[Mi, 1.10.2025 – Letzter Tag Nuuk, Zurück ins Island, Buchladen, Selfoss, Berlin, Baggageclaim]

Ich weiß gar nicht mehr, was ich gestern noch über Nuuk berichten wollte. Mir kam nur vor, dass um mich herum so vieles von Bedeutung passiert. Wenn aber ein Tag vorbeigegangen ist und ich keine Notizen genommen habe, dann sind die Dinge oft nicht mehr aufrufbar. Ein Fazit, oder so etwas, das ein Fazit über Grönland und das koloniale Erbe sein wird, schreibe ich erst in Berlin auf. An jenem Nachmittag in Nuuk verbrachten wir die Zeit nur noch ein wenig schlendernd, setzten uns ins Café Esmeralda und wir gingen noch an diesem Tattoostudio vorbei, das an dem Tag allerdings geschlossen hatte. Mir kam nämlich eine spontane Tattoo-Idee, von der ich es ungemein charmant gefunden hätte, wenn sie mir in Grönland gestochen worden wäre. Wer weiß, vielleicht hätten sie ein spontanes Slot frei gehabt. Aber am Montag war das Studio zu.

Was ich noch erwähnen möchte: Grönland ist gar nicht so teuer, wie man erwarten würde, vor allem, wenn man gerade von Island angereist kommt. Bestimmte Dinge sind zwar etwas teurer, aber Pizza (die auch okay schmeckt) kostet etwa ab 15€. Und Pizza ist ja der internationale Richtwert, wenn man Preise vergleichen muss. Isn’t it?

Im Nachhinein bereue ich, kein grönländisches Fernsehen geschaut zu haben. Keine Ahnung, warum ich nicht auf diesen Gedanken gekommen bin, dabei hatte ich vor einigen Tagen den Kapitän und seine Begleiterin auf dem Boot gefragt, ob es so etwas wie Grönland TV gäbe, weil ich wissen wollte, in welcher Sprache das Fernsehen ausgestrahlt wird. Es wird jedenfalls auf Westgrönländisch gesendet, falls es jemanden interessiert. Es gibt Thule-Grönländisch im fernen Nordwesten, das allerdings mehr mit den kanadischen Inuit-Sprachen gemeinsam hat als mit West- sowie Ostgrönländisch. Aber Westgrönländisch lernen alle Kinder in der Schule und das wird somit auch im Fernsehen gesprochen. Ich habs aber nicht gesehen. Erst zurück in Island fiel mir das Fernsehen ein, deswegen schaltete ich sofort ein, aber da zeigten sie nur ein paar verschiedene BBC-Kanäle.

In Grönland kann man übrigens ganz gut den Effekt des Golfstroms erkennen. Nuuk liegt etwa auf demselben Breitengrad wie Reykjavik, ist aber jetzt schon fast zehn Grad kühler. Allerdings ist es auch fast windstill und trocken, während in Island ständig die Winde peitschen und der Regen niedergeht. Seltsamerweise sah ich in Island nirgendwo Windräder. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man in Island keine Windräder aufstellt. Es fühlt sich wie Ressourcenverschwendung an. Tatsächlich wird der Strom nur aus Wasserkraft und Geothermie gewonnen. Windkraft ist überhaupt kein Thema. Man hat es offenbar nicht nötig, die politische Flanke der Windkraft zu öffnen, denn es gab schon die ersten Windkraftgegner, die von der Verschantelung der Landschaft sprachen. Da kann man ruhigen Gewissens auf Geothermie setzen. Wobei ich finde, dass auch diese Geothermie-Anlagen wie total dystopische Industrieanlagen aussehen. Man erkennt sie schon von Weitem. Zuerst nur dichte Dampfwolken aus der Ferne. Nähert man sich ihnen, sieht man weit verzweigte und dampfende Röhrensysteme, die mich an die Welt von Skynet erinnerte, diese kaputte Maschinenwelt, in der Roboter alle Ressourcen für sich beanspruchen.

Ich finde es aber dennoch ungemein ästhetisch.

Heute, wieder zurück in Island, mieteten wir ein Auto. Eigentlich wollten wir von Keflavik aus in den Süden der Insel, nach Vik, zu den schwarzen Stränden und den Basaltformationen fahren. Das wären 3,5 Stunden pro Richtung gewesen. Nach einer Stunde Fahrt hatten wir allerdings keine Lust mehr. Der Gedanke daran, noch so viele Stunden im Auto zu verbringen, verdarb uns beiden etwas die Laune. In Ermangelung an guten Ideen fuhren wir aber erst einmal weiter. Als wir 10 Minuten später durch Selfoss fuhren, sah meine Frau ein nett aussehendes Café am Straßenrand, also drehten wir um und kehrten dort ein. Das war wieder eines dieser Buchcafés, wie es auch in Reykjavik eines gab, also eine Buchhandlung mit Café, allerdings nicht eine Buchhandlung mit einem Sofa, sondern ein vollwertiges Café und ein vollwertiger Buchladen. Ich kam mit der Händlerin ins Gespräch. Eine gut gelaunte Frau Ende fünfzig mit wilden, grauen Haaren. Ich hoffte, diesmal meine Fragen über den isländischen Literaturbetrieb loszuwerden. Aber auch diese Buchhändlerin gab mir keine zufriedenstellenden Antworten. Ich zeigte mich wieder erstaunt, wie viele Buchpublikationen es in Island gab, und sie sagte ganz stolz „Yes“. Als ich fragte, ob das subventioniert wird, sagte sie „Ja, die Lyriker müssen sogar selber zahlen um publiziert zu werden.“ Das war komplett an meiner Frage vorbeigeantwortet. Als ich wissen wollte, warum sie denkt, dass so viele Bücher auf Isländisch geschrieben werden, sagte sie: „We Icelanders are just crazy people“. Dann gab ich auf. Deswegen fragte ich sie nach Ásta Sigurðardóttir, ob sie eine andere Ausgabe als die etwas lieblose Taschenbuchedition, die man überall in den Läden fände, habe. Sie sagte, dass sie sicherlich ein paar verschiedene Ausgaben hat, und suchte daraufhin etwa 10 Minuten lang in ihren Regalen. Als sie nicht fündig wurde, rief sie ihren Mann an, der ihr die Bücher aus dem Archiv heraussuchen sollte. Er würde in einer Stunde im Laden sein und sie bei sich haben.

In der Zwischenzeit fuhren wir zu einem Woll-Laden eine Viertelstunde ostwärts. Das war ein einsames Haus mitten in einer leeren Landschaft. Meine Frau hatte es ergoogelt. Dort gab es diesen Woll-Laden und einen Töpferladen. Meine Frau suchte nach einem schönen Islandpullover. Wir fanden aber nichts. Zurück im Buchcafé war der Mann der Händlerin mittlerweile gekommen und hatte zwei Ausgaben mitgebracht. Eine gebrauchte, ältere Hardcoverausgabe für 30€ und eine Erstausgabe für 70€. Ich beließ es beim Hardcoverexemplar, schließlich möchte ich nicht bibliophil werden. Das liegt mir wirklich nicht. Ich habe generell wenig Bezug zu Gegenständen. Zudem entledigte ich mich vor einigen wenigen Jahren im großen Stil von Büchern, um diese deprimierende Schwere von Bücherschrank-Optik loszuwerden. Aber ein isländisches Buch, mit diesen Akzenten und seltsamen Buchstaben, von dieser etwas tragischen Autorin, mit der ich mich auf die Islandreise eingestimmt hatte, rundete die Reise für mich erst so richtig ab.

In Selfoss gibt es übrigens ein Skyr-Museum, das ich besuchen wollte, aber sie verlangten 20€ Eintritt, das war mir für ein kleines Skyrmuseum dann doch nicht wert.

In Selfoss beschlossen wir schließlich, unsere Reise ostwärts nicht mehr weiter zu verfolgen und stattdessen zurück nach Keflavik zu fahren. Wir hätten noch Zeit, in die Vulkangegend nahe Grindavik abzubiegen und ein paar Fotos in den Lavafeldern zu machen. Island ist, wie auch Grönland, so gut wie baumlos. In Island versucht man derzeit vereinzelt, wieder Bäume zu pflanzen. Sie werden allerdings nicht sehr groß. Manchmal sieht man an der Südküste bei kleinen Siedlungen ein paar Bäume stehen. Es sind Birken und Nadelbäume. Ich habe Bäume aber nicht vermisst, ich vermisse Bäume nie. Diese schönen, nackten Weiten. Felsen, Moose, Gras, Sträuche. Bäume versperren immer die Sicht. Auch wenn ich einem Wald durchaus etwas abgewinnen kann, lösen diese weiten nackten Landschaften ganz andere Gefühle der Ruhe in mir aus.

Unser Hotel befand sich direkt am Flughafen und war die ganze vorige Nacht einem Sturm ausgesetzt. Dieses Heulen. Die ganze Nacht lang. Wie habe ich das geliebt. Auch die zweite Nacht war so. Unser Flugzeug startete heute um 7:20 Uhr. Wir standen also mitten in der Nacht auf, latschten die 3 Minuten zum Terminal und fanden dort Unmengen an Menschen vor. Gestern ist die isländische Fluggesellschaft „Play“ in die Insolvenz gegangen und hat alle Flüge gestrichen. Ich nehme an, es gab damit einen Zusammenhang. Aber trotzdem ist Keflavik ein sehr geschäftiger Flughafen. Das war vor 12 Jahren auch schon so. Frühmorgens und spätabends gibt es einen ungewöhnlich hohen Betrieb. Auch als Drehkreuz zwischen Europa und Nordamerika. Vor allem auch nach Berlin, das ja sehr schlecht mit Direktflügen ausgestattet ist. Bei uns im Flieger saßen viele Menschen, die in Keflavik umgestiegen waren.

Gegen 13 Uhr landeten wir in Schönefeld, wo sie immer noch mit der Cyberattacke zu kämpfen haben. Lange Schlangen und die ständig gleichen, automatisierten Durchsagen, dass aufgrund der blabla.

Heute erwischte es dann uns: Unser Gepäck wurde verschlunzt. Es lag nicht auf dem Band der Ausgabe und so mussten wir uns in eine lange Schlange einreihen, um den Vorfall zu melden. Gefühlt bestand der ganze Flughafen aus Menschen, die beim Baggageclaim in der Schlange standen, oder Menschen, die enttäuscht auf leere Gepäckausgaben starrten. Mit zwei Stunden Verspätung kamen wir dann zuhause an. Wir gingen als Erstes zu den Nachbarn, um unsere Hündin zu holen. Schon auf dem Rückweg hatten wir ständig Fotos von ihr angesehen und waren ganz aufgeregt, sie wiederzusehen. Acht Tage war sie noch nie ohne uns.

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