[fuba]

Okay, Fußball, irgendwann muss ich das Fass wohl aufmachen. Lisa und ihre Kleeblätter steigen in die erste Liga auf und bei dieser Gelegenheit hat sie ein Stöckchen geschnitzt. Ich bin dabei.

1) Erzähl mal – welcher Verein und warum?

Neben einer ziemlich rationalen Begeisterung für eine handvoll Clubs, ist die Beziehung zwischen Fußball und mir vor allem ein ständiges Abwiegen von Dos und Don’ts, weswegen ich in den Neunzigern auch nichts mit Fußball am Hut hatte, haben wollte. Ich empfand den Fußball zu jener Zeit als eine Anhäufung von unsympathischen Männern mit Schnurrbart und Dauerwellfrisuren, die Testosteronfußball spielten und von einer Masse rechtsradikaler Gewalttäter in den Stadien angeheizt wurden. Das war die Wahrnehmung und zu einem gewissen Teil entsprach es wohl auch der Wahrheit. Anfang der Neunziger stand ich auf einer Autobahnraststätte zwischen Firenze und Rom und hielt ein Pappschild mit der Aufschrift Roma in der Hand, in der Hoffnung, dass mich jemand mitnehmen würde. Es hielt ein Auto mit vier glatzköpfigen Kerlen, die mir das Gesicht und den Rücken blau schlugen, mit der Warnung, mich nicht in Rom blicken zu lassen, da man Abschaum wie mich dort aufhängen würde. Ich hatte grüne Haare und sie trugen Trikots eines römischen Clubs, das war wohl die Symbolik klar gekennzeichneter Fronten. Ich hatte eigentlich nichts gegen Fußball, aber der Fußball schien etwas gegen mich zu haben. Oder zumindest dessen Knechte. Und ich etwas egen die.

In meiner Kindheit war ich ein begeisterter Balltreter. Jeden Nachmittag spielten wir auf dem Bolzplatz. Als Achtjähriger schoss ich in der Dorfmannschaft (auf dem großen Fußballplatz) ein Tor aus dem Mittelfeld. Ich hielt zu Inter Milan (ich bin ja in Italien aufgewachsen), mein bester Freund hielt zu Juve. Inter hatte damals dieses Maskottchen, das so etwas wie einen kleinen Drachen in blau-schwarz darstellte. Mir gefiel das gut. Juve war zwar erfolgreicher, sie hatten aber diese schwarzweißen Trikots, denen konnte ich nichts abgewinnen. Zeitweise hatte ich ein Faible für den ACF Fiorentina, da mich der Spieler Carrasco unheimlich beeindruckte. Ich hielt auch eine Zeitlang zu Sampdoria Genova, jedoch weiß ich nicht mehr, warum. Später kehrte ich wieder zu Inter zurück. Ich bin wohl unstet.
Danach begann ich Punkrock zu hören und fand körperliche Betätigung ziemlich affig und Leute die körperlicher Betätigung zuschauen noch viel affiger. Und sowieso war alles affig, was mit Menschenmengen zu tun hatte, und überhaupt: alles faschistoid.

Ab 2002 begann ich wieder Länderspiele zu schauen. Die WM, dann die EM, dann die WM in Deutschland. 2006 wohnte ich in Deutschland. Da hat Fußball richtig reingehauen. Boink.
Letztendlich hat mich jedoch der FC St.Pauli mit dem Fußball versöhnt. Das mag daran liegen, dass ich 500 Meter vom Stadion entfernt wohnte, aber es war wohl hauptsächlich die Fankultur, in der es möglich schien auch ohne Aggressionspotential Fußballbegeistert zu sein. Bei Länderspielen war das schon der Fall, doch im Clubfußball traf es auch auf Pauli zu. Zudem hatte sich St.Pauli offensiv gegen rechte Strukturen gerichtet, das reichte mir aus, um meiner Neugierde nachzugeben und ins Stadion zu gehen. Beim ersten mal am Millerntor war ich über die soziale Zusammenstellung verblüfft. Es gab zum Beispiel: Frauen. Ganz normale, unaufgeregte Frauen. Auch ganz normale Männer. Sie tranken Cola oder Bier. Sie jubelten wenn ein Tor fiel und jubelten nicht, wenn keines fiel. So einfach war das. Da ging ich öfter hin und als St.Pauli von der damaligen Regionalliga in die zweite Liga aufstieg, stand ich zusammen mit tausenden Leuten auf der Reeperbahn und feierte den Aufstieg. So weit war es gekommen.

Mit dem Umzug nach Berlin verlor ich den Club ein bisschen aus den Augen. Ich informierte mich aber wöchentlich über den Tabellenstand und drückte für einen Aufstieg in die erste Liga die Daumen, das hätte mich sehr gefreut. Aus der Ferne merkt man allerdings auch, wie sehr (ohje und nun schlagt mich bitte nicht!) St.Pauli ein Szeneclub ist, der sich als Underdog, charmant aber schamlos aus der Symbolik und der Haltung der Szene bedient und diese nährt. Es ist okay, es ist nett, aber uff, Szene finde ich mittlerweile sehr anstrengend.
Als St.Pauli in die erste Liga aufstieg, freute ich mich, gleichzeitig machte aber die etwas behäbige und unsexy Hertha aus Berlin dramatische Schlagzeilen und stieg mit lautem Getöse in die zweite Liga ab.
Es mag durchaus ein wenig Lokalverbundenheit sein, dass ich dem Leid der der Hertha nachging, ich interessierte mich immer schon sehr für das lokale Geschehen. Ein weit entfernter Club wie Werder Bremen hat mich aufgrund der Entfernung schlicht nie erwärmt. Ich mag die Themen, die der lokale Pöbel kennt. Ich mag diese halbe Stunde am Samstagnachmittag, wenn sich am Alex fast unbemerkt der Farbanteil von blauweiß im Stadtbild verzehnfacht und in Richtung Olypiastadion wieder abebbt. Oder ich mag es, wenn in der S-Bahn fünf Kindern auf dem Weg ins Stadion sitzen und im Hertha Trikot über Fußball fachsimpeln wie Erwachsene. Oder noch besser: wenn das ältere Ehepaar mit Herthaschals nach dem verloreren Spiel geknickt in der U-Bahn sitzt und ein junger Asiate in gebrochenem Deutsch sich aufgeregt danebensetzt und sagt: oh nein, ich habe gehört, schon wieder verloren und Niemeyer rote Karte. Ja, sowas gefällt mir.
Andererseits mag ich auch dieses Mainstream-Bescheidwissen, auch wenn das mit dem Club an sich nichts zu tun hat, aber ich war neulich mit einer Künstlerin verabredet, wir kannten einander noch nicht, ich rief sie an und bat um Verschiebung der Verabredung. Ich wolle mir das Hertha-Spiel ansehen, es war auf den Abend angesetzt, ich hatte falsch geplant. Mit ihrer Antwort kam ein lautes Lachen: es sei kein Problem, sie wünsche mir aber viel Spaß beim Verlieren. Keine coole Person interessiert sich ernsthaft für Hertha, aber alle wissen Bescheid.

(Nebengedanke über Coolness: ein cooler Club wie FC St.Pauli ist wiederum so Underdog, dass er ja wieder kein Underdog ist, sondern unter coolen Leuten ja schon totaler Mainstream. Andererseits ist Pauli vielleicht sogar schon wieder so cool, dass er wieder uncool ist. Vielleicht bin ich, mit meinen Gefühlen für Hertha ja wieder so uncool, dass ich wieder total cool bin. Andererseits freue ich mich ja immer noch über die Siege von St.Pauli, vielleicht färbt die Coolness ja auf mich ab.)

Als Hertha vor zwei Jahren jedenfalls in die zweite Liga abstieg, berührte mich die Berichterstattung dermaßen, dass ich mich eine ganze Nacht lang mit der Geschichte des Abstieges befasste. Hertha ist ein psychologischer Scherbenhaufen an dem sich Großmachtsphantasten versucht haben, der als Projektionsfläche für ein taumelndes berliner Selbstbild herhalten muss, ein Club, der zu Mauerzeiten aber immer der Proletenclub aus dem Wedding gewesen ist. In der zweiten Liga schien Hertha irgendwie zu sich selbst gefunden zu haben, ich folgte fast jedem Spiel und fieberte gegen Ende der Saison dem Aufstieg entgegen. Zurück in der ersten Liga kam ich dann nicht mehr davon los. Was in dieser Saison bei Hertha aber alles daneben gegangen ist, will ich hier gar nicht mehr kommentieren.
Letztlich ist die Wahl eines Fußballclubs eine Frage der Sozialisierung, und der Frage, ob man die Trikotfarbe mag, es ist eine Frage wie: wo ziehe ich hin, nach Kreuzberg, nach Mitte, in den Wedding, nach Moabit auf den Prenzlauer Berg?
Ich bin dann mal für Hertha.

2) 2) Was ist deine verhaßteste Schweinephrase?
Da der Hertha in meinem sozialen Umfeld nicht viele Sympathien zugetragen werden, musste ich mir oft anhören, dass ich Hertha nur wegen des Sieger-Fußballs möge. Erste Liga und so. Das hat sich bei der Häufung von Niederlagen allerdings wieder gelegt. Mittlerweile gibt es so etwas wie Mitleid, da mich die vielen Niederlagen sehr mitnehmen.

3) 3) Was war dein bisher unangenehmster “Feindkontakt”?
In der berliner U-Bahn. Eine Freundin aus Hamburg war zu Besuch. Sie ist St.Pauli-Fan. Der Wagen war voll mit betrunkenen Fußballfans. Sie sangen: Deutsche! Wehrt euch! Geht nicht zu St.Pauli!
Das brachte sie in Rage und sie fing an, ein paar dutzend Männer anzubrüllen, sie seien rechtsradikale Ärsche, sie sollen sich gefälligst schämen. Ich stand ihr beiseite, schaute in dreißig finstere Gesichter und wurde käsebleich. Ich hatte Angst um mein Leben. Sie war nicht zu bremsen, sie schimpfte aber dermaßen konsequent und atemlos, dass die Jungs weich wurden und bald sogar begannen, sich zu entschuldigen, das sei ja gar nicht so gemeint, sie seien ja keine Rechtsradikale, bloß Fußballfans etc. Es dauerte lange, bis die Farbe in mein Gesicht zurückkam.

4) Lustigste Fußballanekdote
Lustig ist es nicht, aber im Millerntor fallen tatsächlich immer Tore für die gegnerische Mannschaft, wenn ich Bier hole. Deshalb durfte ich nie mehr Bier holen.

5) Was ist für dich die Faszination am Fußball?
Mich fasziniert ziemlich vieles. Pferde, Lesen, Freunde, Hobbies, Hobbits. Jedem seinen Teilbereich meiner Bedürfnisse. Fußball befriedigt mein Bedürfnis, ein Team von elf Leuten beim Erfüllen von Erwartungen zuzusehen. Über einen längeren Zeitraum hinweg die Entwicklung von einzelnen Charakteren zu verfolgen. Es ist nicht viel anders als eine Serie zu schauen, nur ist der Plot ein wenig unkontrollierter, entfesselter. Zudem mag ich die eigenartig lustlose Körperhaltung von Raffael, wenn er über einen längeren Zeitraum keinen Ball bekommt.

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Das Stöckchen möchte ich an Stefan weiterreichen, der sich gerade mit dem FC aus Köln plagt, jener Club, der ab jetzt verlieren müsste, damit Hertha sich vor dem Abstieg retten kann.

[spandov]

Als wir letzten Montag spontan einen Ausflug machen wollten, fanden wir uns wenig später in Spandau an der Zitadelle wieder. K wollte da immer schon mal hin und ich auch, dieses Spandau, das ist dieser Ort am Ende der S-Bahn, hinter der Havel, es hat eine eigene Alstadt und die Zitadelle, es lag immer auf meinem Bildschirm der Orte, zu denen man einmal hin muss, entweder wenn man nichts besseres vor hat, oder wenn die Tage trübe sind. Wir stiegen am Bahnhof Zitadelle aus und liefen den Menschen nach, sie schienen uns ein sicheres Indiz für diese Burg, da es sonst am Bahnhof nichts viel gab neben Verkaufshäuser für Autos und Möbel. Wir erreichten die Zugbrücke, sahen verkleidete Ritter, Prinzessinnen, Knechte, Musikanten, viele Kinder, es fand ein Fest im Inneren statt, vor dem Eingang staute sich eine Schlange beim Kartenverkauf. Wir standen eine Weile auf der Brücke, schauten den Menschen zu, wogen ab, ob wir nicht besser ein andermal zurückkämen, wenn nicht so viel Trubel herrsche (seit wann weichen wir dem Trubel aus?), schlenderten dann einfach weiter nach Spandau hinein, man sieht das, was sich als Spandau ankündigt ja schon von weitem, wenn man diesen Damm hinunterläuft und über die Havel schaut, es hat etwas von einer kleinen Festungsstadt, immer noch, auch wenn es jetzt praktisch Berlin geworden ist. Hinter der Brücke über die Havel folgten wir den Schildern „Stadtmauer“ und „Kolk“, gelangten dabei in eine bruchstückhaft romantische Gasse mit Fachwerkhäusern, die wir unmittelbar mit Hexenhäusern assoziierten. Dann überquerten wir wieder den Damm um in den größeren Teil der Altstadt zu kommen, spazierten durch die Gassen und setzten uns in ein Restaurant mit dem Namen „satt und selig“ in dem wir eine Cola (ich) und einen Weißwein (K) tranken. Danach entschieden wir uns, ins Olympiastadion zu fahren, ich sagte, das sei ein ziemlich tolles Gebäude, man könne das richtig besichtigen wie ein Museum. Es kostete sieben Euro pro Person, die ich zuerst nicht zahlen wollte, das kam mir so blöd vor, ich wollte eigentlich nur K zeigen, was für eine beeindruckende Sogwirkung das Stadion hat, wenn man es von der Ostseite betritt und sich dieser rieseige ovale Raum unter einem öffnet. Dafür sieben Euro zu zahlen fand ich übertrieben, vor fünf Jahren war das umsonst. K überredete mich, es doch zu tun, danach blieben wir fast drei Stunden, liefen durch die leeren Ränge, spazierten über das Maifeld, schauten uns die Ausstellung an, sahen einen Dokumentarfilm und fuhren am Ende sogar mit dem Aufzug in den Glockenturm hoch und blickten über ganz Berlin hinaus. Wir überlegten, Karten für das Herthaspiel am Tag darauf zu kaufen, wir setzten uns zur Probe in die Stühle, es war dann aber doch zu kalt und Hertha würde ohnehin verlieren, so kollektiv mit zehntausenden Leuten zu verlieren, ich weiß nicht, ob ich das gut finden soll, ich verliere lieber alleine vorm Bildschirm. Sage ich jetzt so.

[…]

Bei Ikea in Tempelhof lief ich beinahe Raffael, dem Mittelfeldstar von Hertha BSC in die Arme. Ich kam von der Warenabholung zurück und wollte zu K sagen, alles sei geklärt, dann sah ich Raffael neben ihr stehen, er hatte ein Billy-Regal auf seinem Einkaufswagen und telefonierte, schaute zu Boden, schaute zu mir her und wie ich so auf ihn zuging, wollte ich meine Arme heben und ihm Mut zusprechen, so wie ich es eigentlich immer mache, wenn ich ihn auf dem Rasen sehe, ich wollte rufen: ich glaube noch an euch. Da ich mich im Griff habe, unterließ ich es, schüttelte meine euphorische Blüte ab und wandte mich K zu, der ich flüsterte, psst, da hinter mir, das ist Raffael, worauf sie sagte, achso, sie hätten einander gerade ein bisschen gelangweilt angeschaut. Ich war entsetzt, Mensch, Du kannst Raffael doch nicht einfach gelangweilt ansehen und sie sagte: er hat angefangen.

[bumm]

Bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm bumm

Herzklopfen kommt ja immer eher martialisch daher, wie ein kriegerisches Trommeln, weniger wie ein schicksalshaftes Anklopfen an der Tür, mehr wie ein Poltern, bumm bumm bumm (periodisch)

[mo, 26. mär]

„Beruhigend hässlich hier“ – Alexanderplatz.

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Soap&Skin – Voyage Voyage. Beim Konzert Anfang Februar habe ich ihr nur verübelt, dass sie Cry Wolf nicht gespielt hat und auch nicht das neue Boat turns toward the port. Sonst verübele ich ihr nichts mehr. Mittlerweile ist es umgeschlagen in Angst, ich habe nur noch Angst, sie könne ihre Musik in fünf oder zehn Jahren peinlich finden und ich wäre um unerträgliche Musik gebracht, die mich tagein tagaus mit Brutalität niederknüppelt, ich weiß nicht, warum ich mir das antue, aber ich höre das jeden Tag, am Morgen beim Putzen der Zähne, um mich einzustimmen auf den Tag.

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So.

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Noch ein Nachgedanke zu Soap&Skin, den ich im obigen Absatz aus melodischen Gründen nicht unterschieben wollte. Es geht um die Beobachtung, dass ihr Publikum im Durchschnitt doppelt so alt ist wie sie selbst. Als wir damals (TM) zu den Bands gingen, waren wir nicht immer unter uns? Waren die Vierzigjährigen dann nicht bei den Stones? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Suspekt finden soll, ähnlich wie bei Helene Hegemann, die den größten Zuspruch ja auch von den Ü40-ern bekam, oder ob sie sozusagen als eine Art Heintje für unsere Generation funktioniert. Ich habe keine Antwort darauf, ich finde es lediglich suspekt.

[di, 20. mär]

Das erste mal bei Tageslicht aus dem Büro gekommen. Ich hatte das Gefühl, mich davonzuschleichen, als würde ich heimlich shoppen gehen, Hosen kaufen oder was weiß ich. Zuhause habe ich dann online einen neuen Ebook Reader gekauft.

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Kulturkritik: noch nie wurde eine Frau auf dem Fahrrad schöner inszeniert als Nina Hoss in Petzolds neuem Film Barbara. Sie wirkt dabei immer ein bisschen entrückt, als würde sie ihr Fahrrad spazierenbringen. Dann die Aufnahmen, wie sie im Wind über den Deich fährt, vermutlich musste sie an jenem windigen Nachmittag hundert Mal über den Deich fahren, bis Petzold alle Einstellungen im Kasten hatte, mit denen er später den Film bespicken wird. Nachher bekam sogar K Lust, den Platten ihres Fahrrads zu reparieren.

[do, 15. Mär]

An Maximilians neuem Buch, für das ich am Samstag endlich ausgiebig Zeit gefunden habe, freut mich vor allem diese neue alte Sinnlichkeit, die mir im vorigen Buch ein wenig gefehlt hat, die Texte sind wieder athmosphärischer, weniger witzig, weniger pointiert, viel mehr auf die Kulisse hin, auf die Figuren hin, die Neugierde der Erzählfigur, das sind die Stärken. Schweinsteiger würde sagen: „Wir müssen die Räume aufkriegen“, aber ich sage: „Es haben sich Räume aufgetan“. Bitte weiter so (ich bin dabei).

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Überhaupt: wieder viele Bücher von Bloggern in letzter Zeit, Pia Ziefles Suna oder Volker Ludewigs Ashby House.

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Ich muss mich noch für Samstag entscheiden. Entweder mit Freunden essen gehen, oder Hertha gegen Bayern schauen und deprimiert werden.

[mi, 7. Mär]

Vorhin bei Franziska Gerstenbergs Buchpremiere auf diese neuartige popkulturelle Referenz gestoßen. Gleich im ersten Absatz. Ein Paar mit offensichtlich sexuellen Absichten trifft sich, die Frau stellt ihre Handtasche ab und sagt: Warum liegt hier überhaupt Stroh rum? Das Paar lacht über den Witz.
Wer bei diesem Satz an dieses Filmchen gedacht hat, konnte bei der Lesung mitlachen. Das waren etwa 10 Prozent. Wann kursierte der Filmausschnitt im Netz? Vor drei oder vier Jahren? Sind es schon fünf? Die Bedeutung dieser Referenz und wie sie popkulturell neben Beatles-Zitaten oder Plattencover-Beschreibungen einzuordnen ist, diese Zuordnung auf einen bestimmten, flüchtigen Zeitabschnitt, Internethits gehen doch in wenigen, kurzen Wellen durch das Netz, gehn sie nicht? Was, wenn man diese Welle verpasst (was offenbar den meisten passiert ist, zu alt vielleicht, zu jung, vielleicht das Internet ausgeschaltet gehabt?), was ist mit denen, die erst ein Jahr später geboren wurden, stoßen die noch auf so ein Filmchen? Wird das wiederbelebt? Gibt es vielleicht eine neue Welle? Was, wenn das Buch ein Klassiker wird, wie liest man diese Referenz?

Weiß nicht. Hat mich ungemein beeindruckt. Hätte ich stundenlang darüber nachdenken können (im Kreis).

[di, 6. Mär]

Das war natürlich eine schlechte Idee, mit dem Tagebuchschreiben genau dann zu beginnen, wenn man so viel Besuch und so viele Termine hat.

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Erster März: endlich gibt es das Handyticket der BVG auch für O2-Kunden. Ich habe habe lange auf diesen Tag gewartet und mich natürlich sofort als Kunde angemeldet, die App auf mein Handy geladen und losgelegt. Das ewige Kleingeldkramen ist vorbei. Die Funktionsweise ist denkbar einfach: beim Einsteigen lasse ich mich vom Handy orten, dann fahre ich die Strecke, und lasse mich beim Aussteigen erneut orten. Wenn unterwegs ein schaffner kommt, drücke ich in der App auf „Kontrolle“ und zeige dem Schaffner den entsprechend aufscheinenden Strichcode. Am Ende der Fahrt sehe ich, wieviel es mich gekostet hat. Auf dem Weg zur Ubahn muss ich ein Telefongespräch unterbrechen um mich orten zu lassen, dann erkennt einwandfrei U-Moritzplatz und die Busstation Prinzessinnstraße, da es aber auch eine App der Deutschen Bahn ist, muss ich die Fahrklasse bestätigen. Ich stehe aufgeregt in der Ubahn und kann es kaum erwarten, kontrolliert zu werden.

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Mittwochabend saß ich mit den beiden Ex-Chefs im Felix Austria bei Zipfer-Bier und dem besten Schnitzel meines Lebens. Es war so fein, dass es auf der Zunge zu schmelzen schien.

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Am Donnerstag kamen Pino und Doris aus Wien mit ihrem dreijährigen Sohn zu Besuch. Am Abend kochten sie uns einen Risotto und wir öffneten Wein. Danach saßen wir noch lange.

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Freitag. Am Nachmittag Vita zum Mittagessen getroffen. Sie ist nicht mehr so oft in Berlin, was schade ist.

Am Abend musste ich zum Kickerturnier in der Pappelallee antreten. Das erste Berliner Startup Turnier. Mein Kollege K und ich vertraten die Firma, er im Tor, ich im Sturm. Nach anfänglicher Aufgregung merkten wir bald, dass wir gar nicht so schlecht spielten, wir erreichten locker das Achtelfinale, gewannen dann Spiel um Spiel und unterlagen erst im Finale einem kreuzberger Startup-Unternehmen 6:5 (zweimal). Mit einem zweiten Platz hatten wir nicht gerechnet, unser Ziel war es lediglich eine gewisse Firma (die ich aus Gründen hier nicht nennen sollte) aus dem Rennen zu schießen, was wir sozusagen mit links (6:2) erledigten (Chef jubelte).

Nach der Preisverleihung gingen wir ins Cafe Liebling am Helmholtzplatz und tranken auf den guten Turnierverlauf. Als das Café leergetrunken war (okay, es gab noch Vorräte), spazierten Pino und ich nach hause, wir liefen über die Kastanienallee, wir hatten uns viel zu erzählen also kehrten wir noch am Zionskirchplatz auf ein Bier und einen Whisky ein, bis man uns dort die Rechnung vorlegte.

In der Nacht träumte mir, dass ich das zweite Startup Kickerturnier organisierte. Ich musste mich dem durchaus berechtigten Vorwurf aussetzen, dass es sich bei Firmen wie Immobilienscout (die mit einem 8-köpfigen Team anraten) schon seit etwa 10 Jahren nicht mehr um ein Startup handelte. Dieser Vorwurf wiederholte sich ungefähr fünfzig mal.

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Der Samstag begann spät und der Kopf brummte. Doris war in der Stadt unterwegs, K war in Frankfurt (M), Pino und ich gingen mit dem Kleinen spazieren. Mitte und Prenzlauer Berg ist voll mit Kinderspielplätzen. Das war mir nicht bewusst. Ich wohne unweit vom Arkonaplatz, ich laufe dort ständig vorbei, aber den riesigen Spielplatz, der sich förmlich aufdrängt (die Riesenrutschbahn wirkt wie eine architektonische Dominante am Platz), habe ich nie bemerkt. Es ist beachtlich, wie sich Dinge, die man nicht braucht, ausblenden lassen. Wenn ich jetzt von der Anklamer auf den Arkonaplatz einbiege, dann sehe ich nur noch Spielplatz.

Am Nachmittag gingen wir zum Wirtshaus Mitterhofer. Wir standen vor einer geschlossenen Tür. Deshalb rief ich die Tischreservierungsnummer an. Der Wirt (ein alter Freund) nahm ab und sagte, er habe wegen des Fußballspiels (Hertha gegen Werder im Olympiastadion) geschlossen. Der Wirt ist Werder-Fan, ich sagte, dann hoffen wir mal, dass Hertha gewinnt, was er nicht ganz so lustig fand (ich auch nicht).
Um 15:30 war ich wieder zuhause, weil das Spiel begann. Hertha spielte nicht gut, gewann aber das erste mal seit Oktober.
Später kamen Doris und Pino nach (die nach dem Mittagessen eine Freundin besuchten), auch K kam aus Frankfurt zurück und so saßen wir alle auf dem Sofa und schauten die Sportschau.