[seeblogger]

Nach einer Woche so gut wie ohne Internetz gleich die bewegenderen Nachrichten aus dem Netz erfahren. Von Opa Edi. Siehe hier und hier.
Ich habe ihn einmal persönlich getroffen, zusammen mit Undundund, wir besuchten Opa in dessen Nuttenturm an der Reeperbahn. Wir hissten obligatorisch die St.Pauli-Flagge, tranken Wein und später mussten wir für sein Blog posieren. Mit Sonnenbrille und Plastikpistole auf seinem Wohnzimmertisch stehend. Wir sollten auch gefährlich dabei schauen. Seine einnehmende, warme Art. Das gefiel mir. Wie eigentlich sein ganzes Blog, die Erzählungen von der See, von der Liebe und der Freundschaft, wie er die Menschen um sich scharte, die Menschen begeisterte.

Wir schrieben uns noch einige male, ich sollte ihm das KafffeeSatzLesen-Buch vorbeibringen, er sei ja so schlecht zu Fuß. Das habe ich dann nie mehr getan. Mein Fahrrad kaputt, oder das Schietwetter. Bald zog er in den Allgäu, und ich nach Berlin.

Ein reiches Leben war das.
Schade, dass das Blog jetzt weg ist. Kommt es wieder?

[Quelqu'un m'a dit]

Dabei wollte ich wirklich etwas Gutes tun. Mein Handwerker sagte, der Hausherr stelle für gewöhnlich die Musik. Es sei schon ziemlich öde hier zu arbeiten, ich hole zwar immer Kaffee und mache hin und wieder einen recht netten Witz, aber so ganz ohne Musik, er schüttelte dabei den Kopf, das sei dann doch nix. Nun ist es so, ich bin musikalisch einigermaßen versiert, hatte den Musikplayer ja schon seit Wochen in der Wohnung Baustelle, nur nie den Mut gefunden ihn auch tatsächlich anzuschalten wenn die beiden Handwerkprofis dort am Hämmern und am Sicheln waren, weil ich mich kenne, oder besser gesagt, weil ich den Geschmack der anderen Leute kenne. Ich bin da nicht kompatibel. Dabei höre ich auch wirklich viel Mainstream (Mainfluss, hehe), also so Sachen die gut im Ohr liegen, Sachen mit denen man rythmisch mithämmern kann, mitpfeifen sogar, was beim Streichen in einer kahlen Wohnung wirklich einen superschnaften Hall hergibt, ich dachte mir, jetzt legste mal etwas total seichtes auf, etwas das wirklich auf jede Kuhhaut geht, fragte nur der Form wegen: Kennste die Gattin von dem Sarkozy, weisst, dem französischen Präsidenten, jaja genau die, ja tolle Beine ich weiß, ja die macht auch Musik, ich leg das mal auf, wenns euch nicht gefällt dann macht es einfach wieder aus.
Eine halbe Stunde später lief ich zum Musikplayer, weil ich mich fragte warum da keine Musik mehr herauskam. Und dann sah ich den Player auf Mute gesetzt. Das war dann sehr kränkend wie ich fand.
Ohje, wie bringe ich den Eintrag jetzt vernünftig zu Ende, so pointiert, das geht bei mir ja gar nicht mehr, das hat so eine Rythmik die Ta-ta_ta-ta_ta-Bumm macht, und hinter dem Bumm das Klatschen, deswegen werde ich noch beiläufig erwähnen, dass mich diese Musikerfahrung sehr ins Grübeln gebracht hat, wie das wohl ist mit der Musik, es ist ja alles sehr privat, ob Carla sie vielleicht traurig gemacht hat, dieses melancholische Getütü ruft bei manchen Menschen unangenehme Gefühle hoch, der Erinnerungen wegen, oder versetzt sie in einer Zustand der Lethargie, ich weiss es ja auch nicht, und mir ist schon klar, auf dieser Ebene kann ich schriftlich keine schürfenden Gedanken ausdrücken, ich blieb ja nur hängen bei diesem Bild meiner beiden Handwerker im Kopf, wie sie verträumt und nah am Wasser die Spachtelmasse über die Mauerlöcher verstrichen und ihr eigenes Schicksal reflektierten. Mich hat das letztendlich dann wiederum eher mehr traurig gemacht, als dass es mich gekränkt hat. Aber die Sache mit dem Gekränktsein war dann halt pointierter.

[im Bau]

Achja, Tagebuchbloggen. Die Heizung ist schrott, aber das Parkett ist schön geworden, so schlägt derzeit mein kleines PunkerBürgerherz den Freudebeat zu dem man Pogo tanzen muss. Klasse Metapher, aber trotzdem witzig.
Die Tage in der neuen Wohnung werden auch nicht fröhlicher wenn man auf Leitern steht und die Heizung nicht geht, und wie der Umzug nächste Woche vonstatten gehen soll, weiß ich jetzt auch nicht, weil die Wohnung — die Wohnung ist alles andere als wohnentlich, und mittlerweile mag ich es ja, wenn mein Handwerker konsequent von Baustelle spricht, womit er ja immer der Coolere von uns beiden ist, weil ich bloß spießig mit einem verteidigenden Wohnung korrigiere.
-Okay Mek. dann bin ich um acht auf der Baustelle.
-Wohnung meinst Du.
-Ehm ja, Wohnung. Also, dann bin ich um acht Uhr auf der Baustelle, okay?
Und mittlerweile sage ich ja selber: Nächste Woche ziehe ich in die Baustelle ein, was keineswegs bitter klingt, sondern eher gleichgeschaltet. Man wird ja ganz ehrfürchtig bei so Fachmännern, wenn man sieht was die alles Bauen.
Ich kann ja nur kaputtmachen. Wenn auch ziemlich gut.

[…]

Es brennt mir unter den Fingern, den ersten Post des Jahres zu verfassen, einfach nur um zu sehen wie das aussieht, das mit dem 2009 im Datum und ha, das ist jetzt das erste mal, dass ich es überhaupt niedertippe: 2009; fühlt sich ja schon sehr vertraut an, beim Tippen kurz um ein Zeichen nach rechts, aber ach, natürlich alles hingetippter Quatsch, sehr untiefgründig und witzig noch weniger, aber […]

[…]

Wenige Bücher bis zur letzten Seite gelesen in diesem Jahr 2008:

Agota Kristof:
* das große Heft
* der Beweis
Eine Geschichte von Zwillingsbrüdern in Kriegszeit und Diktatur. Schauplatz und Zeit ist nicht genauer erwähnt, ist aber vermutlich ein Land in Osteuropa während und nach dem zweiten Weltkrieg.
Eigentlich war der Plan die vollständige Trilogie zu lesen, doch der zweite Teil (der Beweis) kam an den Erzählstil des ersten Teiles nicht ganz heran, wodurch mich der dritte Teil nicht mehr interessierte. Aber! Der erste Teil! Was für ein Text! Diese gemeinsame Präsenz aus Liebe und Abscheu, in diesem betont gefühlskalten Stil, der so konsequent ist, dass man irgendwann richtig spürt wie verzweifelt an dieser Kälte festgehalten wird um die Schmerzen nicht heranzulassen.
Mehrmals unruhig geschlafen.

Haruki Murakami
* Wilde Schafsjagd
Sehr gute Geschichte. Habe ich schonmal andernorts erwähnt.

Jonathan Safran Foer
* Alles ist erleuchtet
* Extrem laut und unglaublich nah
Von Alles ist erleuchtet war ich extrem begeistert. Die Leichtigkeit womit er mit Formen, mit Stilen spielt, diese reiche Handlung, die offensichtliche Verliebtheit zu den Details, dieses Tempo, und dann immer diese mitschwingende Ahnung, dass es traurig sein wird am Ende. Ich fand es wunderbar. Kaufte mir deshalb sofort das Zweite und habe plötzlich gemerkt, dass er uns alle verarscht. (ja. Euch auch).

Andrea Maria Schenkel
* Tannöd
Hat beim Deutschen Krimi Preis 2007 den ersten Preis erhalten. Ein Familienmord auf einem Bauernhof, erzählt als eine Kollage aus der Sicht von Zeugen, Betroffenen, Opfern. Sehr geschickt aufgebaut, sehr spannend. Zweimal habe ich mich ganz fürchterlich gegruselt.

Bernhard Schlink
* Der Vorleser
OK, über dieses Buch wurde schon vieles gesagt, sellt sich ja zum Besten und kommt im Februar ins Kino. Ist aber auch wirklich schön erzählt.

Kurt Tucholsky
* Rheinsberg
Hehe: Buh Buh! Ich habe es geliebt. Und Tucholsky war verliebt.

Patrick Süßkind
* Die Geschichte von Herrn Sommer
Ich dachte, mal sehen was der sonst noch gemacht hat, Parfüm war ja sehr virtuos. Und dann war ich sehr überrascht. Die Geschichte von Herrn Sommer ist eine kleine, leichte und sehr witzige Groteske. Etwas vollkommen anderes.

[weih]

Während ich vorhin so die Mail schrieb fiel mir auf wie merkwürdig schön|erwachsen|ausgetreten sich die Weihnacht in diesem Jahr anfühlt.
Morgen werde ich mir in einem roten Kostüm und mit weißem Bart von einigen Kindern Lieder vorsingen lassen und ich werde sie um Gedichte bitten. Später werde ich mich an die Theke in eines der wenigen geöffneten Cafes setzen und einen Schnaps trinken und an alle meine Lieben denken. Wenn ich damit fertig bin, wird es zwanzig Uhr sein und ich werde zu zwei Freunden gehen mit denen ich etwas essen werde und Wein trinken. Vielleicht laufen wir nachher noch ein wenig durch dieses wunderbar verlassene Berlin.

Immer noch auf der Suche nach diesem entwurzelten Weihnachtsgefühl.

[…]

Wir werden uns unter den Linden treffen, an der Ecke zur Friedrichsstrasse und ich werde ihr als Begrüßung einen Kuss auf den Mund geben, es ist Freitagabend, die Büros schließen gerade und die Menschen gehen auf die Straße und machen Feierabendverkehr, das ist: das Umsteigen von der U-Bahn in die Straßenbahn, das ist: schnell noch das Geschenk kaufen, das ist: im Kulturkaufhaus eine CD für das Wochenende kaufen weil es ohnehin regnen wird. Wir werden auf der nördlichen Seite zum Brandenburger Tor hoch laufen, es wird vermutlich ein bisschen nieseln, aber es ist nicht so kalt wie es scheint und wir werden uns wundern, dass es uns gar nicht stört, viel eher werden wir das Gesicht in den Himmel halten wegen der kalten Spritzer auf der Haut, das ist ja sowas wie Feierabendbier. Wie Feierabendbier?, wird sie fragen und ich werde sagen, ja, wie Feierabendbier und dann würde ich sagen, Feierabendbier sei sowas wie den Deckel oben drauf zu setzen, auf die vergangene Arbeitswoche, meine ich, und während ich das so sagen werde, werde ich mir denken, dass ich jetzt die Verbindung zu den kalten Spritzern auf der Haut nicht mehr herstellen kann, doch, vielleicht weil kalte Spritzer den Dreck wegspülen und wenn man so will, dann ist eine Arbeitswoche durchaus eine Art von Dreck, oder gewissermaßen sind Teile davon ganz offensichtlich Dreck, und wo wollte ich jetzt eigentlich hin, achja: Feierabendbier; Feierabendbier spült ja auch die Dinge weg, wenn vielleicht auch nur _hinein_ und nicht wirklich _weg_, ist mir aber ja egal, Zähneputzen ist ja auch nur ein Herumreiben von Zahndreck. Hat meine Zahnärztin vor vielen Jahren einmal gesagt. Aber das wird mir dann alles zu kompliziert zu erklären und ich werde sagen: lass uns den Film streichen, lass uns am Postdamer Platz in so eine Turikneipe einsteigen und uns mit zweidrei Feierabendbieren die Arbeitswoche hineinspülen, wir könnten am Fenster sitzen und rausschauen wie es draußen kalte Spritzer vom Himmel nieselt und sie wird sagen: aber ich will die Arbeitswoche nicht _hineinspülen_ sondern eher _wegspülen_. Und dann, ja dann. Dann werde ich mich ein bisschen komisch fühlen.
Wir werden mit den Menschen mitschlendern, den Besuchern aus dem Ausland, die alle in gräßlichen Schuhen den ganzen Tag schon herumgewandert sind, von der Aussicht zur Umsicht und nun Abends zum beleuchteten Tor am Ende der Linden pilgern, ein bisschen romantisch ist das schon, wenn man ihm sich nähert, jetzt nicht romantisch in der Liebe, aber so ähnlich fühlt sich das an, Himmel, wie komm ich da jetzt drauf, Geschichtsschwere und Herzensdinge im Gefühl zu verwechseln. Aber es sind die Leute da, es werde immer mehre, […]

[…]

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Man kann sich nur mühsam festhalten in dieser Stadt, alles ist so zerfleddert und fransig. Auch da wo die Planer mit locker aufgewürfelter Architektur das städtische aus der Stadt genommen haben. Man schwankt. Und springt deshalb von Insel zu Insel, von Kiez zu Kiez, die dichten Inseln mit den engen und schützenden Strassenzügen, man springt vom westlichen Prenzlauer Berg zum östlichen Friedrichshain, weiter nach Kreuzberg36, ins Scheunenviertel, zur Bergmannstrasse. Oder neuerdings in den neukölner Reuterkiez. Oder in die Schluchten des guten alten Charlottenburg. Weil man nicht wackeln will. Weil wir nicht umkippen wollen beim Feiern, wenn wir bis zum Umkippen feiern.

[…]

Die coole Omi bei Kaisers östlich der Prenzlauer Alee, wie sie lässig in ihrem Rollator lehnte und die Wurst in ihren tiefen Jackentaschen verschwinden ließ.
Wie verdammt cool sie war, und ich traute mich erst nicht zu grinsen, weil Omis in Ostberlin auf Rolatoren zuviel Tragik ist, weilweilweil, weil Omis auf Rolatoren in Ostberlin zuviel Tragik ist, weilweilweil.
Wie verdammt cool sie war
Wie verdammt cool sie war
Wie verdammt cool sie war