[Do, 4.1.2024 – Reden über lange vergangene Zeiten]

Am Abend traf ich Giulia. Eine Bekannte von vor ganz langer Zeit. Giulia war eine italienische Kunststudentin, die Mitte der Neunzigerjahre für ein Jahr in Utrecht studierte. Irgendwie landete sie in unserem besetzten Haus in der Lange Nieuwstraat und blieb dort für einige Zeit wohnen. Als sie wieder zurück nach Italien zog, besuchte ich sie einmal, als ich mit meiner damaligen Freundin auf der Durchreise nach Rom war und dort bekam ich von ihrer Mutter die beste Pasta der Welt aufgetischt. Danach verlor sich unser Kontakt. Sie besuchte Utrecht noch ein paar Mal, aber ich zog einige Jahre später nach Madrid und so verloren sich die Spuren. Bis ich sie vor einigen Jahren auf Facebook wiederfand und sie einfach anschrieb. Das mache ich manchmal so. Wenn wir jemand einfällt, den ich mochte, suche ich jene Person auf Facebook und schreibe sie an. Das ist immer nett.

Wir hatten uns bereits im November für den heutigen Tag verabredet. Sie hat sich kürzlichst nach zwanzig Jahren Ehe in einen Mann aus Berlin verliebt und verbringt jetzt lustigerweise viel Zeit in der Stadt. Wir trafen uns gestern also zu dritt im „Starken August“ an der Schönhauser. Ihr neuer Freund war dabei und offenbar kannten wir uns von damals in Utrecht, weil er einige Male bei uns in der Lange Nieuwstraat übernachtet hatte. Ich konnte mich aber nicht an ihn erinnern.

Wir holten viele Erinnerungen hoch. Über die Menschen von damals, sie hielt nur noch zu einer Freundin Kontakt, sie hatte aber Infos über frühere Weggefährten, z. B. über Nicolien, die eigentlich nur drei Interessen hatte und zwar Drogen, Drogen und Drogen. Sie hat jetzt offenbar fünf Kinder. Oder Linda, die zwei Interessen hatte: Drogen und Alkohol, die jetzt eine kleine Eventmanagementfirma betreibt. Das finde ich lustig.
Oder Jochem, der immer in allen Frauen verliebt war, aber nie zurückgeliebt wurde. Was ich seltsam fand, weil er eigentlich gut aussah, sich immer freundlich gab und auch durchaus intelligent war. In Giulia war er nie verliebt, sie sagte, sie sei froh darum gewesen. Jochem war sehr emotional und hatte etwas emotional-possessives. Irgendwas war immer komisch an ihm. Er ist jetzt in einer Sekte verschwunden.

Giulia wohnte in einem fensterlosen Kämmerchen unter der Treppe. Wie Harry Potter. Das hatte ich ganz vergessen. Damals gab es aber noch nicht Harry Potter. Sie hielt sich sonst immer im Wohnzimmer auf oder bewohnte die Zimmer von uns anderen, wenn wir unterwegs waren. Ein Jahr später zog Jurij in ihre Kammer ein. Jurij trank sehr viel Alkohol und wusch sich wenig. Nach Giulias Auszug kamen immer anstrengende Gerüche unter der Treppe hervor.

Ihr Freund wohnt bereits seit Jahrzehnten in Berlin. Er ist Künstler und liebt Fussball. Er war aber noch nie bei einem Spiel in einem Stadion. Wir beschlossen, das zu ändern.