[Di, 9.9.2025 – wie ein Umhang]

Die humpelnde Frau mit dem etwas verrückten schwarzbraunen Welpen. Meine Hündin mag den Welpen nicht, weil er ihr zu wild und zu ungestüm ist. Die Frau und ich sind ungefähr gleich alt, wir konnten eigentlich ganz gut miteinander, wir quatschten immer ein bisschen, nie etwas Wichtiges, nur über unsere Hunde und das, was sich gerade um uns herum abspielte, aber der Vibe stimmte. Ich sah sie schon seit einer Weile nicht mehr.

Heute begegnete ich auf meinem Spaziergang in einer kleinen Straße zwei Hundemenschen. Einen von den beiden kannte ich. Das war der Mann mit dem großen, braunen Doodle. Die Frau mit den Krücken kannte ich jedoch nicht. Sie hatte keine Haare und keine Augenbrauen mehr. Auch bleich war sie. Mitten in der Chemo. Wir sagten hallo, hallo und hallo. Den Mann mit dem Doodle verbindet mich nicht viel, wir grüßten nur, und weil ich die Frau auch nicht kannte, schlenderten die Hündin und ich weiter. Ich war schon ein ganzes Stück weiter vorne, als der Hund der Frau mit den Krücken noch einmal zu uns herüberkam. Es war ein schwarzbrauner Junghund. Ein bisschen ungestüm und wild. Meine Hündin mochte ihn nicht. Sie schaute ihn schon dermaßen griesgrämig an, dass er sofort wieder umdrehte. Aber jetzt erkannte ich den Hund. Es war der Welpe der damals humpelnden Frau.

Mit Krücken und den fehlenden Haaren hatte ich sie schlichtweg nicht erkannt.

Ich will mich jetzt nicht in Betroffenheitsprosa verlieren, ich werde aber nicht der Einzige sein, der sie nicht erkennt, oder vielleicht nicht erkennen will.

Als meine Ex-Freundin in den Niederlanden einen rugbyballgroßen Tumor an ihrer Gebärmutter wachsen hatte, meldeten sich auf einmal viele unserer Freunde nicht mehr. Nicht, weil sie keine Freunde mehr sein wollten, sondern, weil sie die Situation überforderte. Es brachte wenig, sich über die Qualität der Freundschaften aufzuregen. Der Tod ist halt ein sehr schwerer Umhang, der sich über allem legt.

Ich weiß auch nicht, was wir damals am besten gebraucht hätten. Nervöse, besorgte Leute sicherlich nicht. Neugierige Statusfrager auch nicht. Wahrscheinlich will man beim Sterben einfach von ein bisschen Liebe umgeben sein.

Sie starb jedenfalls nicht. Um zumindest diesen Gedankengang positiv abzuschließen.

Die humpelnde Frau bekommt jetzt sicherlich besorgte Kommentare. Oder sie wird ignoriert. Oder sie wird schlichtweg nicht erkannt. Keine der drei Optionen baut so richtig auf. Nächstes Mal werde ich sie ansprechen. Ganz direkt. Dass ich sie beim letzten Mal gar nicht wiedererkannt hatte. Was sie gerade durchmacht, ist schließlich offensichtlich, da muss man gar nicht drumrumreden.

Ein Kommentar

  1. Macht man nicht selbst eine Vorgabe als Kranke/r, wie man möchte, dass damit umgegangen wird? Die einen, die es hassen, dass man von nun an als bemitleidenswertes Opferlamm gelten könnte, kehren eine Diagnose planvoll unter den Teppich, bis es nicht mehr übersehbar ist und auf das Ende zugeht – wie z. B. Hannelore Elsner, die immer noch weiter mittun und mitfeiern wollte. Nur ganz enge Angehörige wussten Bescheid. Man ist sofort in den Köpfender anderen stigmatisiert. Wer die Krankheit thematisieren will, darin Trost und Erleichterung sucht, macht es auch und muss dann mit dem entsprechenden Bedauern und den Samthandschuhen leben, das einem verständlicherweise entgegengebracht wird. Ich finde es sehr viel von der Umgebung verlangt, zu entscheiden, was der Königsweg der Kommunikation darüber ist. Wieder andere gehen einen Mittelweg, ich denke an Alban Nikolai Herbst, der en detail und unverzüglich über seine damalige Diagnose und die Behandlung berichtet hat – und die Zähne zeigte, klar machte, dass er nicht wie ein bedauernswertes Opfer gesehen werden will. Insofern hat er es seiner Umgebung einfach gemacht. Das Thema war nie tabuisiert, wurde man rührselig, bekam man die rote Karte. Ich weiß nicht, wie ich handeln würde. Aber sicher klar in der einen oder anderen Richtung kommunizieren. Oder konsequent verschweigen.

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