immer diese Momente der Eitelkeit

Es ist die Perspektive. Judith Hermann tippt auf ihrem Handy und schiebt ihr Fahrrad neben sich her. Sie blickt nicht auf, sie kennt den Weg. Sie blickt nicht auf, sie ist Judith Hermann. Ich sitze vor dem Dönerimbiss am S-Bahnhof und die Knoblauchsauce rinnt mir über die linke Hand während ich gierig in den Dürüm beiße und zu einem Tannenzapfen erstarre. Weil ich plötzlich Judith Hermann sehe.

Meine Backen sind voll, aber ich höre auf zu kauen. Als bräuchte ich alle fünf Sinne um diesen Moment festzuhalten. Sehen kann ich, fühlen jedoch wenig, und sowohl Geruchs- wie auch Geschmackssinn sind von der Knoblauchsauce betäubt. So sollte ich den Moment wenigstens hören können, ihre Schritte vielleicht, oder das surren ihres Fahrrads, anstatt meiner mahlenden Kiefer.

Mit vollen Backen starre ich sie an, wie sie sich mir nähert und auf ihrem Handy tippt. Sie braucht nicht aufzublicken, sie ist Judith Hermann.
Und doch tut sie es.
Sie blickt im Gehen von ihrem Handy auf und schaut mir direkt in die Augen. Ohne Vorwarnung und ohne Umweg. Direkt vom Handy in meine Augen.
Nun hatte ich als Kind schon Schwierigkeiten mit dem Fokus. Als ich beispielsweise durch die Schultafel hindurch starrte anstatt auf die Schultafel drauf. Tagträumer nannte man mich. Doch ich hatte lediglich Schwierigkeiten mit dem Fokus.
Und so auch jetzt. Mit dem Unterschied, dass ich nicht durch Judith Hermann hindurch starre, sondern auf sie drauf.

Auch sie starrt. Und während sie mich anstarrt, bin ich dermaßem im Schreck, dass ich viel Zeit zum Nachdenken habe. Doch alles woran ich denken kann ist der Fleck Knoblauchsauce den ich jetzt in meinem Mundwinkel spüre. Das heißt, ich habe den Fleck natürlich vorher schon gespürt, aber da wußte ich noch nichts von Berühmtheiten die an meinem Speisetisch vorbeispazieren werden. Und eitel bin ich nur wenn es die Umstände erfordern. Dafür ist der Knoblauchfleck in den Momenten der Eitelkeit immer so groß wie ein Ufo.

Doch ich habe Glück. Nach einigen Augenblicken schwenkt sie ihre Aufmerksamkeit von meinen Augen zurück auf ihr Handy. Ohne Vorwarnung und ohne Umweg. Und schiebt ihr Fahrrad weiter.
Judith Hermann war das, denke ich so mit vollen Backen und ufogroßem Knoblauchsaucenfleck im Mundwinkel. Sie hat ein wenig schmale Hüften. Aber dafür eine große Nase. Und ich staune wie sie auf ihrem Handy tippen kann ohne aufzusehen während sie ihr Fahrrad schiebt. Ich merke, dass dieses Verhalten zu ihren Texten passt. Sehr empathisch, das Tippen und gleichzeitige Fahrradschieben, man braucht dafür viel Verständnis für die Welt um sich herum. Viel Einfühlungsvermögen. Und sie hat tolle Schuhe.
Ich denke an ihre schönen Geschichten während sie sich mir nähert, sitze wie ein 13-jähriger Junge mit meinem Dürüm und vollen Backen und träume mit dem falschen Fokus. Als sie plötzlich genau vor mir stehenbleibt und mich wieder anstarrt. Ich hätte aus dem vorigen Moment der Eitelkeit lernen können und mir den Knoblauchfleck wegwischen. Oder wenigstens die vollen Backen entleeren. Stattdessen starre ich, unverändert. Und in dem Moment höre ich die Sauce auf meine Zeitung tropfen.

Ich beschließe nichts zu tun, weil ich ohnehin schon nichts getan habe, außer mit vollen Backen und Knoblauchsauce zu starren, so bin ich auf der sicheren Seite wenn ich weiterhin nichts mache. Weil ich nicht viel mehr falsch machen kann als ohnehin nichts zu tun.

Vermutlich tu ich so wenig, dass auch sie nicht mehr weiss was tun, und somit weiterschreitet.
Ich mustere den grossen Fleck auf meiner Zeitung. Vielleicht hat sie gesehen, dass ich die Bildzeitung vollkleckere. Den Feind beschmutzen sozusagen.

ping.

Der niedliche Telekomtechniker dem ich aus Dankbarkeit dafür, dass er mich wieder ans Internet angestöpselt hat, einen Kuchen hätte backen wollen. Er sah so nach Kuchen aus. Er war klein und hatte eine hohe Stimme, wie der Wolf aus dem Märchen, der Wolf der Kreide geschluckt hat um besser piepsen zu können und ich natürlich die Kreide mit dem Mehl verwechselt und daher gleich Kuchen backen wollen. Das habe ich ihm natürlich nicht gesagt. Nicht so jedenfalls. Deshalb habe ich ihm einen Kaffee angeboten, den er nicht haben wollte. Etwas Frischeres war ihm lieber, Wasser zum Beispiel und ich war ja immer noch froh und habe ihm Wasser eingeschunken, womit mir umständliche Erklärungen erspart blieben warum er besser nicht auf meinen Kuchen warte, weil ich ja nicht so der Kuchenbäcker bin, und vielleicht hätte ich letztendlich sogar den mir so verhassten weil peinlichen Katastrophenkuchen erwähnen müssen, weil wenn ich schon so froh bin, am Netz angestöpselt zu sein, dann rutscht mir auch alles heraus, geplatztes Ventil sozusagen, das hält DSL ja gar nicht mehr aus.

[…]

[Wegen Offline eindeutig zuviel Wolf Haas gelesen]

die letzten Stationen

Diese Abschiede. Dieses Ablaufen der letzten Stationen, zum letzten Mal ins Büro, zum letzten Mal den Rechner hochfahren. Diese Abschiede. Wie hell das Raucherzimmer eigentlich ist. Und dann, beim Abtauchen der Sonne hinterm Michel, plötzlich merken, dass ich in den beiden Jahren immer vergessen habe, diesen Sonnenuntergang zu fotografieren, diesen roten Feuerball den man dort oben im zwölften Stock in der Hamburger Kirchturmsilouette versinken sieht. Ich tröste mich damit, dass es ohnehin nur kitschig ist.

Diese Abschiede. Von den Kollegen die man mochte, immer wieder das „man sieht sich mal“ wiederholen. Dann diese verblüffende Tragik bei denjenigen zu denen man sagt, man sehe sich nicht mehr. Und mit einem langen und nachdenklichen Lächeln beiderseits hängenbleibt, bei dem man nicht genau weiß ob man sich nun freuen solle oder ob diese Nachdenklichkeit letztendlich nicht plötzlich eine merkwürdige Art von Wehmut geworden ist. Und noch ein ernstgemeintes „machs gut“ nachwerfen.

Michelina die sich über die Blumen freut, Franco über den Wein. Franco hat mir meine Lieblingspasta gekocht. Wie unentspannt ich meine Zeitung lese während ich auf das Essen warte.
Und danach dieses schöne, übertriebene und erwartete: wir werden dich vermissen. Und ich solle vorbeikommen wenn ich mal in Hamburg sei, Franco würde mir Pasta Norcina kochen.

Die letzten Stationen. Es lieber verschweigen. Der Abschied von meiner Kioskfrau bekäme eine zu schwere Bedeutung. Sie würde mir nicht mit derselben Langeweile die ich an ihr so sehr mochte, den Tabak über den Tresen schieben. Sie würde vielleicht lächeln. Der Gedanke daran lässt mich erschauern.

Abschied von Flicker [hr hr]

take me home, Flickeur

Zensur
Zensur

Ein bisschen spät, und schade, dass es – mich eingeschlossen – erst jetzt aufregt wo die Zensur auch auf europäischen Bildschirmen prangt, aber trotzdem.
Wenn man in Chefetagen, aus Angst vor sinkenden Umsätzen, staatliche Zensur unterstützt und wie in China, Menschenrechte verletzt, dann ist es mir ein Leichtes, zu sinkenden Umsätzen beizutragen. mek_wito on Flickr is deleted. Klick. Wäre schön diese URL in der Top10 von Technorati zu sehen.
Ich bin da nicht so. Take me home, Yahoo.

Und wann ist Cisco dran?

es geht um die Kunst

Der Sinn dieser Ausschreibung entzieht sich zwar meinem Verständnis, aber es geht letztendlich um die Lieterathur und deshalb wünsche ich mir eine Literatin2007 mit dunklen Haaren. Wenn möglich mit so ner Bibliothekarinnenbrille. Die mit dem dicken Rand. Ich bin mir sicher, dass hier nicht nur überaus intelligente Menschen mitlesen, sondern auch dunkelhaarige Frauen mit solchen Brillen. Bitte bewerben.

[statistik]

Gubitzstraße
Eine kleine, junge Frau ende Zwanzig öffnet mir die Tür und begrüßt mich. Aus der Wohnung riecht es nach abgestandener Luft. Ich grüße freundlich zurück und betrete den Flur. Sie sagt mit einer heiteren Frustration, dass ich heute schon der Sechste sei, schon anstrengend diese Besichtigungen, man käme ja zu gar nichts mehr. Sie redet zu laut und hat einen getrockneten Joghurtfleck im linken Mundwinkel. Ihre Bluse ist um einen Knopf zu weit geöffnet und hat dabei doch die Grenze von dezent verführerisch zu ordinär überschritten als wären es ganze drei Knöpfe an der Zahl. Vielleicht liegt es auch am dicken Busen der allzu lüstern aus dem Ausschnitt quillt. Überhaupt ist alles üppig an ihr, ein wenig stelle ich mir jene Frauen so vor, die den ganzen Tag faul auf dem Bett liegen und sich füttern lassen. Und dabei laut lachen, während ihnen die Fleischsoße aus den Mundwinkeln rinnt. Ich weiß nicht ob es solche Frauen gibt, vermutlich nicht. Oder vielleicht ist es der Geruch in der Wohnung der sie ordinär erscheinen läßt. Ich weiß es nicht, beschließe aber nicht den Ausschnitt zu mustern sondern sie um eine Führung zu bitten. Sie sagt ein geschäftiges: aber jah!, und watschelt den Flur hoch zur ersten Tür links.
Die Küche ist ein dreckiges Loch. Auf dem Boden schimmern mehrere Flecken im Sonnenlicht. Die Flecken waren vor dem Austrockenen einmal Rinnsale. Das erkenne ich an der länglichen, geschwungenen Form. Staub hat sich darin gefangen, es muss daher wohl süß sein. O-Saft, denke ich. Ohne Fruchtfleisch, das würde man nämlich sehen. Sie trägt einen knielangen Sommerrock und läuft barfuß auf dem getrockneten O-Saft herum. Es scheint sie nicht zu stören. Ich sehe ein, dass es durchaus anregend sein kann, wenn es unter den Fußsohlen klebt.
Immerhin kocht sie. Fünfzig Prozent des Mülls auf dem Boden, auf der Ablage, der Arbeitsfläche, der Waschmaschine und in den Zwischenräumen auf dem Gasherd, besteht aus biologisch abbaubarem Abfall. Menschen die kochen kriegen von mir immer ein paar Punkte.
Sie zählt die Dinge auf die sie mitnehmen will und die Dinge die sie auf Wunsch stehen lassen würde. Die Waschmaschine würde sie zum Beispiel da lassen. Ich frage mich, ob sie damit auch den Müll meint, der die Waschmaschine von vorne und von oben bedeckt und mit ihr in einer harmonischen Vereinigung eingegangen zu sein scheint.
Ich stehe am Kücheneingang, lasse meinen Blick durch die Küche wandern und sage, dass sie es schön habe hier. Sie strahlt irgendwie, sagt, sie könne sie sich aber nicht mehr leisten, das mit dem Arbeiten, das würde nichts mehr, jetzt versuche sie zu sparen, mal schauen ob das helfe.
Und nun das Wohnzimmer, fährt sie fort und watschelt an mir vorbei, weiter den Flur hoch zur nächsten Tür. Im Gehen wedelt sie mit der rechten Hand in die Luft und erklärt, dass sie das Wohnzimmer nie benutzt habe.
Sie lügt. Das Wohnzimmer nutzt sie sehr wohl – als Rumpelkammer. Es hat ein Fenster, ich möchte hinaussehen um mir ein Bild davon zu machen, wieviel Nachbarn mir beim Wichsen zusehen können. Doch der Weg zum Fenster ist mühsam, und Wichsen im Wohnzimmer ohnehin aus der Mode, daher lasse ich es sein.
Vor dem Betreten des Schlafzimmers warnt sie mich lachend, dass es nicht aufgeräumt sei. Ich müsse einfach meine Augen schließen. Eine charmante Auslegung des Wortes Besichtigung.

Prenzlauer Allee
Schöne Wohnung, hell und ich kann die S-Bahn hören. Nehm ich. Vertrag unterschrieben.

[…]

Es wäre ein guter Zeitpunkt von der Buchpremiere zu berichten, weil es sonst ja niemand getan hat, da kommt das Protokollführerpflichtgefühl in mir hoch. Die Aliens werden nie erfahren wie es gewesen ist, wenn sie bei uns landen.
Natürlich war die Premiere gut. Aber ich kann nicht davon berichten. Das heißt ich könnte bis zur Hälfte berichten, aber da müsste ich erstmal über mich selbst erzählen, und das ist mir ein bisschen peinlich. Dafür kam nach mir Pe, die sehr gut war und eine tolle Frisur hat und nach Pe las Parka der unrasiert noch viel besser aussieht als mit Stoppeln und am Ende der ersten Runde setzte sich die Kunstfigur hinter Guido Alfs ans Mikrophon. Ich bin jetzt Guidos Fan. Er kämmt seine Haare nach hinten. Ich mag das. Ich möchte mein Haar auch so tragen, aber es steht mir nicht. Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig als ihn anzuhimmeln.
Ich werde jedoch nicht auf diesen ersten Teil der Lesung eingehen weil ich den zweiten Teil schlichtweg ver- habe und mir Unvollständigkeiten zuwider sind. Zuwider zumindest wenn sie mir passen.
Als die Pause kam verquatschte vertiefte ich mich draußen an der frischen Luft in ein Gespräch. Und das Schlimmste ist, ich weiß gar nicht mehr mit wem. Als mir dann irgendwann auffiel, dass alle Menschen wieder zurück in den Saal verschwunden waren um dem Poodle, der Mlle Händel und Ronnie Vuine zuzuhören, war schon alles zu spät. Es ist mir immer äußerst unangenehm Lesungen zu stören.

Und alles was nach der Lesung geschah, gehört nicht ins Protokoll.

so.

[Das Wort das man nach einem langen und anstrengenden Wochenende ausspricht, wenn man bei Ankunft zuhause die Koffer auf den Boden, und sichselbst ins Sofa fallen lässt und dabei nicht genau weiß ob man mit dem so eine Last fallen lassen will, oder in ausgelassener Pose den Dingen die nun kommen werden, allem voran die noch gefalteten Kartons, die Stirn bieten will.]