähigkeit müsste das Haferkorn in der europäischen Küchentradition eigentlich einen höheren Stellenwert als Reis haben. Stattdessen verwendet man es als Tierfutter und für schleimigen Haferbrei. Das finde ich faszinierend.
Womöglich lag es an der Mode oder eben am Image von Haferkorn, wenn man damit aufwächst, dass man es den Tieren verfüttert, erhält es einen niedrigeren Stellenwert als der weisse, reinliche Reis. Man kann das sicherlich auch mit dem Vorzug des Weissbrotes gegenüber dunklem Vollkorndinkelbrot vergleichen.
Gut, der Hafer erlebt seit einigem Jahren schon so etwas wie eine Wiedergeburt, weil man es als Superfood wiederentdeckt hat, aber über Porridge Varianten, Müsli oder Hafermilch scheint es mir dennoch nicht hinausgekommen zu sein.
Jetzt weiss ich, was ich meinen Gästen mal kochen werde, wenn die Pandemie vorbei ist. Irgendwann wird man mich möglicherweise dafür hassen.
Außerdem sind heute meine neuen Keycaps angekommen. Ich baute sie sofort in meine Tastatur ein. Nur die Buchstaben und das Komma sowie den Punkt. Und die Cursortasten. Alle anderen Tasten habe ich so gelassen, wie sie sind, weil ich keine entsprechenden deutschen Tasten finden konnte und ich es auch wieder so spartanisch mag. Dieser Fokus auf den Buchstaben.
Und sie tippen sich, wie erwartet. Zum einen merke ich immer mehr, wie gut taktil der Anschlag dieser Tastatur ist und jetzt mit den weichen Kanten und dem schmalen Anschlagsfeld dieser neu gekauften Tastenkappen ist es wirklich wie [Kunstpause].
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Die Aktion von Jan Josef Liefers und seinen Leidensgenossen werde ich jetzt nicht tiefergehend kommentieren. Neben dem üblichen Stellungsbeziehen auf Twitter gab es sehr wenige Beiträge, die wirklich erklärten, warum die Aktion große Scheisse ist. Der beste Beitrag kam von Marina Weisband.
Vielleicht klebte am Hafer auch das Image von Armut, Hunger und Not und man war froh, sich zur Mahlzeit etwas Besseres als Hafergrütze leisten zu können. So toll wird die damals wahrscheinlich auch nicht geschmeckt haben. Die Zubereitungsmöglichkeiten sind heute doch anders.
Meine Eltern – Flüchtlingskind und Halbwaise, beides Stadtkinder – erinnern sich heute noch mit Grauen an die Graupensuppe nach dem Krieg.* Denen braucht man mit Graupen nicht zu kommen. Die Mehlsuppe muss aber noch fieser gewesen sein, die Magermilch war so dünn, dass sie fast hellblau schien, und sie brannte ganz schnell an. Entsprechend schmeckte die Suppe dann.
* Als Kind assoziierte ich damit immer graue Raupen. Mangels schmackhafter Zutaten wird die Graupensuppe auch nicht viel besser geschmeckt haben.
Ja, ich denke auch, dass es das Image ist. Offenbar wurde Hafer auch vermehrt in Kriegszeiten gegessen (vor allem im ersten Weltkrieg), wo menschenübliche Lebensmittel ja schnell rar bzw teurer wurden. Das verstärkt natürlich die kulturellen Befindlichkeiten gegenüber eines Getreides.
Graue Raupen. Haha. Super Assoziation. Viel Eiweiss, aber irgenwie mwah-lieber-nicht.