Die Wände im Wandererhaus waren sehr dünn. Im Zimmer neben mir schlief ein dänisches Paar, das vorher noch Dänemark gegen England geschaut hatte und danach die halbe Nacht schnarchte. Sie schnarchten beide. Ich hörte zwei unterschiedliche Frequenzen.
Auf meiner morgendlichen Gassirunde durch Jokkmokk lief ich an einer Art Festwiese an der Hauptstrasse entlang. Am Ende der Wiese stand eine überdachte Bühne, wie ich sie auch aus Südtiroler Dörfern kenne. Es fiel mir auf, dass die Bühne mit weissen Kerzen vollgestellt war. An beiden Enden der Bühne hingen Trikots, die nach Eishockey aussahen. Weil das meine Neugier weckte, näherte ich mich der Bühne. Da waren sicherlich 150 weisse Kerzen platziert. Die dicken, selbst stehenden Kerzen. Wie Grabkerzen, nur in weiss. Dahinter standen zahlreiche Bilder eines jungen, lustig wirkenden Mannes. Vor den Kerzen waren Grusskarten aufgestellt, manche lagen. Es waren Dutzende. Auch lagen Schlüsselanhänger und Feuerzeuge. Und dazwischen immer die Fotos von dem jungen, lustig wirkenden Mann. Manchmal alleine, manchmal umarmt mit Kumpels. Manchmal in seinem Trikot und einem Hockeystick in der Hand.
Wir starteten vergleichsweise früh. Heute hatten wir eine längere Reise vor uns. 6,5 Stunden bis ins norwegische Alta, der letzten Etappe vor dem Nordkap. Weil die Reise heute länger dauern würde, planten wir mehrere Pausen ein, damit die Reise erträglicher wird. Die Pausen gelangen uns nicht besonders gut. Als wir losfuhren, begann es nämlich zu regnen.
Ich sitze sehr gerne bei Regen im Auto. Aber Pausen sind da weniger unterhaltsam.
Mit der Fahrt ins norwegische Alta machten wir uns auf den Weg in den Polartag. Alta liegt auf Breitengrad 69, das ist 300 km nördlich vom Polarkreis. Während der Polartag in Jokkmokk am Polarkreis genau 48 Stunden dauert, streckt sich der Polartag in Alta vom 16. Mai bis zum 26. Juli. Am 100km nördlicher gelegenen Nordkap vom 13. Mai bis 31. Juli.
Wir fuhren durch Gegenden, die ich schon oft auf Streetview gefahren bin. Ich erkannte einige Kreuzungen wieder und sogar einen Laden unweit der Grenze zu Finnland. Der Laden heisst „Arctic Livs Eurofood“ und ist eine Mischung aus Selbstbedienungstankstelle, Kiosk und Pizzeria. Die ganze Gegend wirkt auf Streetview eher flach. In Wirklichkeit ist die Landschaft bewegter, hügeliger.
Ab Jokkmokk wird die Besiedlung immer dünner, ab Gällivare sieht man sehr selten Häuser. Ab und zu eine Siedlung, die aber nicht sehr belebt wirkt. Und überall Birken. Birken, Birken, Birken. Je nördlicher man kommt, desto kleiner werden die Birken. Als wir nach Finnland in Norwegen einfahren, überqueren wir ein langes Hochplateau, das sich knapp unter der Baumgrenze bewegt. Wir haben einen Höhenmesser dabei und schätzen, dass die Baumgrenze sich hier bei etwa 400 bis 500m befindet. In den Alpen verläuft die Baumgrenze bei 2000m.
Und hier die Birken. Knapp unter der Baumgrenze sind die Birken nur noch 30cm hoch. Aber es sind immer noch Birken. Selten haben mich Birken so sehr begeistert wie in diesen Tagen. Ich wusste bisher nichts über sie, ausser, dass sie schön und freundlich sind.
Unterwegs ruft uns wieder Onkel Konrad an. Wir unterhalten uns mit ihm über die Freisprechanlage. Er will alles von unserer Reise wissen. Er ist ein bisschen langsam, sagt aber oft „aha“ und „oh“ und „ja“. Ich kenne Onkel Konrad nicht so gut. Er war immer ein alter Mann und der Vater von einem Kusin, den ich nicht sonderlich mochte. Ich finde Konrads träge Neugierde aber total niedlich.
Wir versprechen ihm, ihn morgen vom Nordkap aus anzurufen. Er hat leider kein Smartphone also kann er sich auch nicht die Whatsapp Status (das Socialmedia für die Generation meines Vater) ansehen. Mein Vater verspricht ihm alle Fotos auf dem Tablet zu zeigen.
Einmal machen wir eine Pause in Finnland. Es regnete gerade nicht. Ich wollte ein paar Schritte mit meiner Hündin machen. Aber wir befanden uns offenbar in einer Mückenkolonie. Ich habe noch nie so viele und grosse Mücken auf einem Haufen gesehen. Ich stieg sofort wieder ein. Kurz danach passierten wir die Grenze zu Norwegen. Es wehte ein kalter Wind und es regnete in Strömen. Über eine Webseite hatte ich mich über die Bedingungen eingelesen, wenn man mit Hund in dieses Land einreisen will. Man muss die rote Spur nehmen und den Hund beim Zoll anmelden. Wir warteten eine Weile auf der roten Spur, aber es kam niemand. Da ich mich mit Formalien beim Zoll nicht auskenne, stieg ich aus und lief durch den Regen zum Kontrollhäuschen. Drinnen sassen zwei kleine Frauen. Ich fragte sie, was ich tun müsse, ich hätte einen Hund dabei und hier sei der Hundepass. Ich hätte alle notwendigen Impfungen eintragen, es ginge ja vor allem um die Tollwut, ja? Sie schien verwundert, dass ich sie bei der Arbeit störte, war aber trotzdem freundlich. Sie blätterte täuschend echt überzeugend in dem Pass und kontrollierte die Stempel. Dann sagte sie everything ok und erschlug eine Mücke auf ihrem Schreibtisch.
Ich fand das lustig und fragte, ob die immer hier seien, das hätte ich so nie erlebt. Sie sagte: only one month.
Damit konnte ich irgendwie nicht viel mit anfangen.
Drei Stunden später erreichten wir den ersten Fjord und damit Alta. Dort hatte ich uns zur Abwechslung eine kleine Blockhütte auf einem Campingplatz gemietet. Das war eine sehr gelungene Unterkunft. Wir verliebten uns sofort in die Hütte. Weil es eine kleine Küche gab, fuhren wir in den Supermarkt und kauften uns Lachsfilet und Tiefkühlgemüse.
Auch statteten wir der Nordlichtkatedrale einen Besuch ab. Die soll sehr schön sein, aber wir waren müde und hungrig und der Besuch kostete 80 Kronen, also 8 Euro, dafür hatten wir in dem Moment keine Muße.
In Alta war das Wetter geringfügig besser. Zwar blieb der Himmel bewölkt, wir konnten also nichts von der Mitternachtssonne sehen, aber es blieb hell, wie am Tag, die ganze Nacht lang.
Wir sind mit dem Hund nicht durch Norwegen gefahren, weil die Entwurmung 24-120 Stunden her sein darf und wir es in diesen allerhöchstens fünf Tagen nicht von zuhause bis zur Grenze geschafft hätten. Die Frau hat wohl wirklich nur so getan, als ob sie kontrolliert.
Weiterhin eine schöne und angenehme Reise für dich, die Hündin und deinen abenteuerlustigen Vater!
Danke!
Ich las aber auch, dass die Kontrollen nicht so streng genommen werden.
Pro Tipp meiner Ärztin: sie gab mir die Tablette mit auf die Reise und trug im Impass als Datum einen Tag vor der Einreise in Norwegen ein. Natürlich musste ich versprechen, dass ich sie einen Tag vorher auch geben würde.