M

ein russischer Freund, der Punk, als wir gesternfrüh auf Stufen in der Danziger saßen und in die Morgensonne blinzelten und ich ihn fragte womit er nun seine Brötchen verdiene, erwiderte, er hätte sich jetzt verkauft. Er würde Kritiken aus Finnland ins Russische übersetzen, er habe Urlaub nehmen müssen um mit seiner Band in Deutschland zu spielen. Ah, sagte ich, Ausverkauf, weil sich für die Arbeiten die wir erledigen niemand finden läßt der es umsonst tut. Sonst wäre sie ja schön, die Arbeit. Und so gäbe es jemand der es erledigt haben wolle und jemanden dafür entlohne. Korrekt, sagte er, er wolle ja auch, dass das alles da draußen funktioniere. Die Geldautomaten, jemand der das Bier zapfe, gar jemand der es braue, und nicht zu vergessen: die Ubahnen! Fuck the System, erinnerte ich ihn. Fuck the system, erinnerte er mich. Aber, eröffnete ich ihm, ich hätte ohnehin immer die Welt im Kopf gehabt, und legte nach: dass es Aufgaben zu erfüllen gebe. Das ganze Ding am Drehen zu halten. Er schaute mich an und sagte, ich hätte zuviel Nietzsche gelesen. Wie er darauf käme, fragte ich, ich mochte nur Zarathustra, und davon lediglich Richard Strauß‘ Ouvertüre. Das wäre ihm zu pompös, ihm läge mehr an Bach, kleine Ameisen, eifrig am Bauen, unbemerkt, das ganze Ding am Drehen halten. Mit System. Er vergäße die großen Gesten, warf ich ihm vor. Mit Pomp die Schlucker zu Königen. Und wer dann wohl die Ubahnen baue, fragte […]

Wäre jemand so nett mir ein/e/n Ostdeutsche/n/s Autor/in/Buch zu empfehlen?
Ich suche erzählende Prosa über den Alltag in der DDR, vorzugsweise Berlin. Alltag, also Einkaufen, Arbeiten, gerne auch Liebe, Aufstand etc.
Der beste Tip kriegt aufrichtigen Dank.

bis die Motten kommen

Jette öffnet ihren Schrank und will das selbe u.a. von mir. Natürlich folge ich dem Ruf, schließlich habe ich seit zwei Wochen einen Kleiderschrank, was ich schon lange erwähnen wollte, aber nicht wußte wie. Und weil das so schön ist, erwähne ich dies in der ersten Frage gleich nochmal.

Hast Du einen normalen Kasten oder z.B. einen begehbaren Kleiderschrank? Wie groß ist er?
Ich besitze seit etwa zwei Wochen einen Kleiderschrank.

Wieviele und welche T-Shirts sind darin?
Ich finde darin fünf Tshirts. Schwarz. Drei davon trage ich.

Und wie sieht’s mit den Tops aus?
Das habe ich mir abgewöhnt.

Wieviele und welche Kleider?
Stehen mir irgendwie nicht. Vor allem nicht die Kurzen.

Auch Röcke?
Kilt sieht nur mit den richtigen Socken gut aus.

Wieviele und welche Pullover besitzt Du?
In meinem Kleiderschrank liegt ein Pullover. Er ist dunkelgrau. Getragen habe ich ihn zum letzten mal vor — das liegt bestimmt zehn Jahre zurück.
Aber früher, ja früher, trug ich immer einen gelbschwarzen Bienemaja-Pullover. Immer. Auch wenn er nicht mehr so gut roch. Und dazu trug ich immer eine grüne Hose die ich zu kurz abgeschnitten hatte (Immer. Auch wenn sie nicht mehr so gut roch). An den Füßen baumelten schwere, Schweizer Armeeschuhe aus den waswassich-zigern. Mein Haar war damals Sparkassenrot, und dermaßen verfilzt, dass es aufrecht stand.
Als ich eines abends durch die Bozner Erbsengasse spazierte, kamen mir eine Mutter und ihre kleine Tochter entgegen. Und die Erbsengasse war immer schon ein wenig düster. Die Mutter wechselte unmittelbar die Gassenseite als sie mich sah. Die kleine Tochter, eine etwa siebenjährige Rotznase, die von diesem etwas unglücklichen Manöver ihrer Mutter (die Erbsengasse ist auch sehr schmall) nichts mitbekommen hatte, zeigte auf mich und schrie: „Schau Mama, der Pumuckl!“.
Am nächsten Tag trug ich schwarz. Seitdem nur noch.

Und Westen?
Sieben. Davon sechs Schwarze und eine Graue. Ich trage sie allerdings nicht mehr seit ich so dick geworden bin, da ich darin aussehe wie ein Onkel der sich auf Hochzeiten besäuft und sabbernd junge Mädchen anlächelt.
Dabei will ich doch nur nett sein.

Wieviele und welche Jacken?
Etwa zehn identische, schwarze Samtjackets, zwei schwarze Cordjackets, drei verdammt gut sitzende Anzugsjackets und eine Jacke für drüber wenns mal kalt ist. Ohja und eine Lederjacke die ich dringend mal zum Schuster bringen muss.

Und Mäntel?
Ich sehe darin aus als trüge ich nichts darunter.

Wieviele und welche Jeans hast Du?
Ein Paar. Trage ich allerdings nur bei Umzügen.

Auch andere Hosen?
Ja. Die restlichen zehn, zwanzig, sind Nadelstreifen. Mit Bügelfalte.

Wie sieht’s mit Accessoires aus (Gürtel, Schals, etc)?
Hosenträger.
Und ein stählerner Bergbursche wie ich trägt natürlich keine Schals.

Was ist sonst noch in Deinem Kasten bzw. begehbaren Kleiderschrank?
Unterhosen!. Eine sogar in rot.

Welche sind Deine Lieblings-Klamotten?
Viel Auswahl habe ich ja nicht. Alles gleich, da.

Was machst Du, wenn Dir etwas zu gross / zu klein geworden ist?
So lange anziehen bis mir die Luft wegbleibt.

Knöpfe annähen etc. – Machst Du das selbst?
Klar doch. Kurz bevor ich ersticke, platzen glücklicherweise meine Hosen. Weil das immer öfter passiert bin ich sozusagen ein Knopfannähweltmeister geworden.

Wieviele und welche Schuhe hast Du in Deinem Schuhschrank?
5 Paar schwarze Lederschuhe. Ein Paar schwarze Lederschuhe aus 1939. Ein Paar Bergschuhe (um den Prenzlauer Berg hochzuklettern). Ahja und ein Paar Sportschuhe zum Völkerballspielen.

Und ich werfe weiter. Erst will ich von Maestro37 wissen welche Art Socken er in seinem Kleiderschrank versteckt, dann soll mir Burnster mal seine Tops zeigen.

Und immer wieder dieses wunderbare Gefühl. Leider geht es wegen meteorologischen Einschränkungen nur einmal im Jahr. Aber es ist immer wieder ein unbeschreiblich schönes Gefühl: rausgehen zu den Mitrauchern, bedeutungsschwanger in den Himmel schauen, den Mund ein wenig verziehen und sagen: Das wars jetzt mit dem Sommer.

Gestern, mangels anderer Momente des Glücks, gleich dreimal gemacht.

W

enn ich Diktator von Berlin wäre, dann würde ich den Großen Bunkerberg im Volkspark Friedrichshain kahlschlagen. Alle Bäume weg und meinetwegen in die Gärten der Bäumeschützer verpflanzen und dann am Südwesthang des Berges mehrere breite, ineinander verschlungene Steintreppen bauen lassen, mit einzeln, von Künstlern entworfenen Laternen an vielen Ecken. Die Treppen wären immer wieder von kleinen Terrassen unterbrochen wo Liebespärchen knutschen, und dicke Italiener Eis verkaufen. Abends säßen auf den Treppen Leute beim Schachspiel oder die Dorfjugend beim Umwerben der angereisten Weltenbummler. Es säßen dort natürlich auch die unvermeidbaren Gitarrenspieler die sich bei Wein und Hanf in die Herzen der gutgläubigen Mädchen einspielen, und auch die Landschaftsmaler, die, die den Abendhimmel rosapinkorange malen. Und die älteren Ehepaare oder frisch Verliebten, den Blick gen Westen, man sähe die Abendsonne hinterm Brandenburger Tor verglühen, die breiten Alleen, die Spitzen der Türme und nachts die Lichter der Stadt die den Wein aus der Flasche versüßen. Und oben auf dem Gipfel auf der Plattform stünden natürlich Skulpturen. Jeden Monat neue.

Aber nein, Berlin hat diesen 78 Meter hohen Berg, mitten in der Stadt, eigentlich eine Sensation, dann kommt man außer Atem auf dem Gipfel an, und alles was man sieht: Bäume. Dichte, hohe, dunkelgrüne Bäume. Langweilige, weitsichttötende, bäh, Bäume.

Wenige Monate bräuchte ich nur. Als Berliner Diktator würde man mich natürlich bald stürzen, ich wäre grottenschlecht, ich würde die Stadt vermutlich in ein wirtschaftliches Desaster steuern, aber wenige Monate bräuchte ich nur um den Bunkerberg kahlzuschlagen, die Baumfreunde mundtot zu machen und diese Treppen zu bauen. Wenige Monate nur.

leibesmüh'

Gründe, diese Fragmente und Anekdötchen und ab und zu eine kurze Geschichte ins Netz zu stellen gibt es viele. Viele kleine Gründe, neben all den Großen. Derzeit halten mich kleine Gründe davon ab, die großen Texte – also die Großen in Termen der Länge und nicht der Größe – hier reinzuparken. Es paßt nicht, und die kürzeren Sachen sind zu lang, dass sie es vermutlich nicht schaffen die kurze Aufmerksamkeitsspanne der Bildschirmleser festzuhalten, letztendlich will ich halt auch nur, dass das Zeug auch gelesen wird, so richtig gelesen eben, innehalten und mitschwitzen, ich will ja nicht fiesen Nieselregen schreiben.
Dann kommen die Leute die sagen es sei vergeudete Müh‘ die Texte ins Netz zu kippen, ja auch das Kurze, man solle es verschließen bis es verlegbar werde, nur dann sei es wirklich ernsthaft und wirklich wirklich. Hamse natürlich recht auf der einen Seite, aber das ist so unwichtig, aber sowas von.

Und dann kommt jemand völlig Fremdes aus dem Netz, gibt in der Suchmaschine seiner Wahl Judith Hermann 2007 ein, landet bei dieser Anekdote und unternimmt dann etwas, bei dem ich mir dann denke, ja genau, ja genau dafür tuh ich es (neben dem Nobelpreis natürlich).

arno schmidt ist unterwegs.
für die jh geschichte.
gruss aus berlin

(Blöd nur, dass Amazon lediglich meine alte Adresse hat)

dem Genitiv sein Tod

„Und warum ist der Dativ ’sein Tod‘?“
  „Weil ungebildete Leute wie wir, der Einfachlichkeit wegen, den Dativ benutzen“
„Wie geht Genitiv? Mach mal ein Beispiel bitte.“
  „Die Mutter des Vaters“
„Und Dativ?“
  „Oma“

[klatschen, Abgang, Vorhang zu, Currywurst]