Auf dem Flug zurück sass eine Frau Anfang vierzig neben mir. Zuerst scherzten wir ein bisschen hier und da wegen der engen Sitze und der Gurten, die sich so schwierig einstecken liessen. Das Scherzen ging sofort in ein Gespräch über. Anfangs sprachen wir über den Grund unserer Aufenthalte in Südtirol. Sie war beruflich unterwegs, auf einer Konferenz, dabei hatte sie allerdings viel Zeit gefunden, sich in der Gegend umzusehen und war völlig von der Landschaft in der Umgebung ihres Hotels verzaubert. Wir redeten über die Berge und über Landschaften. Auch redeten wir über die bedrohliche Weltlage und wir redeten über meine Kindheit in den Bergen und dass ich mit Markus Lanz auf der Schule war. Dabei waren wir uns einig, dass sein Gesprächspartner Precht ein komischer Typ sei. Ich machte mich zwei Jahre älter, als ich tatsächlich bin, ich weiss nicht, warum ich das tat, ich lüge eigentlich nie über mein Alter und erst ist es seltsam, mich zwei Jahre älter zu machen. Sie sagte, dass ich aber wesentlich jünger aussähe. Da hätte ich schon gerne nachgeschoben, dass ich nur 49 Jahre alt bin, aber jünger auszusehen ist ja auch eine gute Sache und die Wahrheit war ja nicht wichtig, nach der Landung würden wir uns nicht mehr wiedersehen, es muss ja nicht alles immer wahr sein, man kann einfach eine schöne, kurze Zeit miteinander haben, mit ihr zu reden war sehr nett, sie war wegen des Fluges auch etwas nervös, also tranken wir Gin Tonic und stiessen auf die Flugnervosität an.
Wenn ich von mir erzähle, erwähne ich eigentlich immer meine Frau, das mache ich schon aus Gewohnheit, wenn ich beispielsweise über meine Sommerurlaube in Schweden erzähle, aber auch in anderem Kontext. Und Frauen gegenüber ist es fair, wenn man gleich den sozialen Status auswickelt, schliesslich trage ich keinen Ehering, viele Menschen achten darauf.
Heute war es das erste Mal, dass ich das nicht tat. Das Gespräch war einfach nett, ich mochte sie, ein leichter, harmloser Flirt, wir würden uns nicht mehr wiedersehen, ein bisschen fühlte ich mich wieder, als sei ich achtzehn, das kann man mal machen.
Irgendwann über Prag hatte ich wieder meine App mit den offline Karten in der Hand. Damit kann man per GPS sehen, wo man sich gerade befindet. Europa war bewölkt. Dann sagte sie: Du, ich finde unser Gespräch ja sehr schön. Es würde mich freuen, wenn wir in Kontakt blieben.
Ich sagte natürlich, dass mich das auch freuen würde und tatsächlich freute es mich auch, allerdings wurde ich auch aus einem etwas plüschigen Schlaf gerissen. Sie gab mir ihre Telefonnummer. Diese trug ich in mein Adressbuch ein und ich sagte, ich würde ihr nach der Landung, wenn ich den Flugmodus wieder ausschalte, eine Whatsapp schicken.
Zehn Minuten später erwähnte sie einen Mann, mit dem sie zusammen sei. Dieser sei Italiener und so lerne sie gerade nebenher Italienisch. Bald darauf streute ich die Erwähnung meines Schwagers. Ich bin mir nicht sicher, ob es der netten Plauderei einen Abbruch tat. Ein bisschen vielleicht schon. Aber vielleicht auch nicht.
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So viel Traurigkeit heute. Morgens, als ich mit der Hündin unterwegs war, sass eine Frau mit ihrem Telefon an einer Häuserwand und weinte so laut, dass man es in der ganzen Strasse hören konnte. Als ich zwanzig Minuten später zurückkam, sass sie immer noch da und redete laut weinend in ihr Telefon hinein.
Nachher traf ich das Frauchen von Paule. Die Frau ist 79 und schwerhörig. Sie ist nicht mehr besonders fit. Aber meine Hündin liebt sie, weil sie von ihr immer mit Leckerlis versorgt wird. Die alte Frau kam heute ohne Paule. Sie läuft neuerdings oft ohne ihren Hund, weil sie Probleme mit der Lunge hat und ihre Werte nicht gut sind, weswegen sie immer zum Arzt geht und da nimmt sie Paule natürlich nicht mit. Ich sagte schon von Weitem: „Na heute wieder beim Arzt gewesen?“ Sie redet gerne über ihre Gesundheit, die Frage kann man also stellen. Diesmal blieb sie aber sehr ernst, sie hielt an und schien nach Worten zu suchen. Dann sagte sie, dass Paule vorletzte Nacht verstorben ist.
Wie schwer der Tod eines Hundes einen trifft, habe ich erst verstanden, seit ich meine eigene Hündin habe. Vorher dachte ich immer, das seien halt Haustiere. Wie Goldfische. Oder Hamster. Wie sie über ihren Hund redete, merkte man, dass sie einen Partner verloren hat. Sie sieht ihn überall. In seinem Körbchen, auf dem Bett, in der Küche.
Paule hatte seit dem Sommer Krebs. Mit den Schmerzmitteln hielt er sich eigentlich ganz gut. Aber heute früh fand sie ihn nicht mehr. Ihre Wohnung ist zwar klein, aber Paule war unauffindbar. Bis sie in seine Hundehütte schaute. Paule lag nie in seiner Hundehütte. Die hatte er einmal geschenkt bekommen und seitdem steht sie da. Er ging aber nie hinein. Jedoch hatte er sich dort zum Sterben zurückgezogen.
Sie hat nun seinen leblosen Körper in eine Decke gewickelt und in den Keller gebracht. Heute kommt ein Freund, dann bringen sie ihn nach Pankow ins Krematorium. Irgendwann will sie sich wieder einen Hund zulegen, aber sie ist ja schon 80 und bis sie über Paule hinweg sei, dauert es ja auch eine ganze Weile. Vielleicht war es auch ihr letzter Hund.
Später im Park setzte ich mich kurz auf eine Bank. Die Hündin unterhielt sich mit einem Erdloch und ich las Nachrichten. Am Rande des Parks weinte wieder eine Frau in ihr Telefon. Sie lief langsam.
Für mich persönlich lief der Tag aber ganz okay. Die Traurigkeit um mich herum wird schon kein Vorbote sein.
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