[Sa, 1.11.2025 – Jesus]

Mit Menschen, die in Ostdeutschland groß geworden sind, kann man nicht über Jesus reden. Sage ich jetzt mal so. Dabei bin ich selbst Atheist. Das funktionierte schon gestern Abend nicht und auch nicht heute mit jeweils zwei unterschiedlichen Personen. Während ich die ganze Zeit versuchte, auf die historische Person Jesus und seine Bewegung einzugehen, sahen meine beiden Gesprächspartnerinnen immer nur: Priester, Kinderschänder, Machtausübung, Reichtum. Das ist natürlich auch eine Realität, hat aber nur wenig mit diesem Wanderprediger aus Galiläa zu tun, der den Armen half und sagte, man solle seinen Nächsten wie sich selber lieben.

„Ja, aber –“

Das waren unfassbar anstrengende Gespräche. Dabei war es mir wichtig, zu verstehen, wie soziale Bewegungen größer und bedeutender werden und irgendwann zu einer Macht werden und ab wann sie korrumpierbar werden und wann sie dann von irgendetwas Neuem ersetzt werden. Nun wurde unsere monotheistische Religion in Europa nie ersetzt, es gab jedoch Kriege wegen der Ausrichtung der Kirche. Ersetzt wurde das Christentum wiederum in vielen heutigen muslimischen Ländern. Mohammed war ja auch ein Rebell. Das ist mir alles wichtig zu verstehen. Wie die Dinge entstehen, wie sie kommen und gehen. Die Bedeutung der Kirche heute interessiert mich dabei weniger. Meine Gesprächspartner sahen aber immer nur: Priester, Kinderschänder, Machtausübung, Reichtum.

Allerdings kommt meine Dogwalkerin auch aus Ostdeutschland. Die ist hingegen Jesus-Fan geworden. Neulich hat sie einen „I love Jesus“-Sticker auf ihr Auto geklebt. Weil mich das überraschte, fragte ich nach. Sie sei nie gläubig gewesen, sagte sie, aber jetzt hatte sie sich ein wenig mit Jesus beschäftigt und festgestellt, dass das ein richtig cooler Typ war. Wie sie das sagte. Als säße Jesus bei Lagerfeuerpartys mit seinen Jüngern vorm Feuer und spielte auf seiner Gitarre. Aber ich verstand schon, was sie meinte. Auferstehung, Wunder, hin oder her, die Diskussion ist ja eh Käse und kann nicht rational geführt werden. Erstmal muss festgehalten werden, dass Jesus vor allem ein charismatischer Rädelsführer war, der sich für die Ausgestoßenen einsetzte und sich gegen die Konventionen stellte. Den Teil finde ich ungemein spannend. Hätte es damals die Wissenschaft schon gegeben, wäre er vielleicht Sozialpolitiker geworden.

Weil ich relativ wenige Details über die frühe Christensekte wusste, öffnete ich zuhause dutzende Tabs mit Jesusdokus. Nach ein paar Stunden war ich längst abgedriftet und bei der Bronzezeit im Jahr 1177 v Chr. gelandet, weil mich das Ende der Zivilisation in der Bronzezeit plötzlich mehr interessierte. Irgendwann war es spät und ich müde. Morgen ist mein letzter Tag in Berlin. Am Sonntagabend fahre ich nach Hamburg, quartiere mich erstmal in der Firmenwohnung ein und beginne einen neuen Abschnitt.

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