[Di, 25.6.2024 – Nordkapreise Tag 9. Östersund, Dalarna, Mariestad]

Die Nacht in Östersund war natürlich immer noch keine echte Nacht, sondern eine helle Dämmerung.

Heute fuhren wir wieder gegen 10 Uhr los. Das Tagesziel fanden wir im Laufe der Fahrt. Wir hatten jetzt ja eine Stunde gewonnen, dann konnten wir ja gleich auch das nächste Ziel um eine Stunde näher an Berlin verlegen. Nach langem Suchen fand ich endlich eine Stuga, also ein schwedisches Holzhäuschen mit zwei Schlafzimmern und einer Dusche für 80 Euro die Nacht in der Nähe von Mariestad. Von dort aus sind es noch einmal 12 Stunden nach Berlin, die wir diesmal durchfahren wollen. Das ist weniger schlimm, wie es sich anhört, da wir ja die Strecke auch zwei Fähren enthält.

Die Zeit der Rentiere war auf der heutigen Strecke vorbei. Südlich von Östersund verändert sich die Landschaft merklich. Es wird kontinentaleuropäischer. Die Wälder wieder dichter, die Siedlungen wieder grösser. In den letzten Tagen sind wir durch Gegenden gefahren, wo manchmal eine Stunde lang kein einziges Haus stand. Oft waren wir die einzigen auf der Strasse. Das begann sich ab Jokkmokk abwärts irgendwann zu ändern. In Östersund war die Zivilisation wieder in vollem Umfang da.

Weiter südlich begann Dalarna, diese hügelige Gegend, aus der die roten Holzpferde kommen. Die Rückfahrt hatte ich aber eher als Durchfahrtstrecke geplant, wir würden acht Stunden fahren, da gab es nicht viel Gelegenheit für einen Ausflug oder einer längeren Pause. Heute redeten mein Vater und ich sehr viel. Darüber, wie das damals vor vierzig Jahren alles so ging. Wie es dazu kam, dass unsere Familie ins Gadertal zog, warum er als Pommesverkäufer plötzlich eine Rettungsstation aufbauen musste. Undsoweiter.

Ausserdem rief uns wieder Onkel Konrad an, der uns mitteilte, dass Onkel Seppl in der Nacht verstorben sei. Tante Zita hatte neben ihm gelegen und es lange nicht bemerkt. Daraufhin telefonierten wir mit der ganzen Verwandtschaft. Das ging sicherlich zwei Stunden. Die Gespräche gingen über die Freisprechanlage. Die Nachricht des Todes kam aber nicht überraschend. Onkel Seppl wurde 91 Jahre alt und war in den letzten Monaten nicht mehr wirklich fit. Vor etwa zwei Wochen hatte er aufgehört zu essen.

Onkel Seppl war Kirchenmessner. Also der, der sich um alles kümmerte. Der, der das Weihwasser nachfüllte, derjenige, der die Gerätschaften wartete, und auch derjenige, der die Glocken läutete. Nun ergab es sich, dass der Glockenstuhl gerade saniert wird und alle sieben Kirchenglocken heruntergenommen wurden. Es sei ein seltsames Gefühl, dass die Glocken nicht mehr alle Viertelstunde läuteten. Es gibt die Glocke, die die Viertel angibt, dann die etwas wärmere Glocke, die die Stunden schlägt. Dann gibt es noch andere Glocken, von denen ich nicht weiss, was sie genau machen, ich was nur, dass sie eine Viertelstunde vor der Sonntagsmesse alle zusammen läuten. Das nennt man das Zusammenläuten. Spätestens dann muss man sich schnell in Richtung Kirche hasten. Ich habe jede einzelne dieser Glocken gehasst. Wir wohnten in der Nähe der Kirche.

Es gab allerdings noch eine Glocke, deren Existenz ich kenne. Und die ist vielleicht die Ausnahme. Das ist die Totenglocke. Die Totenglocke ist die kleinste der sieben Glocken. Und die läutet, wenn jemand stirbt. Nun ergab es sich, dass gerade beim Tod des Messners der Glockenstuhl saniert wird und die kleine Totenglocke nicht geläutet wird. Das sagte fast jeder am Telefon: Gerade wenn der Seppl stirbt, kann die Totenglocke nicht läuten.

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Zu mehr Inhalt reicht der heutige Eintrag nicht. Morgen gehen wir die lange Rückfahrt nach Berlin an. Ich habe den Wecker auf 4:30 gestellt. Es wird Zeit, ins Bett zu gehen.

Ich habe übrigens zu allen Einträgen der Reise die Strecke als Screenshot nachträglich hinzugefügt. Fürs Protokoll.

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