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In einem Meeting letzte Woche einen tollen Kugelschreiber geklaut. Er ist lang und konisch, liegt daher gut in der Hand, indem er oben mehr Gewicht hat als unten, er liegt also schwer zwischen Daumen und Zeigefinger, wie eine schwere Diva im Sessel, eingenebelt in Opiumrauch, rezitiert Baudelaire, zeichnet beiläufige Bewegungen mit ihrer Federboa in die Luft, hat Atem wie Blei, und ein Gemüt wie modriges Erdreich.
Blöd nur, dass es aus Plastik ist, und orangefarben.

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Den ersten Mai in Charlottenburg verbracht.

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Mein Androidphone kennt schon das Wort uninspiriert. Das Wort inspiriert habe ich ihm heute beigebracht. Das fiel mir auf als ich schrieb: nicht inspiriert.

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Den ersten Mai in Charlottenburg zu verbringen fühlt sich an, wie ein Statement zu setzen, dabei war ich nur mit Freunden im Museum, die Sammlung der Surrealisten an der Schloßstraße ansehen. Hans Bellmer, Paul Klee, Max Ernst, besonders von Hans Bellmer war ich angetan, von seinen modularen Puppen: Hüfte, Bein, Geschlecht, Bein, Hüfte, beweglich, drehbar, immer die geschlechtliche Pose. Er war lebenslang unzufrieden mit seinen Studien an den Holzpuppen.

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Uninspiriert bin ich natürlich überhaupt nicht.

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Der geklaute Kugelschreiber ist nicht nur orange und aus Plastik. Er trägt der Schriftzug „Maturity“.
Keine Sorge. Das ist nur ein Firmenname. Ein Werbegeschenk.

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Nur das mit der Groß-kleinschreibung, das ist eine mühsame Angelegenheit– Ich könnte ja nur noch über mein neues Handy reden. Ich habe das Fahrrad wieder stehen lassen, damit ich UBahn fahren kann und dort ein bisschen, öhm, nunja, Sachen mit dem Handy zu machen. Gerade jetzt mit der Datenflat. Übrigens will ich keine Simsen mehr, schreibt mir Emails, die bekomme ich genau so schnell wie Simsen, nur ohne den soundsovielen Cents.

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Am Wochenende vieles ohne das Handy gemacht. Am Sonntagabend aber habe ich mich mit Frau Casino von Hotelmama getroffen und wir haben rumgenerded. Sie mit dem iPhone und ich mit dem Androiden.
OK wir haben auch geredet.

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K habe ich vor einigen Wochen, aus Vorfreude über mein bald zu bekommendes Handy, so sehr damit vollgequatscht, dass sie kurzerhand in den Laden lief und sich selbst eines kaufte. Noch lange bevor ich meines bekommen sollte. Ich war rosarot vor Neid.
Sie sagte, das habe alles sehr sinnvoll geklungen, was ich ihr gesagt hatte.

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Hey. Zurück aus den Untiefen.

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Wo fängt man eigentlich an?

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Aus Angst, wie ein oberlehrerhafter Relevanzblogger zu klingen, wollte ich nicht gleich mit der Anschaffung meines Android-Phones beginnen, das hat gleich sowas Aufklärerisches, Investigatives, deshalb: Hey. Zurück aus den Untiefen.

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So ganz nebenher: ich habe mir ein Android-Telefon angeschafft. Ich telefoniere wenig, fand iPhones zwar ganz nett, aber ich kann keine Apple-Produkte kaufen, das fühlt sich an, wie bei McDonalds zu essen oder Waffen bei der C.I.A. zu beziehen (haha). Doch vor wenigen Wochen hat sich mir der Nutzen dieser Smartphones erschlossen. Schon nur das Lesen von Mails mit einer Hand in der UBahn war ein Punkt, Skype auf dem Handy, GPS, Wasserwage, Kompass und all diese Dinge sind Dinge die unabdingbar für mich zu werden dingsen.
(HTC Legend. Android-Linux 2.1)

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Meine Lieblingsapp heißt Antennas. Sie zeigt mir über Openstreetmaps den Handymasten an, mit dem ich verbunden bin. Wenn ich durch die Stadt spaziere, wechsle ich manchmal die Straßenseite um die Dächer nach meinem Handymasten abzusuchen.
Und manchmal wünsche ich mir, dass mich ein Auto überfährt.

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Falls mein Blögchen hier in den nächsten Tagen ein wenig Schluckauf haben sollte, dann keine Sorge. Es zieht nur um. Neues Rechenzentrum, neue Hardware, neues Glück.

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Ich laufe in diesen Tagen täglich über die Admiralsbrücke und es war dieser erste Sonnentag vor drei Tagen, an dem dort schon die ersten jungen Leute mit den Gitarren saßen und taten, als sei wieder Sommer, so sentimentalmäßig sofort aus den Löchern gekrochen und den Sommer hervorgekramt, weil man ja verliebt war, letzten Sommer, als man dort saß, unter dem niemals dunkel werdenden Himmel über Berlin.

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Das Wochenende als Anlass genommen, wiedermal rauszugehen, Abstand zu nehmen. Freitag klappte nicht, aber am Samstag dann mit K zu Elisabeths Buchpremiere gegangen, und dabei vor dem ersten vorgelesenen Wort bereits einen Liter Bier getrunken, was sehr okay war, ich habe mich einlullen lassen, vom Text, auch von dem Sänger auf der Bühne, der mit seiner Gitarre die Lieder zwischen den Texten begleitete. Am Ende der Lesung war ich sehr betrunken, und irgendwie befriedet, K und ich spazierten nach Hause, nahmen die Route durch den Rummel an der Kastanienallee, kauften auf dem Weg noch Bier, dann waren wir irgendwann zuhause, und der Abend zu Ende. Wir schliefen am nächsten Tag lange.

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Gegenüber mir stand der Punk in der U8, rechts daneben ein Hiphopper. Am Alex stieg ein kleiner, dicker Polizist in Uniform hinzu. Er war sehr klein und sehr dick, machte einen ungeschickten Eindruck, er stand neben dem Punk und dem Hiphopper. Er fühlte sich feindmäßig. Der Punk sah abfällig an ihn hinunter, der Hiphopper sah abfällig an ihn hinunter. Dann kam eine einbeinige Bettlerin im Rollstuhl den Gang heruntergerollt, sie fragte nach einer kleinen Spende. Natürlich weiß sie um das Bettelverbot, aber sie hatte den Polizisten nicht bemerkt. Der Polizist griff in die Tasche, holte ein zwei Euro Stück heraus, wollte es ihr geben, doch dann schlug die Ubahn aus, das Geld fiel zu Boden, die Frau im Rollstuhl rollte einen Satz nach vorne, der Polizist konnte sich nicht halten, fiel um, landete auf den Knien, die Frau im Rollstuhl konnte sich im letzten Moment noch an der Stange festhalten, bevor sie den Polizisten überrollt hätte. Das zwei Euro Stück landete zwischen den Beinen des Hiphoppers, der Polizist landete mit der Nase daneben. Der Hiphopper hob das Geldstück auf, wollte es dem Polizisten geben, der stand auf, rückte sich die Uniform zurecht, schaute im Stolz gekränkt, der Hiphopper gab das Geldstück der Bettlerin, die Bettlerin bedankte sich beim Polizisten mit überbordenden, aber sehr ernst gemeinten Dankbarkeit. Der Polizist wich nervös ihrem Blick aus. Der Punk daneben schaute abfällig, der Hiphopper daneben schaute abfällig.

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Heute bei Stevans Buchvorstellung im Kochlust an der Alten Schönhauser Straße gewesen. Mit K und auch V war dabei. Mann, kann der Mann vorlesen.

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Hat gerade seinen Grund, nicht Tagebuch zu bloggen. Manchmal kommt man mit den Tagen nicht so klar. (Ha, und die Nächte erst!).

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Schon beim Einbiegen in meine Straße sah ich ein Stück weiter das Blaulicht blinken, mehrere Wagen standen da, Polizei, Feuerwehr, ein weiteres Lalüüüü holte mich ein, als ich an meiner Türe stand. Die Straße roch nach verbranntem Holz, das riecht anders als brennende Luxuskarossen, denn wenn es in Berlin nach Rauch riecht, dann denkt man in letzter Zeit immer an gewisse Automarken, aber das roch ganz eindeutig nach Holz, das kenne ich von meinem Dolomitendorf, in dem ja nur mit Holz geheizt wird, und den ganzen Winter über riecht es immer so. Ich hatte keine Lust weiterzulaufen, um zu sehen was los ist, mensch Holz, mir doch egal, eine Wohnung wird gebrannt haben, ich werde es später in der Zeitung lesen, mich interessieren ja immer die Brandursachen, war es ein Kurzschluß, war es ein Bügeleisen, ich habe ja immer diese Horrorbilder im Kopf, wenn ich gerade im Kino sitze und die innere Checkliste ablaufe: Herd aus? Heizung aus? Kerzen aus?
Hier hat man jedenfalls nur noch eine junge Frauenleiche aus der brennenden Wohnung im ersten Geschoß holen können. Sie hatte sich selbst angezündet.

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Die andere Sache, war das mit den Bandidos im Alexa. Ich war mit K im Alexa verabredet, wir sollten die Brille abholen, und wie es aussieht, treibe ich mich wirklich nur noch im Alexa herum, kein Wunder, dass ich Tage lang nichts mehr aufgeschrieben habe, aber egal, Bandidos im Alexa, das war dann doch ein bisschen Gemulme, man liest ja vom ausgebrochenen Rockerkrieg, wegen den Überläufern von Bandidos zu den Hells Angels, von Leuten in Hellersdorf, die auf offener Straße erschossen wurden, der eine, der eine Axt in seinen Oberschenkel bekommen hat und von der Massenschlägerei in der Oranienburger bei denen die Leute Masken trugen, das sind so Bilder aus einem schlechten Film, und ich fühlte mich auch in einem schlechten Film, als ich das Alexa von der Grunerstraße aus betrat und drinnen der ganze Vorhof mit Lederjacken tragenden Bandidos gefüllt war, richtig so wie man sie aus den Zeitungen kennt: Lederjacken, Ketten, ärmellose Jeansjacken, fette Ohrringe, Sonnenbrillen, Metallgegenstände in den Händen, achtzig oder hundert Typen stand da, eine Testosteronwolke hing dort im Hof, das shoppende Publikum machte große Bogen oder beobachtete aus der Ferne, und weil ich erstmal dachte, in einem schlechten Film zu sein, ging ich auf die Typen zu, und ehe ich es richtig verstand, ließen sie mich einfach vorbei, sie gingen zur Seite und ließen mich vorbei, einfach so, ja warum auch nicht, aber trotzdem, irgendwie verstanden wir das beide nicht, der Bandidohaufen und ich. Doch als ich dann vorüber war (es dauerte ewig) schaute ich mich zur Sicherheit doch noch ein paarmal um, wegen der Sache mit dem Messer im Rücken, das ist ja so bildhaft in der Sprache, dass man gar nicht darum herumkommt, es sich vorzustellen, wenn man daran denkt. Und so halt.

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Am Samstag am Alex gewesen, wir stiegen aus der U8 an die Oberfläche, die Sonne schien uns ins Gesicht, wir blinzelten, und die Jacken, die wir trugen, waren eigentlich zu dick. Die Menschenmengen waren versammelt, unter der ersten Frühlingssonne zusammengekommen, die Gesichter lächelten alle, ausnahmslos, sie lächelten alle, sie lächelten alle, sie lächelten alle. Samstagnachmittag am Alex, zehntausende lächelnde Menschen. Ich sagte zu K, komm, lass uns einmal um den Platz herum laufen, das gibt es so nicht oft.