[Sa, 4.5. – Zwei Mal Essen, Hochzeitstag, Penisse]

Am Donnerstag traf ich Exkollegen auf ein Abendessen im „Veronika„, eines der Lokale, die im ehemaligen Tacheles eröffnet haben. Bezüglich des Tacheles bin ich sehr ambivalent. Zum einen war das Tacheles vor der Räumung eine seltsam zerstrittene Institution mit teils kommerziellen Interessen geworden, und andererseits geschah in den letzten Jahren aus künstlerischer Perspektive nichts Relevantes mehr. Allerdings mochte ich das Tacheles aus ästhetischer Sicht, diese dramatische Ruine in Bestlage der deutschen Hauptstadt, diese Kaputtheit, aber auch die Weite der Brache, dieser Raum, dem man jahrzehntelang den Marktmechanismen entziehen konnte. Das war die Ästhetik Berlins, das, was diese Stadt in den Neunzigern zu dem gemacht hat, was sie heute für viele junge Menschen darstellt, auch ein Gegengewicht zum Bild des pünktlichen, unsinnlichen und strengen Deutschen, das im Ausland vorherrscht.

Aber das reicht natürlich nicht, wenn die Inhalte nicht stimmten. Entsprechend leise ging die Räumung des Tacheles dann auch vonstatten.

Jetzt ist das ganze Gelände an den Markt ausgerichtet. Bebaut, geschliffen. Die Architektur gefällt mir zwar gut, vor allem das Eckgebäude mit den Halbbogenfenster und auch der zweite Innenhof mit diesen versetzt gefächerten Steinen. Aber es ist halt das geworden, was man von einem Neubauprojekt in einer westeuropäischen Innenstadt erwarten kann: ein klinischer Ort.

Das Veronika wurde in die Etage ans obere Ende des grossen Bogens eingebaut. Im vierten oder fünften Obergeschoss. Das war früher einer der Übergangsflure in die hinteren Bereiche. Es ist ein schöner Raum mit dem unverputzten Mauerwerk der Ruine. Die neuen Teile sind aus dunklem Holz und schwarzem Metall. In der Mitte eine grosse Bar. Die Fenster sind riesig, das Licht fällt von allen Seiten ein, man sitzt etwas über den Dächern der umliegenden Häuser, sodass man über ein Meer aus Stadt hinausschaut. In der Nähe sieht man das goldene Dach der Synagoge in der Oranienburger, dahinter taucht der beleuchtete Fernsehturm auf.

Wir redeten über schöne Männer. Jetzt, wo es nicht mehr meine Kollegen sind, wollte ich wissen, wen sie in der Firma den schönsten Mann finden. Die Geschmäcker sind unterschiedlich, aber auf einige wenige können sich alle einigen. Aber die meisten Männer haben zu wenig Körperhaare. Und wir reden über Sex. Schwule Männer sind die einzigen Männer, mit denen man ernsthaft über Sex reden kann, ohne blödem Gekicher oder blöden Sprüchen, man kann einfach über Sex reden. Was gut ist, was schlecht ist und sich Anekdoten erzählen, die lustig sind, ohne verschämtes Gelächter auszulösen.


Nur über einen Exkollegen haben wir alle sehr gestaunt, weil der einen riesigen Penis hat, den er sich mit Silikon aufspritzen lassen hat. Der Penis ist so gross wie ein muskulöser Männerunterarm. Nicht ganz so lang, aber mindestens so dick. Jeder kannte seinen Penis, weil sich sein Twitter-Account, auf dem er genüsslich sein Gemächt der Welt präsentiert, schnell rumsprach. Und ja, man sieht die riesige Beule auch im Alltag an der Hose. Ich bin erleichtert, dass auch meine Begleiter nicht ganz wussten, wie man einen Penis aus Silikon sinnvoll einsetzt. Grosse Penisse sind sicherlich sehr beliebt, aber es geht nicht immer nur um die Länge oder um den Durchmesser. Ein gewisser Härtegrad ist schliesslich unabdingbar. Abgesehen davon ist unser Exkollege passiv (sowas weiss man), dann kann man sich die Penisgrösse eigentlich auch sparen. Aber wir sind uns auch einig: Es gibt für jede Vorliebe einen Liebhaber.

Irgendwann werde ich gute Geschichten über die letzten vier Jahre erzählen können. Wenn einmal mehrere Grassschichten darüber gewachsen sind.

Danach gingen wir in die Bar zwei Stockwerke höher. Die Bar hat einen Balkon. Und da will man eigentlich nicht mehr runter.

Am Freitagmorgen klingelte es um 7 Uhr früh an der Haustür. Die Ikealieferung klappte endlich im dritten Anlauf. Ein Bett und ein Kleiderschrank. Leider musste ich feststellen, dass ich vergessen hatte, eine Matratze zu kaufen. Das neue Bett hat nämlich ein anderes Mass als mein bisheriges.

Der Hausflur ist mit Kartonage vollgestellt. Das wird jetzt wohl ein paar Tage lang so bleiben. Am Wochenende werde ich immerhin den Schrank aufbauen.

Am Freitag war auch unser elfter Hochzeitstag. Wir gingen in die Hostaria del Monte Croce, ein traditioneller Italiener in der Mittenwalder Strasse. Das Wort „Hostaria“ gibt es nicht. Man würde „Osteria“ dazu sagen. Warum sie sich falsch nennen, konnte ich nicht herausfinden. Das Restaurant gibt es schon seit dreissig Jahren, weder machte man damals hippe Wortspiele, noch sieht das Lokal danach aus, als würde es hippe Wortspiele machen wollen. Anfang der Neunziger war Kreuzberg ein ziemlich toter Ort, an dem niemand mehr wohnen wollte. Vor allem nicht Leute, die Wortspiele machen. Aber Monte Croce bedeutet Kreuzberg, das finde ich nett.

Das Lokal befindet sich in einer Remise im zweiten Innenhof eines Altbaukomplexes. Den Part fand ich schön. Am Eingang las ich aber, dass sie keine Kartenzahlung akzeptieren würden. Das sorgte für schlechte Stimmung bei mir. Ich fragte den arrogant und unfreundlich wirkenden Kellner etwas genervt, wo es einen Geldautomaten gäbe, woraufhin er mir den Weg erklärte, der Automat sei nicht ganz nahe, schon weiter als fünf Minuten entfernt. Der Automat stellte sich dann als defekt heraus. Man sagte mir, es gäbe noch eine Geldmaschine ein Stück weiter die Strasse hoch, an der Ampel. Dort ging ich hin, aber der war auch defekt. Googlemaps zeigte mir als nächstmögliche Option einen Geldautomaten in der entfernten Gneisenaustrasse an. Ich bekam viele negative Gefühle. Ich nahm mir vor kein Trinkgeld zu geben und auch den Grund dafür zu nennen, dass ich an meinem Hochzeitstag wegen deren Onlycash Attitüde eine halbe Stunde durch die Gegend latschen muss um an Bargeld zu kommen.

Als ich dann zurück im Restaurant war, nahm ich mir vor, die schlechte Laune nicht überhandnehmen zu lassen, das gelang eigentlich ganz gut, aber es gab kein Bier, sondern mediokren Weisswein und das Lokal war viel zu warm, die Wärme drückte sich regelrecht in dieses Lokal hinein. Draussen war es angenehm frühsommerlich kühl, es regnete auch ein wenig, aber draussen durfte man nicht sitzen und drinnen drückte alles auf mich ein. Ich ertrage Hitze schon so schlecht, aber eine drückende Hitze killt jeden guten Willen in mir. Daher weiss ich nicht, ob das Essen medioker war, oder ob meine Stimmung wenig Essensfreude zuliess. Es war vor allem salzlos, aber das kann ja auch ein Kochstil sein. Zudem wurden die Gänge in Schneckentempo serviert. Das Menü enthielt 7 Gänge, ich hatte den ganzen Tag kaum etwas gegessen, weil ich mich auf den Abend freute, so sass ich ziemlich hungrig da, stets in Erwartung auf den nächsten Gang, weil ich die Zwischenzeit mit Wesswein zu füllen versuchte, bekam ich obendrein auch noch Kopfweh. Dabei erwähnte ich noch gar nicht die Nackenschmerzen meiner Frau, die auch nicht zu unserer Stimmung beitrugen.

Nach dem sechsten Gang beschlossen wir, die Nachspeise wegzulassen und so gingen wir.

Es war nicht mein Abend. Ich bin sonst wirklich keine Diva, ich ertrage sehr viel, aber manchmal summieren sich kleine Dinge. Trotzdem bin gerne elf Jahre mit meiner Frau verheiratet.