Vormittags ging ich mit meiner Frau in ein paar Islandshops, vor allem wegen dieser Islandpullover, die den Norwegerpullis ähneln, aber ein anderes Muster haben. Sie findet, dass mir solche Pullis stehen müssten, ich bezweifle das aber. Ich probierte einige an und sollte schließlich recht behalten. In diesen Pullis wirke ich etwas aufgeblasen. Außerdem ist dieses kreisförmige Muster für meine Schultern nicht sehr vorteilhaft. Ich wirke darin buckelig und schmalschultig. Dabei habe ich keine schmalen Schultern, die dadurch vielleicht betont würden, daher muss es eigentlich alle Menschen betreffen, die solche Kleidungsstücke tragen. Es ist seltsam.
Nachher setzen wir uns in ein ungemein schönes Café namens IDA, ein Buchcafé nach eigener Aussage. Es ist luftig, groß, gleichzeitig skandinavisch kleinteilig. Überall stehen Bücherschränke, Leute lesen Bücher am Fenster oder schreiben. So ein Lokal würde ich mir in Berlin auch wünschen. Ein bisschen ähnelt es dem „Shakespeare and Sons“ in der Warschauer, aber das ist immer so überlaufen, dass man sich nicht in Ruhe unterhalten, geschweige denn lesen kann.
Gegen Mittag bringe ich meine Frau ins Kongresszentrum und ich mache einen kleinen Spaziergang durch die Laugavegur. Bis hinauf zum Hotel, in dem wir vor 13 Jahren waren. Reykjavik fühlt sich wesentlich lebendiger an, als damals. Das sagte ich gestern auch unserem Tourleiter. Der bestätigte mir diese Beobachtung, die er auf die Bankenkrise von 2008 zurückführte. Damals sind viele Menschen in Island in die Armut gerutscht. Die Krise hatte viele Firmen und auch den Handel mit in die Pleite gerissen. Seit etwa 10 Jahren gehe es aber wieder bergauf und damit sei auch das Leben auf den Straßen zurückgekehrt.
Das Personal in Geschäften, Bars, Hotels und Restaurants besteht übrigens hauptsächlich aus Immigranten. Vor allem aus Südamerika, aber auch Ost- und Südeuropa sowie Indien. Wie auch überall sonst in Europa. Einheimische arbeiten nicht mehr als „Personal“. Unser Tourleiter Leifur sagte gestern, die zweitgrößte Minderheit Islands seien neuerdings die Katholiken. Ich wollte zuerst lachen, dann war ich mir aber nicht mehr sicher, ob das lustig ist.
Da mein Haar unmöglich lang geworden ist, suchte ich einen Friseurladen in der Skólavörðustígur auf, die sogenannte Regenbogenstraße, die hinauf auf den Berg zur Reykjaviker Kathedrale führt. Der Friseurladen hatte aber keinen freien Slot für mich. Also verwarf ich den Plan wieder und ging weiter hinauf zu diesem Buchladen mit dem komplizierten Namen. Da war ich schon vor 12 Jahren. Damals entdeckten wir genau dort diese Comics mit den lustigen und geschmacklosen Strichmännchen. Seitdem sind wir Fans von Hugleikur Dagsson. Ihm ist immer noch ein halbes Regal gewidmet. Es gibt eine Neuausgabe mit 500 Seiten für 40€.
Ich checkte die Auswahl an Übersetzungen. Es dürfte finanziell nicht sehr attraktiv sein, für 300.000 Menschen Bücher auf den Markt zu bringen. Es gibt vor allem Thriller und Krimis, Ann Cleeves und einige Stephen-King-Bände. Auch Sally Rooney. Sonst finde ich wenig Zeitgenössisches. Übersetzungen aus dem Deutschen gibt es nur von Klassikern. Goethe natürlich und Effi Briest, die auf Isländisch Effì Briest mit einem Akzent auf dem i geschrieben wird. Übersetzt wurde auch Coetzees „Waiting for the Barbarians“, aber wiederum nicht das wesentlich bekanntere „Disgrace“ Dafür viele English Books. So gut wie alles von Murakami und vieles wieder von Stephen King. Eine der Verkäuferinnen sprach mich an und fragte, ob ich etwas Bestimmtes suchte, was ich gleich als Gelegenheit nutzte, zu sagen, dass ich mich über die vielen Übersetzungen ins Isländische wunderte, dass das ein Gedanke war, der mir vorher nie gekommen war. Sie fragte mich, was mich daran wunderte. Ich sagte, dass ich mich halt wunderte, ob es denn lukrativ sei, für ein Volk von 300.000 Menschen Bücher zu übersetzen. Ich strengte mich an, nicht wie ein schnöseliger Naseweis zu klingen, sondern mein echtes Interesse zu zeigen. Sie sagte: „Wir sind 400.000 Menschen und nicht 300.000.“ Sie war freundlich, aber kurz angebunden, möglicherweise gefiel ihr mein Kommentar nicht, doch sie fügte hinzu, dass es sich für manche Bücher durchaus auszahle. Sally Rooney zum Beispiel. Dann ging sie weiter ihrer Arbeit nach. Ich sah aber auch keine Übersetzungen von zeitgenössischen skandinavischen Größen wie Knausgård oder Jonas Hassen Khemiri. Isländerinnen sprechen ja nicht Norwegisch oder Schwedisch, was bedeutet, dass sie zeitgenössische Literatur aus ihrem eigenen Kulturraum (zumindest gehe ich davon aus, dass sie sich dem skandinavischen Kulturraum zugehörig fühlen) nicht lesen können oder auf englische Übersetzungen zurückgreifen müssen. Das beschäftigte mich total. Oder was ist mit isländischen Autorinnen. Ich meine, wer macht sich die Mühe, ein Buch auf Isländisch zu schreiben. Bei einem Markt von wesentlich weniger als 400.000 Menschen ist es nicht schwer, zu erraten, wie wenig lukrativ das sein wird. Ich kann mir wiederum auch nicht vorstellen, dass isländische Autorinnen ihre Texte auf Englisch verfassen. Was macht das mit der lokalen Kultur. Die Frau war jetzt aber bei den Regalen in ihre Arbeit vertieft. Ich wurde meine Fragen nicht mehr los. Überhaupt renne ich hier ständig mit tausenden Fragen herum, und es gibt niemanden, der sie mir beantworten kann. Gestern beim Tourenleiter kam ich mir irgendwann wie ein eifriger Schüler vor, der ständig mit Fragen löchert. Immerhin weiß ich jetzt, dass Deutschland der größte Abnehmer isländischen Aluminiums ist, weil Strom hier so unfassbar günstig ist und gleichzeitig zu 100% aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Allerdings sah ich bisher keine Windräder. Bei diesem ständigen Wind, – und mit ständigem Wind meine ich wirklich ständigen Wind – fühlt es sich an wie eine verspielte Chance, aber das hat vielleicht andere Gründe.
Im Buchladen fand ich auch das Buch von Ásta Sigurðardóttir. Besser gesagt, ich fand es nicht beiläufig, sondern suchte explizit danach. Ich hatte gehofft, eine besondere Geschenkausgabe zu finden, stattdessen gab es nur ein etwas lieblos gestaltetes Taschenbuch.
Schließlich ging ich den Weg hinauf zur Kathedrale. Dieser von weitem sichtbare expressionistische Sakralbau. Wegen ihrer Ästhetik lässt mich die Kirche eher an eine Pilgerstätte für Tolkienfans denken, tatsächlich zitiert sie aber Basaltformationen und Gletscher. Von innen ist sie der Neugotik nachempfunden, allerdings ganz in Weiß. Überhaupt ist die Kirche hell, angenehm, leicht, nicht nur wegen des hohen Innenschiffs. Außerdem sind die Kirchenstühle gepolstert, ich hätte ewig sitzenbleiben können. Ich saß eine ganze Weile auf einer der Bänke und driftete mit meinen Gedanken ziemlich ab.
Um 17 Uhr traf ich meine Frau. Heute wollten wir früh essen und vielleicht auch früh ins Bett. Wir aßen wieder einen Burger für 30 Euro. Ah, das hatte ich noch gar nicht erwähnt. Speisen in Island kosten unfassbar viel Geld. Vor 12 Jahren schon kostete eine kleine und ziemlich schlechte Pizza 27€. Wir hatten aus einer naiven Annahme heraus gedacht, dass sich das mittlerweile geändert haben dürfte, aber das Preisniveau hat sich seitdem nicht geändert. Eine Pasta kostet 30 Euro, der günstigste Burger auch. Ein Glas Bier: 13 Euro. Den Preis für einen Cappuccino habe ich vergessen. Ich schaue gar nicht mehr hin.






