Streuobst – 100% Direktsaft

Streuobst.... brrrr....

Streuobst, welch ein lieblich Wort für Apfelsaftäpfel. Wenn ich so zurückdenke, in meiner langen und steil nach unten führenden Karriere als Äpfelpflücker, wie wir immer sagten, morgen gingen wir Apfelsaft pflücken, weil das immer ein wenig, öh, besonders war.
Äpfelpflücken geht immer in zwei Durchgängen: erst pflückt man eine Woche lang Äpfel von den Bäumen, lässt die Faulen fallen, lässt auch die Angefressenen fallen, die Kleinen, die Hässlichen, die Farblosen, lässt auch die fallen in die man zwischendurch mal reinbeisst um etwas gegen den trockenen Mund zu unternehmen, man lässt auch die Äpfel fallen die man den Kollegen hinterherschmeisst, eigentlich ist die ganze Äpfelpflückerei eine ganze Fallenlasserei. Eine Karriere die nach unten führt eben. Steil. Wenn man mit dem Fallenlassen fertig ist, dann fängt der zweite Durchgang an: Apfelsaftplücken. So nannten wir das.
Wie Äpfel, die eine ganze Woche lang angeschlagen und angefressen im Gras unter dem Baum gelegen haben, aussehen, ist wohl nicht schwierig vorzustellen. Jolly die Spanierin, bekam immer Fieberblasen bei den komischen zweiköpfigen Würmern mit den grossen schielenden Augen. Kein Wunder, die schleppten immer eine fiebrige Schleimspur hinter sich her als seien es Nacktschnecken. Nur waren sie um einiges schneller als Schnecken und wirbelten wie verrücktgeworden mit dem Doppelkopf weit aus dem Apfel heraus wenn man den Apfel vom Boden hob um ihn in den Korb zu stecken. Sie hatten Scheren vorne an den Köpfen, die gingen auf und zu und auf und zu, die wollten töten, die Viecher.
Oft verfolgten mich die Würmer bis in die Träume, da lag ich erst noch seelenruhig in den Fängen einer Frau, die mich begehrte, mich gar in Fesseln legte, und als ich mich nicht mehr bewegen konnte, fing sie plötzlich an zu schielen, ihre Augen wurden gross und schwarz, ein ekliger Schleim floss ihr aus den Mundwinkeln, und schliesslich brach ihr Kopf entzwei und heraus kamen zwei Köpfe, mit Scheren. John aus Brixton nannte sie immer „Shrimps from Hell“. Ich habe danach viele Jahre in englischsprachigen Küchen verbringen müssen, um Shrimps nicht mehr mit diesen Apfelmonstern in Verbindung zu bringen. Nein, geliebt habe ich diese Viecher bei Gott nicht. Aber wurscht, alles rein in den Tschaggl, im Saft sieht man das nicht mehr.

Überdies gewöhnt man sich daran. Gleich wie man sich daran gewöhnt, Äpfel anzufassen, Äpfel, die da so hübsch im Gras herumliegen, von oben grünlich in der Sonne glänzen, doch sobald man sie ein wenig zu hart anfasst, man nur noch eine dunkelbraune, glitschige Masse zwischen den Fingern entgleiten sieht. Egal, alles rein in den Tschaggl, im Saft sieht man das nicht mehr.

Im Saft sieht man dann auch nicht mehr die anderen Würmer, die Würmer ohne den Scheren, die mit den roten Augen. Die sind lustig. Marek der Tscheche fand heraus, dass man die Rotäugigen mit Spucke verführen konnte. Die waren nämlich scheu, zogen sich immer in den Apfel zurück und das wollten wir natürlich nicht. Wenn man in das Wurmloch spuckte, krochen sie sofort wieder heraus, machte grosse rote Augen und gierten nach mehr. Was haben wir gelacht. Leider auch rein, in den Tschaggl damit.

Wenn bis zum Apfelsaftpflücken mehr als eine Woche vergeht, dann kriechen dort so kleine, weisse Dinger in den braunen Stellen des Apfels herum, viel zu klein um erkennen zu können ob es nun Fliegenkinder sind oder vielleicht doch nur kleine Scherenmonster. Im Katzenfutter würde ich sie Maden nennen, aber wie man die in Äpfeln nennt, weiss ich nicht. Egal wie die heissen, rein in den Tschaggl damit.

Rein in den Tschaggl auch mit den Äpfeln in der Pfütze, mit den Zertretenen, mit den vom Traktor Kaputtgefahrenen. Schnecke? Rein in den Tschaggl.

Seht es mir aber bitte nach, wenn ich statt 100% Direktsaft, 100% Drecksaft lese. Ich kann ja lachen. Das muss ein Freudscher sein.

14 Kommentare

  1. 1. haben würmer, maden etc. ganz viel eiweiß intus, 2. sind matschige, schon vom baum gefallene äpfel angeblich vitaminreicher und 3. ist drittens.. ja.

  2. Lecker. Vielleicht habe ich gar keine Allergie gegen Fruchtsäure, sondern gegen eingelegtes Fruchteiweiß.

  3. mit viel Freude gelesen, aber auch mit viel Ekel…ich wurde als Kind von meinem Vater dazu missbraucht, all diese von oben noch grünen oder roten Äpfel aufzuheben, die da so nett im Gras lagen…wenn ich sie in der Hand hatte, und dieser weichen, braunen Masse mit den weißen Schimmelflecken gewahr wurde kam mit aller Gewalt der Würgereiz…danke für diese Erinnerung! ich hatte sie schon ganz tief vergraben…

  4. derartiges ahnte ich ja schon immer *kicher* und ich mag trotzdem nach wie vor apfelsaft. allerdings nur als schorle.

    und auch ohne diesem vorwissen hätte ich mit sicherheit auch „dreckssaft“ gelesen *kichert*

    mine

  5. Man gewöhnt sich aber daran. Und wenn der Saft etwas rötlich ist, dann denke ich an die roten Glupschaugen. Die waren ja lustig wie gesagt.

    Und in Apfelschorle ist ja alles nur halb so schlimm. Ausser man trinkt das Doppelte.

  6. Hm. Steht das mit dem Streuobst wegen irgendeiner Kennzeichnungspflicht drauf? So von wegen: Selbst Schuld?

  7. Ich hab nur eine vage Ahnung, was ein Tschaggl ist. Falls mir Nordlicht jemand da auf die Sprünge helfen mag? Seltsam poetischer Artikel, Mek. hat mich drüberhinaus daran erinnert, dass ich bei einem großen Email-Anbieter noch eine Adresse namens „Streuobst“ habe, die ich seit sicherlich einem Jahr nicht mehr nachgesehen habe. Mal sehen, ob da inzwischen 5000 Spam-Mails lagern?

  8. Habe gerade ein Glas Apfelsaft vor mir und hatte genau diesen Wurmverdacht… Toll, das Internet liefert einem immer wonach man sucht. Anyway, wer auch sonst gerne Tiere isst, soll nicht mekkern. Gut beschriebener Artikel, Danke.

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