Am Freitag ist nicht viel geschehen. Nur Arbeitsbezogenes. Und darüber berichte ich ja nicht.
Der Samstag hingegen begann mit einem Anruf von Ikea, dass sie gegen 11 Uhr das Regal bringen würden. Wir wollten das langjährige Billyregal durch ein kleineres, tiefes Kallax Regal ersetzen. Ich habe nicht genau verstanden warum meine Frau das machen will, aber ihre Ideen sind in der Regel gut und wenn es das Ziel ist, unsere Bücherschränke zu reduzieren, dann findet sie bei mir immer Anklang. Mir sind Bücherschränke mittlerweile zuwider. Es sind Staubfänger und altmodische Angebergegenstände, ausserdem sorgen sie für eine unruhige Oberfläche an den Wänden.
Wir haben nur noch zweieinhalb größere Buchregale, diesmal war das Regal im Wohnzimmer an der Reihe. Zuerst räumten wir alle Bücher aus und verteilten sie auf Ablageflächen in der Wohnung. Die Bücher waren grösstenteils doppelt gereiht. Vorne die schönen Bücher, die hässlichen oder peinlichen dahinter. Es kamen immer mehr Bücher zum Vorschein, das Wohnzimmer, der Flur und Teile der Küche waren danach kaum noch benutzbar. Alles lag voll mit Büchern.
Es kam viel Staub ans Tageslicht, aber auch lange vergessene Bücher, u.a. die niederländische Version von Hugo Claus‘ „De Geruchten“, ich las damals noch auf niederländisch. Ich dachte immer, Hugo Claus hätte den Nobelpreis für Literatur gewonnen, eine kurze Googlesuche ergab aber, dass dem nicht so ist. Dann fand ich auch das verschollen geglaubte Exemplar von Stephen Kings „Es“. Dieses Buch taucht lustigerweise sehr oft in diesem Blog auf. Vor allem, weil ich es vor 13 Jahren las und danach in regelmässigen Abständen vom verschollenen Buch „Es“ schrieb.
Wir nahmen uns vor, viele Bücher auszusortieren. Das war eine Bedingung von mir. Zwar sind die Kallax Regale tiefer, also kann man die Bücher auch dreifach reihen, aber mir war wichtig, dass wir auch aussortieren. Mir fällt das leichter als meiner Frau. Meine Frau rettet ständig meine Bücher. Ihre eigenen sowieso.
Ihre Bücher haben aber öfter einen Wert als meine, sie besitzt richtig alte, englische und schwedische Bücher, die oft mit Widmungen ihrer Grosseltern versehen sind.
Irgendwann zückte sie das Telefon und zeigte mir eine App namens Momox. Momox ist eine Firma, die gebrauchte Bücher, DVDs, Cds und Spiele aufkauft. Mit der App scant man schlichtweg die Strichcodes, dann wird einem der Einkaufswert angezeigt. Das fanden wir aussergewöhnlich spannend und wir scannten einfach mal wild drauflos.
Bei einem Wert von 0 kaufen sie es nicht. Uwe Tellkamp hatte Wert „0“. Immerhin die gebundene Ausgabe des Turms. Auch Judith Hermann hatte 0. Thomas Glavinic auch, undsoweiter.
Die erste Preiskategorie schien mir 15 Cent zu sein. Ich glaube die 15 Cent sind der Einstiegspreis, bei dem ein gewisses Interesse ermittelt wurde, man sich aber nicht viel Gewinn erwartet. Darunter fallen gar nicht so viele, wie man erwarten würde, aber immerhin viele Bücher von Paul Auster, Murakami, Coetzee und ähnliche Bücher aus dieser Kategorie. Auch John von Düffel, zumindest die gebundenen Versionen.
Sachbücher sind hingegen sehr populär. Für die erhält man oft zwischen 5 und 9 Euro. Bücher über Architektur oder Geschichte. Aber auch die Erstausgaben von Rainald Goetz. Für „Dekonspiratione“, „Rave“ oder „Irre“ wird jeweils 9 Euro geboten. Aber die verkaufe ich natürlich nicht.
So begannen wir zunächst nach Buchwert zu sortieren. Architektur der Nachkriegszeit, Design, Innenarchitektur, Ernährung, Geschichte. Diejenigen die uns was bedeuten, behielten wir, diejenigen, die einen Wert hatten, legten wir auf den Momox Stapel, und diejenige, die keines von beiden hatten, kamen weg.
Später machten wir weiter mit Romanen, die man mal gelesen hat aber nicht mehr weiter in Erinnerung geblieben sind. Diese Kategorie fiel mir sehr leicht.
Seltsamerweise gibt es doch noch viele Bücher, von denen ich mich nicht trennen kann, beispielsweise das irische Tagebuch von Flenn O’Brien oder auch alle Bücher von Agota Kristof. Im ersten Jahr unserer Beziehung lasen meine Frau und ich einander die ersten drei ihrer Bücher vor. Das war eine sehr eindringliche Zeit mit drei sehr eindringlichen Büchern.
Auch von Thomas Pletzingers Bestattung eines Hundes kann ich mich nicht trennen. Ich hatte zuerst seine Reportage über den Basketbalclub Alba gelesen und ausserordentlich gut gefunden, daraufhin kaufte ich seinen Roman „Bestattung eines Hundes“. Zwei Wochen später lernte ich ihn zufällig auf einer Lesung von Isa Bogdan kennen und wir hatten noch ein langes und anregendes Gespräch, das wir später mit Isa und anderen in einer Aftershow-Kneipe fortführten. Als ich ihn heute googelte, sah ich, dass er kaum noch Texte veröffentlicht. Das ist sehr schade.
Und dann gibt es natürlich die ungelesenen Bücher, die mir einen grossen Penis verleihen, wenn ich sie im Regal stehen habe, wie zB Ulysses von James Joyce (zehn Seiten gelesen), Thomas Mann, Hans Fallada. Oder auch die Blechtrommel von Grass. Wobei ich Mann und Grass vielleicht noch weggebe. Momox gibt 15 Cent dafür.
Den Grossteil der aussortierten Bücher müssen wir nach wie vor selber entsorgen, weil sich Momox nicht dafür interessiert. Vielleicht bringt es was, sie in einem Karton auf die Strasse zu stellen. Das sieht man hier im Kiez ja ständig und die Kartons werden immer schnell geleert.
Der Momox Stapel hat mittlerweile einen Wert von 93 Euro. Und wir sind noch lange nicht fertig.
Klar kann man die Bücher an die Straße stellen und oft geht es gut. Allerdings wenn’s mal draufgeregnet hat oder jemand einen Dreck draufwirft, nimmt sie leider niemand mehr. Es gibt hier auch eine karte von Bücherschränken, die vermutlich aber nicht vollständig ist. Habe das normale Buch noch nicht aufgegeben, zum einen habe ich nie einen ereader gefunden, der mich nicht genervt hätte, zum anderen bin ich ja quasi abonnentin der bücherschränke, und finde es schön, so neue entdeckungen zu machen (niemand macht damit gewinn, ist einzig die freundlichkeit der menschen) oder auch mal ein buch zu verschenken. erinnere mich noch, dass ich in unserem scheidungshaushalt gerne die bücher meines vaters gelesen habe, und würde im prinzip gerne so etwas wie eine familienbibliothek anlegen, die auch noch ein paar generationen mitmacht. brauche natürlich erst einmal ein stammschloss oder so. Ist ja auch ein fluch irgendwie wenn die familien so durch die gegend getrieben werden. Gibt allerdings ein Haus im familienbesitz, wo ich schon irgendwie davon fantasiere, einen Boden herauszuhauen und eine dreistöckige Bibliothek einzubauen, dann spart man sich auch den Quatsch mit den Leitern.
https://www.berlin.de/special/sharing/oeffentliche-buecherschraenke/
In ganz F’Hain, kein einziger Bücherschrank. Nicht gut.
Ich lese auch nach wie vor Bücher als Papier. Aber diese Bücherschränke! Sie erdrücken mich. Nichts gegen eure Bücherschränke. Nur mich erdrücken sie. Aber es sind jetzt nicht mehr so viele.
Doch! https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_%C3%B6ffentlicher_B%C3%BCcherschr%C3%A4nke_in_Berlin
pff. als inhaberin einiger voller bücherregale darf ich im namen aller mit ähnlichen wohnumständen auf den wunderbar beruhigenden effekt von büchern hinweisen. sie sind mir wand und zuhause, grade in finsteren zeiten, gelesen oder ungelesen, ich habe aber natürlich auch gar keinen penis.
Deine Wohnung kann ich mir ohne Bücher auch gar nicht vorstellen!
Bei Ágota Kristóf gehe ich sofort mit, genieße ansonsten aber auch das befreiende, erleichternde Gefühl beim Aussortieren und Rausstellen. Nur weil ich euch msl gerne gelesen habe, müsst ihr nicht den Rest meines Lebens um mich herumstehen, denke ich inzwischen und winke freundlich zum Abschied.