[studien]

Es gibt zwei Methoden zur Bekämpfung von Fieber: die Methode B2 und die Methode F33.

B2 wurde von mir mitte der Neunziger Jahre entwickelt, und hat sich beinahe ein Jahrzehnt lang bewährt. B2 ist eine direkte Weiterentwicklung von B1 und hatte sofort die gewünschte Wirkung, sodass es keine weiteren Studien brauchte um die Effizienz zu steigern. Diese Methode bedient sich der Achsellymphknoten (Nodi lymphatici axillares) und wirkt direkt darauf ein.
Auf die Idee kam ich leider etwas verspätet, da ich lediglich neun Jahre lang die Schule besucht habe, und in diesen neun Jahren stand das lymphatische System noch nicht auf dem Schulplan. In der Zeit davor hatte ich mich stets der Methoden aus der A-Reihe (ich bevorzugte Methode A3) bedient, die auf ziemlich unpräzisen Studien aus meiner Kindheit basierten. Die A-Reihe erfüllte jedoch ihren Zweck und in meiner Kindheit wollte ich schließlich Astronaut werden und nicht Wissenschaftler, somit setzte ich nicht auf die Weiterentwicklung von irgendwelchen Fieberverdrängungsmethoden die nicht meine berufliche Laufbahn pflastern würden.
Die Idee zur B-Reihe kam mir jedenfalls als mir einmal meine Nodi lymphatici axillares schmerzten und ich mich wunderte, wie das denn sein könne, unter den Achseln befänden sich ja keine Organe die sich entzünden könnten, oder sich verstopfen, also keine Gedärme, keine Zähne, keine Herzen. Einer der Punks mit denen ich mich in jenen Tagen so umtrieb, ein unangenehmer Zeitgenosse der immerzu nach Schnaps und altem Käse roch und die Gesichtsfarbe einem grauen, schmutzigen Bodenlappen entlehnt zu haben schien, zeigte auf seine Nodi lymphatici axillares und sagte, das seien die Lymphknoten, die seien für den Bauch zuständig, dann zeigte er auf seinen Hals und sagte: und auch das sind Lymphknoten, die sind für den Kopf zuständig. Lymphknoten? fragte ich, Ja Lymphknoten, sagte er, das sind die Dinger die Antikörper aussenden. Er mutmaßte, ich hätte etwas in meinem Bauch. Eine Verstimmung im Magen, oder ein paar Bakterien im Darm zu viel, ich sollte einen Jenever trinken, Jenever verbrenne Fremdkörper im Leib. Hilfe von extern sozusagen.
Ein halbes Jahr später, als der Winter ’97 durch die fingerdicken Risse und Spalten meines unbeheizten Abrißhauses gekrochen kam, fing ich mir eine ziemlich üble Erkältung ein und fand mich mit meiner neu gewonnenen Kenntnis über Anatomie und dem Lymphatisches System, in der Lage, die A-Reihe zu ersetzen indem ich die B-Reihe zum Einsatz brachte.
Die B-Reihe erfordert es, auf dem Rücken zu liegen und die Arme überkreuzt in die Achselhöhlen klemmen und dort mit den Fingerspitzen oder wahlweise mit den Handinnenflächen ein rotes Feld zu erzeugen. Ein rotes Feld lässt sich ganz einfach herstellen indem man sich ein rotes Feld denkt. Gewöhnlicherweise ist ein rotes Feld kreisförmig und leicht durchsichtig, etwa vergleichbar mit einem Magnetfeld nur ohne den Bögen die Magnetfelder immer ziehen, sondern ein durchgehendes kreisrundes Feld mit einem Radius von etwa zehn Zentimetern, das nach außen hin abschwächt.
Auch blaue Felder funktionieren, auch gelbe und grüne, aber rote Felder haben sich in den Studien meiner Kindheit (die A-Reihe basierte darauf schwache, rote Felder willkürlich und ohne anatomisch fundierte Kenntnisse einzusetzen) als stärker erwiesen, ohne je dafür einen handfesten Beweis gefunden zu haben, doch die Statistik, die auf Daten der Feldexperimente am eigenen Körper beruht, zeigt uns die Fakten auf.
Die roten Felder bewirken eine stärkere Produktion von Kampfschwadronen in den Lymphknoten (die achsularen Lymphknoten übernehmen bei dieser Methode wundersamerweise auch die Aufgabe der übrigen Knoten im lymphatischen System) wobei sich von den Kampfschwadronen nicht nur die Anzahl steuern lässt, sondern auch deren Aggressitivtät und Tempo. Zudem auch das Vehikel (mini-Shuttle, düsenbetriebene Vespa, Schneekatze) mit dem die Schwadronen durch die Blutbahnen rasen, die Ausrüstung (steuerbarer Helm, Brustpanzer), die Waffen (alles was irgendwie Laser kann, martialische Stichwaffen) und alles erdenkliche das dem ästhetischen Auftritt genügt. Details werden oft dem Grad des Fieberwahns überlassen.
B1 war noch nicht ganz ausgereift, ich ließ die Schwadronen drei Tage lang ausschwärmen ohne wirklich taugliche Ergebnisse einbringen zu können. In B2 versuchte ich die einzelnen Schwadronen dann besser zu koordinieren. Ich ließ sie vom Kopf abwärts arbeiten, immer nur Teilbereiche sollten in den Fokus gestellt werden, und alles musste nach unten gedrängt. An der Fußsohle öffnete ich Ventile, die das Krankheitsbild als ziemlich heißen Dampf austreten ließ. Das führte zum gewünschten Erfolg, und damit war B2 massentauglich geworden.

Im Glauben Wissen, bahnbrechende Studien gefertigt zu haben, arbeitete ich Anfang der 2000er Jahre an den Reihen C und D, die jedoch allesamt lediglich nette Theorien geblieben sind, weil sie für dem Krankheitsfall nicht praktikabel waren, daher werde ich sie auch nicht weiter erläutern um nicht den Rahmen dieses Textes zu sprengen. Ich hatte aber große Freude daran mein anatomisches Wissen in den Dienst der Menschheit zu stellen, und so kam ich auf die F-Reihe der Methoden, um letztendlich zur heute üblichen Version F33 zu gelangen.

F33 ist eine äußerst verfeinerte Weiterentwicklung von F1, die, wie alle Methoden aus der F-Reihe, darauf basiert, das Fieber mittels eines Sperrgitters aus dem erkrankten Organismus zu verdrängen. Die F-Reihe war anfangs noch nicht so effizient wie sie später werden wird, da sie noch sehr auf eine sanfte Vorgehensweise setzte, das war 2006, da wurde irgendwie alles Bio in den Läden um mich herum, alles wurde sanft, um den Körper zu schonen, um die Nerven zu schonen, um die ganze Schöpfung zu schonen. Mit dieser Philosophie schonte ich leider auch das Fieber.
Auf den Einfall zur F-Reihe kam ich nach einem Konzert der Einstürzenden Neubauten in der berliner Columbiahalle, als die Rausschmeißer mich und alle weiteren übriggebliebenen Konzertbesucher mit einem Sperrgitter zu verdrängen suchten, um die Halle eiligst zu räumen, möglicherweise weil zuhause die Reality Show lief die es nicht zu verpassen galt, was ich jetzt aber nur erwähne um meinen Vorurteilsdrang an die Luft zu lassen. Das war jedenfalls sehr wirkungsreich, langsam aber stetig, Meter für Meter vorarbeitend, mit kurzen Pausen dazwischen, waren die Mengen bald nach draußen gekehrt ohne großes Aufsehen zu erregen. Die Menschenmenge bekam einfach immer weniger Platz und wollte dann von selbst den Ort verlassen ohne recht verstanden zu haben was eigentlich geschehen war.
Bei der F-Reihe wendet man diese Technik an indem man sich in den hinteren Teil des Hinterkopfes setzt und mit den Beinen ein Sperrgitter nach vorne, den Hals hinunter bis zu den Füßen voranschiebt. Schwierigkeiten boten mir vor allem die Rundungen der Innenseite des Körpers, vor allem im Kopf, in den Schultern, in den Hüften, was daher rührte weil so ein Sperrgitter eine rechteckige Form hat und es auf diese Weise sehr mühselig ist, das Fieber sauber den Hals runter zu drängen. In den Versionen F2 bis F24 korrigierte ich hauptsächlich dieses Problem, ich war darin geübt, erfolglos zu sein und einem wissenschaftlichen Traum nachzuhängen, das machte mich unermüdlich. Bis ich in F25 die sogenannten Schneelinge erfand, also je ein Sperrgitter in der Form eines Schneeschuhs pro Fuß. Damit war man viel flexibler und beweglicher, man konnte erstmals die beiden Füße unabhängig voneinander bewegen. Doch auch dies benötigte eine Verfeinerung, bis ich für F33 diese elastischen Lamellen erfand, die zwar weiterhin die Form des Schneeschuhes nachahmen, aber bewegliche Lamellen sind, die nicht in einem Rahmen eingefasst sind und sich daher perfekt an der inneren Oberflächenform meines Körpers entlangschaben und so alles mitnehmen was ein Sperrgitter aus der F-Reihe mitzunehmen hat.
Die Sache mit den Lamellen und den Schneeschuhen hatte zwar nur mehr wenig mit der ursprünglichen Form des Sperrgitters in F1 zu tun, in einem anderen Zusammenhang hätte ich vermutlich eine neue Reihe angefangen, aber an der F-Reihe hatte ich so lange gearbeitet, dass ich ihr gewissermaßen anhänglich geworden war. Und im Grunde ist es immer noch die selbe Methode, man sitzt eben im Hinterkopf und schiebt das Fieber den Leib hinunter.

Nur eine Schwierigkeit habe ich in der F-Reihe bisher nicht lösen können: der Dreck in dem ich selbst sitze. Ich sitze im Hinterkopf und schiebe das Fieber erfolgreich vor mir her, aber ich werde das Fieber in dem ich selber sitze, also das Fieber zwischen mir und Sperrgitter, nicht los. Workarounds habe ich ein paar: Abklopfen, abwischen, doch es sind alles nur Workarounds, besonders schön ist das nicht, zudem kriege ich nie alles weg. Gegen dieses Problem schmeiße ich dann ein Ibuprofen und gut ist.

2 Kommentare

  1. sehr schön beschrieben. die f-reihe ist mir nicht unbekannt, die funktioniert auch bei ganz vielen anderen sachen, wie steuerschulden, konto rettungslos überzogen oder oma anrufen. bei fieber konnte ich sie noch nicht testen, ich bekomme einfach keins. ich schlafe nur ein. (was ja im weitesten sinne mir der f-reihe zu tun hat.)
    ich teste jetzt die b-reihe mal am objekt rettungslos überzogenes konto. ich balle meine fäuste über den auszügen und erzeige eine goldenes feld…

Kommentare sind geschlossen.