Okay, Fußball, irgendwann muss ich das Fass wohl aufmachen. Lisa und ihre Kleeblätter steigen in die erste Liga auf und bei dieser Gelegenheit hat sie ein Stöckchen geschnitzt. Ich bin dabei.
1) Erzähl mal – welcher Verein und warum?
Neben einer ziemlich rationalen Begeisterung für eine handvoll Clubs, ist die Beziehung zwischen Fußball und mir vor allem ein ständiges Abwiegen von Dos und Don’ts, weswegen ich in den Neunzigern auch nichts mit Fußball am Hut hatte, haben wollte. Ich empfand den Fußball zu jener Zeit als eine Anhäufung von unsympathischen Männern mit Schnurrbart und Dauerwellfrisuren, die Testosteronfußball spielten und von einer Masse rechtsradikaler Gewalttäter in den Stadien angeheizt wurden. Das war die Wahrnehmung und zu einem gewissen Teil entsprach es wohl auch der Wahrheit. Anfang der Neunziger stand ich auf einer Autobahnraststätte zwischen Firenze und Rom und hielt ein Pappschild mit der Aufschrift Roma in der Hand, in der Hoffnung, dass mich jemand mitnehmen würde. Es hielt ein Auto mit vier glatzköpfigen Kerlen, die mir das Gesicht und den Rücken blau schlugen, mit der Warnung, mich nicht in Rom blicken zu lassen, da man Abschaum wie mich dort aufhängen würde. Ich hatte grüne Haare und sie trugen Trikots eines römischen Clubs, das war wohl die Symbolik klar gekennzeichneter Fronten. Ich hatte eigentlich nichts gegen Fußball, aber der Fußball schien etwas gegen mich zu haben. Oder zumindest dessen Knechte. Und ich etwas egen die.
In meiner Kindheit war ich ein begeisterter Balltreter. Jeden Nachmittag spielten wir auf dem Bolzplatz. Als Achtjähriger schoss ich in der Dorfmannschaft (auf dem großen Fußballplatz) ein Tor aus dem Mittelfeld. Ich hielt zu Inter Milan (ich bin ja in Italien aufgewachsen), mein bester Freund hielt zu Juve. Inter hatte damals dieses Maskottchen, das so etwas wie einen kleinen Drachen in blau-schwarz darstellte. Mir gefiel das gut. Juve war zwar erfolgreicher, sie hatten aber diese schwarzweißen Trikots, denen konnte ich nichts abgewinnen. Zeitweise hatte ich ein Faible für den ACF Fiorentina, da mich der Spieler Carrasco unheimlich beeindruckte. Ich hielt auch eine Zeitlang zu Sampdoria Genova, jedoch weiß ich nicht mehr, warum. Später kehrte ich wieder zu Inter zurück. Ich bin wohl unstet.
Danach begann ich Punkrock zu hören und fand körperliche Betätigung ziemlich affig und Leute die körperlicher Betätigung zuschauen noch viel affiger. Und sowieso war alles affig, was mit Menschenmengen zu tun hatte, und überhaupt: alles faschistoid.
Ab 2002 begann ich wieder Länderspiele zu schauen. Die WM, dann die EM, dann die WM in Deutschland. 2006 wohnte ich in Deutschland. Da hat Fußball richtig reingehauen. Boink.
Letztendlich hat mich jedoch der FC St.Pauli mit dem Fußball versöhnt. Das mag daran liegen, dass ich 500 Meter vom Stadion entfernt wohnte, aber es war wohl hauptsächlich die Fankultur, in der es möglich schien auch ohne Aggressionspotential Fußballbegeistert zu sein. Bei Länderspielen war das schon der Fall, doch im Clubfußball traf es auch auf Pauli zu. Zudem hatte sich St.Pauli offensiv gegen rechte Strukturen gerichtet, das reichte mir aus, um meiner Neugierde nachzugeben und ins Stadion zu gehen. Beim ersten mal am Millerntor war ich über die soziale Zusammenstellung verblüfft. Es gab zum Beispiel: Frauen. Ganz normale, unaufgeregte Frauen. Auch ganz normale Männer. Sie tranken Cola oder Bier. Sie jubelten wenn ein Tor fiel und jubelten nicht, wenn keines fiel. So einfach war das. Da ging ich öfter hin und als St.Pauli von der damaligen Regionalliga in die zweite Liga aufstieg, stand ich zusammen mit tausenden Leuten auf der Reeperbahn und feierte den Aufstieg. So weit war es gekommen.
Mit dem Umzug nach Berlin verlor ich den Club ein bisschen aus den Augen. Ich informierte mich aber wöchentlich über den Tabellenstand und drückte für einen Aufstieg in die erste Liga die Daumen, das hätte mich sehr gefreut. Aus der Ferne merkt man allerdings auch, wie sehr (ohje und nun schlagt mich bitte nicht!) St.Pauli ein Szeneclub ist, der sich als Underdog, charmant aber schamlos aus der Symbolik und der Haltung der Szene bedient und diese nährt. Es ist okay, es ist nett, aber uff, Szene finde ich mittlerweile sehr anstrengend.
Als St.Pauli in die erste Liga aufstieg, freute ich mich, gleichzeitig machte aber die etwas behäbige und unsexy Hertha aus Berlin dramatische Schlagzeilen und stieg mit lautem Getöse in die zweite Liga ab.
Es mag durchaus ein wenig Lokalverbundenheit sein, dass ich dem Leid der der Hertha nachging, ich interessierte mich immer schon sehr für das lokale Geschehen. Ein weit entfernter Club wie Werder Bremen hat mich aufgrund der Entfernung schlicht nie erwärmt. Ich mag die Themen, die der lokale Pöbel kennt. Ich mag diese halbe Stunde am Samstagnachmittag, wenn sich am Alex fast unbemerkt der Farbanteil von blauweiß im Stadtbild verzehnfacht und in Richtung Olypiastadion wieder abebbt. Oder ich mag es, wenn in der S-Bahn fünf Kindern auf dem Weg ins Stadion sitzen und im Hertha Trikot über Fußball fachsimpeln wie Erwachsene. Oder noch besser: wenn das ältere Ehepaar mit Herthaschals nach dem verloreren Spiel geknickt in der U-Bahn sitzt und ein junger Asiate in gebrochenem Deutsch sich aufgeregt danebensetzt und sagt: oh nein, ich habe gehört, schon wieder verloren und Niemeyer rote Karte. Ja, sowas gefällt mir.
Andererseits mag ich auch dieses Mainstream-Bescheidwissen, auch wenn das mit dem Club an sich nichts zu tun hat, aber ich war neulich mit einer Künstlerin verabredet, wir kannten einander noch nicht, ich rief sie an und bat um Verschiebung der Verabredung. Ich wolle mir das Hertha-Spiel ansehen, es war auf den Abend angesetzt, ich hatte falsch geplant. Mit ihrer Antwort kam ein lautes Lachen: es sei kein Problem, sie wünsche mir aber viel Spaß beim Verlieren. Keine coole Person interessiert sich ernsthaft für Hertha, aber alle wissen Bescheid.
(Nebengedanke über Coolness: ein cooler Club wie FC St.Pauli ist wiederum so Underdog, dass er ja wieder kein Underdog ist, sondern unter coolen Leuten ja schon totaler Mainstream. Andererseits ist Pauli vielleicht sogar schon wieder so cool, dass er wieder uncool ist. Vielleicht bin ich, mit meinen Gefühlen für Hertha ja wieder so uncool, dass ich wieder total cool bin. Andererseits freue ich mich ja immer noch über die Siege von St.Pauli, vielleicht färbt die Coolness ja auf mich ab.)
Als Hertha vor zwei Jahren jedenfalls in die zweite Liga abstieg, berührte mich die Berichterstattung dermaßen, dass ich mich eine ganze Nacht lang mit der Geschichte des Abstieges befasste. Hertha ist ein psychologischer Scherbenhaufen an dem sich Großmachtsphantasten versucht haben, der als Projektionsfläche für ein taumelndes berliner Selbstbild herhalten muss, ein Club, der zu Mauerzeiten aber immer der Proletenclub aus dem Wedding gewesen ist. In der zweiten Liga schien Hertha irgendwie zu sich selbst gefunden zu haben, ich folgte fast jedem Spiel und fieberte gegen Ende der Saison dem Aufstieg entgegen. Zurück in der ersten Liga kam ich dann nicht mehr davon los. Was in dieser Saison bei Hertha aber alles daneben gegangen ist, will ich hier gar nicht mehr kommentieren.
Letztlich ist die Wahl eines Fußballclubs eine Frage der Sozialisierung, und der Frage, ob man die Trikotfarbe mag, es ist eine Frage wie: wo ziehe ich hin, nach Kreuzberg, nach Mitte, in den Wedding, nach Moabit auf den Prenzlauer Berg?
Ich bin dann mal für Hertha.
2) 2) Was ist deine verhaßteste Schweinephrase?
Da der Hertha in meinem sozialen Umfeld nicht viele Sympathien zugetragen werden, musste ich mir oft anhören, dass ich Hertha nur wegen des Sieger-Fußballs möge. Erste Liga und so. Das hat sich bei der Häufung von Niederlagen allerdings wieder gelegt. Mittlerweile gibt es so etwas wie Mitleid, da mich die vielen Niederlagen sehr mitnehmen.
3) 3) Was war dein bisher unangenehmster “Feindkontakt”?
In der berliner U-Bahn. Eine Freundin aus Hamburg war zu Besuch. Sie ist St.Pauli-Fan. Der Wagen war voll mit betrunkenen Fußballfans. Sie sangen: Deutsche! Wehrt euch! Geht nicht zu St.Pauli!
Das brachte sie in Rage und sie fing an, ein paar dutzend Männer anzubrüllen, sie seien rechtsradikale Ärsche, sie sollen sich gefälligst schämen. Ich stand ihr beiseite, schaute in dreißig finstere Gesichter und wurde käsebleich. Ich hatte Angst um mein Leben. Sie war nicht zu bremsen, sie schimpfte aber dermaßen konsequent und atemlos, dass die Jungs weich wurden und bald sogar begannen, sich zu entschuldigen, das sei ja gar nicht so gemeint, sie seien ja keine Rechtsradikale, bloß Fußballfans etc. Es dauerte lange, bis die Farbe in mein Gesicht zurückkam.
4) Lustigste Fußballanekdote
Lustig ist es nicht, aber im Millerntor fallen tatsächlich immer Tore für die gegnerische Mannschaft, wenn ich Bier hole. Deshalb durfte ich nie mehr Bier holen.
5) Was ist für dich die Faszination am Fußball?
Mich fasziniert ziemlich vieles. Pferde, Lesen, Freunde, Hobbies, Hobbits. Jedem seinen Teilbereich meiner Bedürfnisse. Fußball befriedigt mein Bedürfnis, ein Team von elf Leuten beim Erfüllen von Erwartungen zuzusehen. Über einen längeren Zeitraum hinweg die Entwicklung von einzelnen Charakteren zu verfolgen. Es ist nicht viel anders als eine Serie zu schauen, nur ist der Plot ein wenig unkontrollierter, entfesselter. Zudem mag ich die eigenartig lustlose Körperhaltung von Raffael, wenn er über einen längeren Zeitraum keinen Ball bekommt.
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Das Stöckchen möchte ich an Stefan weiterreichen, der sich gerade mit dem FC aus Köln plagt, jener Club, der ab jetzt verlieren müsste, damit Hertha sich vor dem Abstieg retten kann.
Hertha. I don’t like Hertha. Warum – ich hab noch nie irgendeine Vision bei denen gesehen, die auf interessanten Fußball (wie in „Fußball spielen“) hinausliefe. Selbst mit Favre haben die nur knochentrockenen Ergebnisfußball mit reichlich Suff hingekriegt. Siehe auch Löw dazu gerade: „Du musst doch einen Trainer holen, der für die Vereins-Philosophie steht. Berlin holt sich drei oder vier verschiedene Philosophien in einem Jahr“ – weil sie eben keine haben.
Wobei ja nicht der Club, sondern ein Trainer an so etwas wie Spielphilosophie arbeiten muss. Herthas Problem scheint mir, dass sich viele Phantasten daran versucht haben, einen Hauptstadtclub zu etablieren. Es ging weniger um eine sportliche Philosophie als um einen Status.
Weshalb ja so viele danach rufen, Preetz loszuwerden und neu anzufangen. Was man ja schon nach dem Hoeness-Rauswurf dachte.
(dass Du zu solchen Themen eine Meinung hast, überrascht mich jetzt aber doch)
Aah – auch Fussballabergläubisch. Wir schicken immer den Mike auf die Toilette, damit wir endlich mal ein Tor schiessen.