[Mo, 8.9.2025 – im Wartezimmer]

Gestern sah der Fleck noch wie ein leichtes Hämatom aus, heute Nachmittag fand ich es allerdings farblich auffälliger und auch größer als gestern. Kreisförmige, rote Flecken haben ja keinen sonderlich guten Ruf. Ein Check mit Google Lens bekräftigte meine Vermutung, dass ich es hier mit einer Wanderröte zu tun hatte, also Borreliose, eine der beiden Zeckenkrankheiten.

Es war Nachmittag, meine Ärztin hatte ihre Praxis bereits geschlossen. Also rief ich die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes an, der mir empfahl, mich in die Notaufnahme des Krankenhauses Friedrichshain zu begeben. Dort erhielt ich tatsächlich einen Notfalltermin bei der Dermatologie. So folgte ich der schriftlichen Wegbeschreibung, die mir die Frau an der Anmeldung mitgegeben hatte, und ging durch zahllose Gänge, Zimmer und Abbiegungen und gelangte zu einem orangefarbenen Fahrstuhl, der mich nach oben brachte. Vor der Station sollte ich im Wartebereich so lange sitzen bleiben, bis ich aufgerufen werde.

Außer mir saßen dort noch zwei Frauen, beide schwerstens tätowiert, mit dicken, frakturschriftartigen Buchstaben am Hals. Sie waren ein Paar. Die eine, eher vom Typus Femme, mit langen Haaren und übereinandergekreuzten Beinen, wickelte mich gleich in ein Gespräch ein und sagte, dass sie bereits seit 1,5 Stunden warteten. Es sei niemand aus der Station hinein- oder herausgekommen. Ich sagte, das sei nicht gut. Wir redeten ein bisschen über Ärztemangel, vor allem über Dermatologen, da bekäme man ja nur noch Termine mit ultralanger Vorlaufzeit. Ich sagte, dass ich meine Hautkrebsvorsorge aus diesem Grund schon seit Jahren vor mir herschiebe. Zum Glück hielt ich mich nicht so viel in der Sonne auf, was ich jedoch sogleich korrigierte, weil das natürlich nicht mehr stimmt, seit ich die Hündin habe. „Oooh ein Hund“ sagte sie entzückt. „Wie heißt sie denn?“ Und so redeten wir eine ganze Weile über Hunde. Sie hatten auch einen Hund, ein kleines Mischlingsmädchen aus Rumänien, die sei aber sehr schüchtern und auch ein bisschen ängstlich. Bald übernahm aber die andere der beiden Frauen das Gespräch und wir redeten über ihren Hautausschlag im Ohrkanal. Die andere war eher der Typus Butch, hatte kurze Haare und saß breitbeinig, hatte neben der Frakturschrift am Hals noch mehrere kleine tätowierte Symbole am Kinn und an der Wange und nahm das als Anlass, einmal einen Rundumschlag über die medizinische Versorgung zu verteilen. Ich nickte, sagte aber auch, dass die Ärztinnen ja selber darunter leiden. Sie sagte: „Es ist das System!“. Ja klar, es ist immer das System.

Ich hatte mich auf eine lange Wartezeit eingestellt, da ich von Notfallaufnahmen immer höre, dass man da stundenlang in Warteräumen sitzen muss. Deswegen hatte ich mich gut eingedeckt. Mit einem Notizbuch, Stift, mit Podcasts, die ich vorher heruntergeladen hatte, und mit einem Buch. Eigentlich wollte ich das Buch der Arktisreise fertiglesen, aber da fehlen mir lediglich noch 20 Seiten bis zum Ende. Das Buch würde die Wartezeit nicht überstehen, also nahm ich Knausgårds „Sterben“ mit, das ich auf Seite 400-irgendwas beiseitegelegt hatte, weil ich irgendwann gemerkt hatte, dass mich der Sound dieses Buches zu sehr bei meinem eigenen Romanprojekt beeinflusst. Heute nahm ich es aber trotzdem mit, weil ich dieses Buch in einer handlichen Geschenkausgabe besaß, die prima in mein kleines Männertäschchen passte.

Nun heißt das Buch „STERBEN“ und dieses Wort prangt auch groß auf dem Umschlag. Das sah auf der Notaufnahme natürlich fantastisch aus. Habs dann gleich demonstrativ auf den Tisch gelegt, aber die beiden Frauen interessierten sich nicht dafür, sondern schauten sich Videos auf YouTube an. Sie hörten tatsächlich die ganze Zeit Schlagermusik. Das kann man sich nicht ausdenken: Frakturschrift am Hals und dann hören sie Schlagermusik.

Ich musste dann gar nicht so lange warten. Zuerst kam die eine der beiden Ladies mit dem Problem im Ohr zum Zug. Zehn Minuten später ich. Die Ärztin fragte, warum ich denke, dass es Borreliose sein könne. Ich sagte: Hund, Park, hohes Gras, Brandenburg, kurze Hosen, Schweden, Wald. Sie nickte: Alles zusammen könnte passen. Also verschrieb sie mir ein starkes Antibiotikum und Ende der Story.

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Ein Kommentar

  1. Dann mal gutes Gelingen, bzw. gute Besserung!

    Die Borrelie hat mich mal eine ganze Weile lang beschäftigt (manche behaupten, seit der Infektion sei ich endgültig bekloppt geworden). Mich erinnert an die Zeit eine Plüsch-Borrelie, welche sich als Handschmeichler um die Klinke der Küchentür windet.

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