[nötige Frische]

In meinen düsteren Stunden falte ich Schnittkäse zu länglichen Scheiben, beschmiere sie mit Tomatenketchup und esse sie.

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Im Tanzkurs kommen wir gut voran. Die Tanzlehrerin lobte uns neulich, sie kam strahlend auf uns zu und rief: „ihr seid super, ihr redet sogar schon“. Alle anderen Paare beäugten uns neidisch.
Sie konnten natürlich nicht wissen, dass wir stets nur jene Silben wiederholen, die wir mit unseren Schritten zu synchronisieren versuchen: „Wie – ge – Cha – cha – cha“

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Neulich trafen wir uns nach der Arbeit im Galeria Kaufhof am Alex, da wir ein paar Zutaten für ein feines Abendessen kaufen wollten, es war der letzte Abend bevor K für ein paar Wochen wegfahren würde, wir wollten es uns nett machen. Dann stießen wir im Galeria Kaufhof auf diesen Bierverkostungsstand mit Spezialgebräu aus Hessen und Schottland. Feine Sachen — viele Aromen, von fruchtig bis betörend, wir waren sofort verzaubert und unterhielten uns blendend mit der Verkostungsdame, die uns ständig verschiedene Biersorten ins Glas goss (geräuchtertes Malz, caramellisiertes Malz, etc., aber auch gewöhnliches Pilsmalz). Später gesellte sich ein älterer Herr dazu, der über Berliner Pilsner referierte (ich versuche ihm die Vorzüge von Berliner Kindl gegenüberzustellen, mein Sprachzentrum war zu weiten Teilen schon lahmgelegt. Die Dame von der Verkostung verdrehte die Augen und schenkte uns ein mit 18 Edelhopfen verfeinertes Märzbier ein). Um neunzehn Uhr beendeten wir die Verkostung mit einem 9,6 prozentigen VSOP (very strong old pale). Das Galeria Kaufhof wurde zu einem strahlenden Ort. Zuhause fehlte uns die nötige Frische zum Kochen, so wir riefen den Pizzadienst („Zweimal XXL, bitte“), schauten einen Film und schliefen um 21:00 Uhr ein.

[ira]

Ginge es nach mir, würde ich das ganze Jahr nur in diesen warmen Sommerregen herumlaufen. Während oben die Wolken unheilvoll ihren Zorn über uns herniedergehen lassen, laufen wir unten herum im Glauben, wir müssten Buße tun. Wir tun das mit einer gewissen Freude. Wenn Laufen nicht möglich ist, dann nehme ich auch mit Taxifahrten vorlieb, also: ginge es nach mir, würde ich ja das ganze Jahr nur mit dem Taxi in diesen warmen Sommerregen herumfahren. Letzten Freitag saß K am Flughafen Tegel fest. Es war elf Uhr abends, über Berlin tobte eine schwarze Gewitterwolke, ihrem Flieger gewährte man gerade noch die Landung, die anderen wurden nach Magdeburg verwiesen, oder nach Leipzig. Wenn man es so betrachtet, hatte sie großes Glück gehabt. Da über Berlin aber diese schwarze Gewitterwolke tobte, stellte man die letzten vierzig Flugzeuge samt der Passagiere auf Fliegerparkplätze ab und ließ niemanden aussteigen, man fürchtete des Himmels Zorn. Das zog sich bis nach Mitternacht. Im Flieger war die Stimmung dem Vernehmen nach gut, es saßen ja noch ein paar tausende weitere Leute im selben Boot oder eben in den benachbarten Fluggeräten. Die Stimmung war also gut, bis jemand die Uhrzeit erwähnte und die fehlenden Taxis, die fehlende S-Bahn, der fehlende Bus [etc]. Als K und alle weiteren Passagiere die Flugzeuge verlassen durften, hatte ich hatte diese eigenartigen Einfall, der sich zwischenzeitlich genial anfühlte, im nachhinein aber merkwürdig unlogisch war: ich bestellte mir nämlich ein Taxi und fuhr damit nach Tegel um K abzuholen.
Was ich eigentlich sagen will: ich könnte ewig im Sommerregen mit dem Taxi durch Berlin fahren.

[…]

Es passiert so wenig in meinem Leben, dass ich ständig die gleichen Sachen erzähle. Zum einen ist das die gebrochene Rippe meines Friseures, die es mir unmöglich machte, einen Termin bei ihm zu bekommen, und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem das Haar auf meinem Haupt der Form des Helmes von Darth Vader Anleihe nimmt. Als ich neulich Frau Fragmente traf sagte sie: dein Haarschnitt war auch mal vorteilhafter. Der Kontext war harmlos, die Essenz des Satzes aber unmissverständlich. Als der erste Termin mit dem Friseur stand, musste ich am Stichtag aus beruflichen Gründen absagen, als der zweite Termin stand, sagte er mir wegen der gebrochenen Rippe ab. Inzwischen lag die Begegnung mit Frau Fragmente mehrere Wochen zurück. Aus dem Gefühl heraus, mich für meinen wenig vorteilhaften Haarschnitt und der damit verbundenen Verteilung von schlechtem Geschmack, erklären zu müssen, erzählte ich allen Menschen von der Rippe meines Friseures. Ständig. Meine Mitarbeiter begrüßten mich am Morgen mit der Frage, wie es der Rippe meines Friseures ginge.
Gestern war es dann so weit, ich hatte einen Termin und er schnitt mir eine vorteilhafte Frisur. Ab Morgen weiß ich dann vermutlich nicht mehr, wovon ich reden soll.
Wäre da nicht noch das Thema Balkone. Am Mittwoch werden nach vierjähriger Vorbereitungszeit die Balkone an das Haus gebaut und bei den Ausgrabungen für die Fundamente stieß man auf das defekte Abflussrohr der Regenrinne. Das Rohr war kaputt, vermutlich im letzten Krieg beschädigt, damit nämlich von oben keine Erde in das Rohr eindringen konnte, hatte man über das Loch einen Wehrmachtshelm gelegt und mit Erde verschüttet. Letzte Woche wurde also dieser Wehrmachtshelm ausgegraben und seitdem habe ich das allen erzählt. Vermutlich würde ich noch weiter darüber reden, wenn ich es nicht totgeredet hätte.

[s-s-s-summertime]

s-s-s-summertime sadness.
s-s-s-summertime sadness.

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Wieviele Lieblingslieder ich schon verbrannt habe, indem ich sie mir als Klingelton auf das Handy lud. Wenn ich im Taxi gedankenverloren aus dem Fenster schaue und VoyageVoyage ertönt, bekomme ich immer ein Gefühl des Schreckes. Telefonklingeln ist bei mir nie positiv belegt, ich habe es schon mit Melodien verschiedener Stimmungslagen versucht. Alle Melodien sind jetzt verbrannt.

K und ich besuchen in diesen Tagen einen Tanzkurs. Bis auf einen vier Jahre zurückliegenden Versuch, einige Tangoschritte zu lernen, ist es mein erster wirklicher Kurs – und es ist das erste Mal, dass wir gemeinsam tanzen, wir möchten auf Hochzeiten eine gute Figur abgeben, wir lernen einfache Sachen, wie Disco-Fox, Slow Wals, Cha Cha Cha. Die Kursleiterin spielt uns dauernd überraschend bekannte Musik vor, K und ich staunen stets (Abba ist Disco-Fox?). Letzte Woche im Fahrstuhl wurde I will survive gespielt. Ich machte mit den Füßen: Eins, zwei, Tap. Eins, zwei Tap. Alle Melodien sind jetzt verbrannt.

s-s-s-summertime sadness.
s-s-s-summertime sadness.

Ende Juni werden die Balkone an unsere Wohnungen gebaut. Während mich dieser Summertime-Sadness-Ohrwurm plagt, musste ich beim Gedanken an einen Sommer mit Balk sofort an Summertime Love (Boys Boys Boys) denken, das war Sabrina Salerno, die uns in den achtzigern davon sang. Ich googelte sie gleich. Als Zwölfjähriger hegte ich erstaunlicherweise wenig Interesse für Sabrinas Brüste (mich faszinierten eher Samantha Fox‘ Hüften), ich war aber trotzdem in sie verliebt (ein halbes Jahr lang), was ich Jahre später dieser schwer zu ergründenden Ernsthaftigkeit in ihrem Blick zuschrieb. In Wahrheit war es wohl ein Gefühlsmix aus ihren Brüsten und Samanta Fox‘ Hüften. Sie sieht heute besser aus, reifer, in sich ruhend. Aber was weiß ich schon. Es freut mich nur für sie, als hätte ich eine alte bekannte wiedergetroffen.

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Es ist das erste Mal, dass ich mich bewusst in Wolfsburg befinde, ich sitze im ICE nach Frankfurt (M), der Zug hält zehn Minuten im Bahnhof. Ich schaue rechts über das Wasser, der See formt ein T, ich sehe das VW-Werk, das Logo prangt an der Kulisse, davor auf dem Wasser hat ein Kutter angelegt, rechts am Wasser ein gewölbter, fensterloser Bau, dahinter grün, dann ein flacher Turmbau. Meine Augen ermüden, ich fühle: Frieden.

# FFM. Das erste Mal in Frankfurt: Frankfurt ist gemütlich und schön. Wenn man das sagt, klingt es wie eine Proklamation.

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Neulich traf ich Anne Will am Rosenthaler Platz. Sie war in Begleitung einer anderen Frau, sie redeten angeregt und Anne Will trug dabei ein Laminatbrett unterm Arm, einfach so: sie lief über den Rosenthaler Platz, redete angeregt mit einer Frau und trug ein Laminatbrett unterm Arm.

[höfliche Paparazzi]

[…]

Vor wenigen Wochen träumte mir, ich solle bis zum Ende der Fussballsaison mein Gesicht nicht mehr rasieren. Das würde Hertha vor dem Abstieg bewahren. Bisher hat mein Bart die Mannschaft gerettet. Dass es in die Relegation gehen würde, hat mich überrascht, aber nur mein Gesichtshaar verlängert, sonst lediglich gutes bewirkt. Wenn ihr mich Morgen mit nackten Wangen seht, hat Hertha gewonnen. Oder auch verloren.

[…]

Ein Scheißtag geht so:

* Am Morgen fuhr ich mit dem Fahrrad über die Rosenthaler Straße zur Arbeit. Ich fuhr auf dem Fahrradstreifen rechts am Stau vorbei, wie jeden Tag, an Autos vorbei, an LKWs vorbei, doch diesmal an einem LKW der (wie ich jetzt weiß) eine Lücke für ein Auto offen hielt, das in eine Hoteleinfahrt einbiegen wollte. Der LKW versperrte mir (man ahnt es) die Sicht auf das einbiegende Auto und er versperrte auch (man ahnt es) dem einbiegenden Auto die Sicht auf mich. Als der Fahrer des abbiegenden Autos und ich einander in die Augen starrten, begann die obligatoriche Zeitlupe, ich zog an den ungewohnt straffen Bremsen meines niegelnagelneuen Fahrrads, das sich quälend langsam überschlug, während ich mit einer akrobatischen Bewegung auf der Motorhaube aufpolterte. Ich blieb einen Augenblick an der Frontscheibe kleben und ich schaute in des Fahrers käsefarben ausgebleichtes Gesicht, wie ich selber aussah, weiß ich nicht. Ich ließ mich von der Motorhaube rutschen, tat irgendwie gekünstelt verärgert und streckte meinen Körper, um eventuelle kaputte Körperteile zu erfühlen, Wirbel und Knochen, wusste auch nicht genau, was ich checken sollte, ich habe keine Checkliste für Körperfunktionen, ich dachte an Oma, die nach dem Sturz vom Heuboden sagte, sie habe ihre Beine nicht mehr gespürt und blieb danach vierzig Jahre im Rollstuhl sitzen, aber ich spürte Zehen und Finger, es musste wohl alles gut sein und dachte dann Scheiße, muss ich jetzt die Crime Scene Investigieren? Oder Fingerabdrücke verwischen? Ich spürte die vielen Blicke der Verkehrsteilnehmer im Stau, erwarteten sie jetzt eine Eskalation? Erwarteten sie Bestandsaufnahme, Anruf der Polizei, Anwaltsdrohnungen? Ich gab dem Autofahrer schließlich zu verstehen, er solle weiterfahren, er nickte erfreut und fuhr los.

* Am Abend verlor dann Hertha gegen Düsseldorf in einem unheimlich düsseligen (ok, sorry) Fussballspiel. Wir saßen im neuen social-room der Firma, und schauten der klasse gespielten ersten Hälfte zu und sahen danach, wie Hertha sich nach dem Gegentor wieder selbst auseinandernahm, in elf kleine Brocken, die der Logik des Balles nicht mehr zu folgen imstande waren. Das, was wir die ganze Saison schon zu sehen bekamen. Ich habe sie aber noch nicht aufgegeben, am Dienstag erst entscheidet es sich, so unkonstant, wie sie dieser Jahr gespielt haben, schaffen sie bestimmt noch ein 7:0. Oder ein 0:7.

* Nach dem Spiel gingen wir auf die Straße, wir waren auf dem Weg nach hause, wir redeten von schlechtem Fussball, ich wollte die Kette von meinem Fahrrad lösen, doch es dauerte lange, bis ich verstand, warum ich so desorientiert in die Gegend schaute. Weil ich mein niegelnagelneues Fahrrad nämlich nicht mehr sah. Das war sehr ärgerlich. Allerdings nicht unironisch, wenn ich bedenke, dass das mein erstes richtig Neues und Gekauftes Fahrrad war.

Aber eigentlich war es gar kein Scheißtag.

[…]

Ich hatte nicht vor, viel zu reden, doch nach vier gewechselten Sätzen hatte uns der Taxifahrer das Thema Hertha BSC übergeholfen, woraufhin er mir seinen verzweifelten Seelenzustand offenlegte, wie er nachts nicht mehr schlafen könne, wie diese Mannschaft seine Wochenenden ruiniere, sein Leben ruiniere, wie die Arbeitskollegen ihn am Montag immer auslachen, wie man noch einen Spielverzögerer namens Ottl in der Mannschaft aufstellen könne, wie man diese Abwehr überhaupt noch Abwehr nennen könne, wie sie sich erlaubten, für ein unverschämtes hohes Spielergehalt, Menschen das Leben zu versauen.

Am Anfang versuchte ich zu relativieren, ich merkte aber schnell, besser in das vorbeiziehende Brandenburg hinauszuschauen.
Die Saison geht dem Showdown entgegen.