Heute schauten wir wiedermal wie ein altes Ehepaar aus dem Fenster. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite hatte jemand eine Art Küchenbank auf der Strasse entsorgt. Auf der Bank saß eine Person mit gelb gefärbten Haaren. Die Person wirkte weiblich, sie hatte eine Jeansjacke und eine größere Tasche umgehangen. Sie schien zu schlafen. Auf dem ersten Blick ignorierte ich das, sieht man ja öfter. Menschen, die auf Bänken schlafen. Auch meine Frau bemerkte die Frau. Sie schien aber etwas besorgter. Man konnte sie nicht gut erkennen, ihr Kopf lag auf der Brust und wie sie da saß, das musste ja total unbequem sein.
Wir überlegten, ob man etwas tun müsse. Auf der einen Seite überwiegte das „Ach Quatsch, ist nur Sonntagfrüh, es war eine harte Party“ auf der anderen Seite tönte die Tagesschau, dass man in Berlin eine sterbende Frau stundelang habe verenden lassen und sich niemand um sie gekümmert habe. Diese Stadt der sozialen Verwahrlosung.
Wir wogen ab, hin und her. Zoomten mit dem Handy ein. Es könnte auch eine Puppe sein. Menschen liefen daran vorbei, auf einem Meter Abstand, der Bürgersteig lag hinter ihr. Sie wurde ziemlich ignoriert. Vermutlich sah man aus der Nähe, dass es entweder kein Mensch war, oder man sah, dass die Person lebte. Wir beschlossen, nichts zu tun, am Ende wurden wir noch geohrfeigt, wenn wir sie weckten.
Aber wir stellten den Wecker. Zwanzig Minuten. In zwanzig Minuten wollten wir noch einmal aus dem Fenster schauen und wenn sie sich nicht bewegt hat, dann gehen wir runter. In der Zwischenzeit googelten wir. Wie man mit vermeintlich toten oder sterbenden Menschen auf der Strasse zu reagieren hat. Es gab hunderte Anweisungen. U.a. auch wiederbeleben. Gott, ich weiss nicht mehr wie das geht. Wir gingen wieder zum Fenster. Sie hatte sich nicht bewegt, sie saß da sehr unbequem. Eigentlich wie tote Menschen sitzen, gekrümmt, seitlich, die Arme ausgestreckt, den Kopf auf der Brust.
Wir beschlossen nach unten zu gehen. Wir gingen in einem etwas größeren Bogen und langsam über die Strasse, um uns der Person langsam zu nähern und vielleicht aus der Entfernung schon die eine oder andere Einschätzung machen zu können. Es war eine Frau. Sie sah nicht gut aus. Ihr Mund war geöffnet, Sabber trat hervor. Ich stellte mich neben sie und sagte „Hey“. Es kam keine Reaktion. Meine Frau bemerkte, dass sich ihr Brustkorb hob und senkte. Immerhin atmete sie.
Ich sagte noch einmal „Hey“. Diesmal lauter. Aber sie reagierte wieder nicht. Dann rüttelte ich an ihrer Schulter. Daraufhin wachte sie auf.
Ich fragte sie ob alles OK sei, ob sie Hilfe brauche. Sie schaute uns an, schüttelte aber den Kopf, setzte sich etwas gerade hin, ich sagte, ihre Tasche, die solle sie besser zu sich ziehen. Sie tat das. Dann entfernten wir uns langsam. Sie schien sich zu berappeln. Wir spazierten einmal um den Block. Als wir zurückkamen, war sie nicht mehr da.
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Heute kam eine Freundin meiner Frau vorbei. Wir saßen in der Küche und tranken Kaffee. Sie kommt aus Kanada. Irgendwo aus einer Kleinstadt in Saskatchewan. Sie zeigte uns Videos von ihrem Bruder, der wiedermal Bären in seinem Garten hatte. Diesmal nur Schwarzbären. Die sind nicht so gefährlich. Klauen aber gerne Obst und Gemüse. Und sie können auf Bäume klettern wie Katzen.
Nachdem sie ging, setzte ich mich an Googlemaps und scrollte eine Stunde lang mit Streetview durch zentralkanadische Kleinstädte und Dörfer.
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Huch. Heute ist deutscher Vereinstag. Gar nicht mitbekommen.