Am Montag war ich mit einem Ex-Kollegen aus. Als ich anfing, war er noch nicht so lange in der Firma, er wurde aber bereits Ende November wieder entlassen. Wir verstanden uns jedoch auf Anhieb. Er ist ein sehr wacher und analytischer Geist, mit dem ich gute und äußerst anregende Gespräche führen konnte. Da er in Uhlenhorst wohnt, bat ich ihn, mir seine Lieblingsbars in seiner Nachbarschaft zu zeigen. Obwohl ich vier Jahre in Hamburg wohnte, ist diese Ecke der Stadt wirklich ein blinder Fleck für mich. Ich bin ja eher mit dem Hamburger Berg sozialisiert, also St. Pauli, Altona, Eppendorf, Eimsbüttel, und ich war gestern völlig überrascht davon, wie sehr Hamburg hier Amsterdam ähnelt. Die hohen Herrenhäuser und die flachen Brücken mit den Kanälen. Das kannte ich gar nicht von hier. Ich fand Hamburg ja immer erstaunlich wasserlos, wenn man bedenkt, dass es die große Hafenstadt der Republik ist und für Schiffe sowie die Elbe und Barkassenrundfahrten bekannt ist. Ich war nach dem Umzug nach Berlin schließlich richtig erstaunt, wie viel Wasser es wiederum in Berlin gibt, da überquert man ständig Kanäle und Wasserläufe. In Hamburg hingegen, wird man von der Elbe und den Containerschiffen regelrecht überrumpelt. Hamburg ist zwar wesentlich maritimer, ich mag das auch, aber das liegende Wasser in Berlin, erinnerte mich doch eher an Amsterdam oder die Niederlande, wo ich damals ja mehr oder weniger herkam.
Uhlenhorst also. Und Winterhude. Da gibt es die Kanäle und Brücken.
Wir trafen uns an der Alsterperle und liefen mit einem Wegbier am Wasser entlang bis nach Winterhude zum Mühlenkamp. Dort auf dem Weg gibt es einen Aussichtspunkt, von dem aus man über die Außenalster hinweg die Hamburger Skyline überblicken kann. Vorn das Wasser, hinten die Türme. Der Michel, St. Katharinen, das Rathaus, der Fernsehturm und die leuchtenden Lichter, die sich im Alsterwasser spiegeln. So kannte ich diese Stadt gar nicht.
Mein Ex-Kollege ist ausgesprochener Kapitalist und politisch im konservativen Weltbild verankert, er ist jedoch ein überzeugter Demokrat und einem offenen politischen Diskurs zugeneigt. Ich empfinde es als einigermaßen wohltuend, mich mit ihm über die aktuelle Weltlage zu unterhalten. Er öffnet mir Perspektiven, die mir vorher nicht ganz klar waren. Er ist Volkswirt, entsprechend entsetzt ist er über die ausgebliebene Rentenreform und die vielen sinnlosen Staatsausgaben. Andererseits ließ er sich wiederum bei sozialen Themen von mir einfangen. Aber wie das eben immer ist: Die Wahrheit bei Politik liegt immer in der Mitte. Derzeit gibt es aber nur linke und rechte Blöcke. Mit dieser Erkenntnis bemängelt er auch die Blockbildung in der CDU, seiner Partei, die auch in diesen beiden Blöcken aufgeteilt ist, bei der es aber momentan keine vernünftige Mitte mehr gibt. Die CDU als in Teilen links zu bezeichnen, fand ich eine sehr gewagte These, aber ich verstehe schon, was er meint, dort gibt es auch diese Unversöhnlichkeit in den Blöcken.
Nach der Entlassung hat er beschlossen, sein Leben in Deutschland aufzugeben und nach Bali auszuwandern. Dort wird er eine Weile von seinen Rücklagen leben und versuchen, sich eine Remote-Beratungsdienstleistung für deutsche Firmen aufzubauen. Er ist Finanz- und Buchhaltungsspezialist und stellt sich vor, Dienste als Interims-CFO oder sogar als externer CFO anzubieten. Ich rechne dem Modell durchaus Chancen zu. Währenddessen wird er von etwa 1500 bis 2000 Euro monatlich in Bali leben, zum einen, weil die Lebenskosten dort günstig sind, aber auch, weil er, wie er sagt, Minimalist ist und nicht viel zum Leben braucht. Zudem hat er ein glückliches Händchen mit Aktien und er hat ein ziemlich stringentes Vorgehen, wie er in sein ETF-Portfolio investiert. Er macht es nämlich so: Er achtet darauf, wenn es Kurseinbrüche gibt. Sobald sich der Kurs um 20 % erholt hat, steckt er immer wieder Geld hinein. Nicht alles, nur ein bisschen. Du musst immer den perfekten Tiefpunkt erwischen, sagt er. Er ist gerade 36 Jahre alt, die Finanzierung seiner Rente hat er bereits durchgeplant.
Sein Weltbild ist allerdings sehr düster. Er will weg aus Westeuropa, weil er mit einem Kollaps der Sozialsysteme und damit einhergehenden Unruhen rechnet. Außerdem ist er fest davon überzeugt, dass Deutschland innerhalb der nächsten 3 bis 5 Jahre von Russland angegriffen wird. Er will auf Bali sitzen, wenn das passiert. Einen finanziellen Plan dazu hat er auch. Wenn Krieg in Europa ausbricht, werden die Aktienkurse dramatisch einbrechen. Sobald er das Gefühl hat, dass sie den Tiefpunkt erreicht haben, spätestens aber, wenn sie sich wieder um 20 % erholt haben, geht er all-in. Dann setzt er sein ganzes Geld auf den Weltmarkt. Du musst immer den perfekten Tiefpunkt erwischen.
