[Sa, 11.5.2024 – das letzte Heimspiel]

Heute war ich für die Banner im Stadion zuständig, also musste ich früh zum Olympiagelände fahren.

Weil meine Frau gestern ins Ausland verreist ist, gebe ich vorher die Hündin bei einer Sitterin ab. Um 9:30 mache ich mich auf den Weg. Bereits um 9:30 sind die Bahnen mit Fussballfans gefüllt. Vor allem alte Paare. An den Buden ums Stadion herum versammeln sich schon um 10:00 Uhr Hunderte Menschen und essen die erste Bratwurst und trinken auch das erste Bier. In der zweiten Liga passiert eben alles 2 bis 3 Stunden früher, man lässt sich aber nicht von den Gewohnheiten abhalten.
Um 10:30 war ich vorm olympischen Tor verabredet. Dort trifft man sich bei jedem Heimspiel mit Klaus, den ehemaligen Wirt einer Eckkneipe im Wedding. Er lagert die Banner von verschiedenen Gruppierungen, unter anderen drei Banner, für die sich mein Fanclub zuständig sieht, also das Banner des Fanclubs selber, auch das Banner des Schwul-lesbischen Fanclubs und das grosse Banner der Stadioninitiative. Das Banner des Schwul-lesbischen Fanclubs hängt diese Saison aber nicht (aus verschiedenen Gründen), daher sind es nur die anderen beiden. Für dieses Spiel haben wir auch Tapeten gemalt. Etwa 25 Meter Raufasertapete, mit der wir unseren langjährigen Spieler Peter Pekarik verabschiedeten.
Zuerst hingen wie die Banner im Block 1.1, danach galt es aber mit den Ultras und Vertretern der Kurve die Aktion mit der Tapete zu organisieren. Normalerweise kümmert sich die erste Vorsitzende unseres Fanclubs um die Kommunikation mit denen, da sie heute aber spontan ausfiel, übernahmen das wir beide anderen Vorstände.

Alle öffentlichen Aktivitäten in der Kurve, sollte man besser mit dem sogenannten FKO abstimmen. Das FKO steht für Förderkreis Ostkurve. Wie der FKO funktioniert ist grösstenteils Magie und verläuft sehr konspirativ. Mittlerweile sind wir einigermassen gut vernetzt und wissen, wie die Hierarchien sind, mit wem wir sprechen müssen. Die wichtigste Person ist ein Mann um die Vierzig, der mit dem Namen eines Reptils angesprochen wird. Der zweitwichtigste und gleichzeitig sein Vertreter hat einen normalen Namen. Erst später kommt der Capo und Vorsänger. Wobei sich die Wichtigkeit natürlich nur auf den Aufgabenbereich bezieht. Der Mann mit dem Reptiliennamen ist der Manager, er kümmert sich um alles, er läuft ständig zwischen Eingang, Container der Fanbetreuung und Bus des FKO hin und her. Er ist ständig von Menschen umgeben. Wir müssen von ihm wissen, wann wir die Tapete hochhalten können. Es geht darum, sich mit dem Vorsänger abzustimmen, damit die Tapete auch entsprechend gesangstechnisch begleitet wird, oder eben auch nicht. Es ist alles Dramaturgie. Der Mann mit dem Reptiliennamen teilt uns mit, dass in zehn Minuten sein Stellvertreter, der mit dem normalen Namen zu uns kommt und uns die Zeit mitteilt. Wir warten 20 Minuten, aber der Mann findet uns offenbar nicht. Später kommt er selber und teilt uns mit, dass uns die Spielminute 20 bis 25 gehört.

Wir nehmen die Rollen mit hinunter in unseren Block. Die drei Rollen (10m, 10m, 5m) sind nummeriert, allerdings ist es unklar, welche Rolle die 1 und welche die 2 ist. Das Problem tritt auf, weil die Nummern in römischen Ziffern mit schwarzem Tape markiert sind. Es fehlt die Nummer II. Die I kann aber genau so gut die II sein, weil an der Innenseite der Tasche ein Streifen schwarzes Tape klebengeblieben ist. Es wäre an Peinlichkeit schwierig zu übertreffen, wenn in der Kurve ein unleserlicher Satz hochgehalten werden würde. Also müssen wir die Tapeten teilweise entrollen und sie mit den Fotos vergleichen, die geschossen wurden, als sie unter der Woche gemalt wurden. Das ist im engen, mittlerweile gut gefüllten Block nicht ganz einfach. Letztendlich können wir die einzelnen Tapeten identifizieren und ich nummeriere ich sie richtig.
Später stellen wir fest, dass zwei unterschiedliche Menschen sie numeriert haben. Eine Person klebte die Nummern in römischen Ziffern auf die Aussenseite und eine andere Person kritzelte die Zahlen auf arabisch mit Bleistift an die Innenseite. Auch diese Nummern stimmten nicht überein.
Wir stellen zeitgleich aber auch fest, dass die drei Tapeten in jeglicher Reihenfolge funktionieren. Wir lassen es so, wie wir es für richtig halten.

AUF DEM RÜCKEN DIE 2
IN UNSEREM HERZEN DIE 1
DANKE PETER!

Vor Anpfiff legen wir uns auf die Reihen in der Kurve fest. Unser Fanclub ist gross, wir belegen grob die halben Reihen 17 bis 21 auf der linken Seite in Block Q3. Die Tapeten sind je 1 Meter hoch. Es sollten also etwa 4 Reihen dazwischenliegen. Wir wählten Reihe 16, 20 und 24. Noch vor Anpfiff kam eine SMS, dass sich unser Termin auf die Minute 30 verschiebt.

Dann kann ich ein Bier trinken. Es ist schon nach 12 Uhr, das ist moralisch vertretbar. Ich hole uns zwei Bier. Nach der vergangenen und noch kommenden Aufregung ist das wie Valium.

Dann kommt Minute 30 und wir entrollen die Tapete. Der Co-Vorsitzende und ich machen den Anfang und steigen in Reihe 16 hinab. Wir hatten vorher die Leute informiert. Weiter unten, in Reihe 12 oder 13 schwenkt ein junger Mann eine grossflächige Fahne, ich bitte ihn auf mein Zeichen hin, mit dem Schwenken aufzuhören. Er wusste schon Bescheid und hörte sofort auf.

Wir hatten uns vorher darauf geeinigt, die Tapete 2 Minuten hochzuhalten. Ich fand das viel, aber ich setzte den Timer in meinem Handy auf zwei Minuten. Der Vorsitzende und ich einigten uns darauf, dass wir auf das Momentum achten und wir es eventuell frühzeitig alles wieder runternehmen.

Um Punkt 30 gehen die Tapeten hoch. Irgend ein junger Mann an meinem Ende der Tapete ist hochmotiviert und übernimmt freiwillig meinen Dienst. Ich stehe also nur davor und kontrolliere. Ich bin so aufgeregt. Als ich das erste Mal auf meinen Timer schaue, erwarte ich, dass gerade mal zehn Sekunden vorbeigegangen sind, aber es stehen tatsächlich schon anderthalb Minuten auf der Uhr.
Vor der Tribüne stehe zahlreiche Fotografen, die uns fotografieren.
Nach 2 Minuten gebe ich das Signal, sie wieder runterzunehmen. Rollen alles schnell wieder ein, stopfen es in einen Karton und bringen es raus vors Stadion zum Container der Fanbetreuung.

Als ich 10 Minuten später zurück an meinem Platz bin, höre ich einen Klingelton aus meiner Jackentasche. Es klingelt immer noch der Timer, den ich in der Aufregung gar nicht mehr mitbekommen habe.

Das Spiel endet 3:1 für uns. Nach dem Spiel kommt die Mannschaft in die Kurve. Sie wird gefeiert und weil es das letzte Heimspiel ist, auch ein bisschen verabschiedet.
Nach dem Spiel fällt die Anspannung von mir ab. Ich setze mich hin und bleibe sitzen. Auch Natalie sitzt neben mir. Wir reden noch ewig lange, während sich das Stadion leert. Wir reden über die Zukunft unseres Vereins. Der Trainer wird gehen, es steht eine Präsidiumswahl an, sie wird dann sehr traurig, als wir über unseren verstorbenen Präsidenten zu sprechen beginnen. Sie weint. Wir bleiben noch lange da sitzen. Irgendwann kommen die Ordner und bitten uns, das Stadion zu verlassen. Wir sind fast die letzten.

Wir gehen zum sogenannten Rondell. Dort bestelle ich mir eine Pommes und Anne drückt mir im Vorbeigehen ein warmes Bier in die Hand. Das Bier trinke ich nur zu einem Drittel. Ich habe zu viel Alkohol und zu wenig Wasser getrunken, mein Kopf brummt. Also trinke ich ein Wasser und bestelle mir ein kaltes Bier dazu. Danach geht es mir besser.

Mit einigen Freunden bin ich für eine kleine Saison-Abschlussparty im Schrebergarten eines Fanclub Mitglieds verabredet. Das ist nur eine U-Bahn-Station entfernt. Dort gehen wir hin, wir essen was und trinken was, um sieben Uhr muss ich aber zurück nach Friedrichshain um meine Hündin bei der Hundesitterin abzuholen.

Danach falle ich tot ins Bett und bleibe dort liegen wie ein Stein.

2 Kommentare

  1. es war interessant zu lesen, wie sich gruppen organisieren (und Sie das beschrieben haben).

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