[Do, 27.11.2025 – Mit der A., Firnis]

Heute traf ich meine Freundin Amelie. Es war das erste Mal, dass ich abends wegging, seit ich in Hamburg bin. Das sollte ich auf alle Fälle öfter machen, ich hänge nämlich wirklich ein wenig fest in dieser unwirtlichen Gewerbegegend im Norden der Stadt, und mein Hamburg-Bild verengt sich gerade zu einem verregneten und dunklen halben Quadratkilometer, dessen Ausweg immer der Freitagabend und die Autobahn nach Berlin ist. Ich könnte mich hier auch einfach auf dem Mond befinden, so wenig Hamburg ist das. Dummerweise komme ich von hier auch nicht besonders gut weg. Die nächste U-Bahn ist ein fast halbstündiger Fußmarsch entfernt, und dann muss ich noch hunderttausendmal umsteigen, wenn ich nach St. Pauli oder in die Innenstadt will. Deshalb nahm ich heute einfach ein Taxi.

Wir waren im Hummel & Quiddje verabredet, also ließ ich mich gleich vorn an der Ecke zur Stresemannstraße rauswerfen, das Stück die Bernstorffstraße wollte ich laufen, damit ich an der 166 vorbeikomme, wo ich 4 Jahre lang wohnte. Im Erdgeschoss wohnt jetzt eine andere Künstlerin. Auch sie hat dort ihr Wohnatelier, es ist aber nicht die gleiche Frau. Die ganze Straße ist etwas belebter als vor zwanzig Jahren. Ich kann mich auch nicht an das Hummel & Quiddje erinnern. Es sieht von innen so aus, als wäre sie immer schon da gewesen.

Amelie sagte sehr schöne Sachen über meine Novelle. Allerdings brachte sie einen Punkt auf, der mich vermutlich noch eine Weile beschäftigen wird. Sie sagte nämlich, sie würde den Erzähler der Geschichte nicht mit mir in Verbindung bringen. Sie konnte die Erzählfigur nicht richtig erfassen. Ich tat es zuerst scherzhaft ab, aber in dem Moment hatte mich der Kern ihrer Aussage bereits getroffen und ich verstand sofort, was sie meinte. Für einen autobiografischen Text ist das durchaus seltsam. Das traf mich, weil die Erzählfigur so nah an mir dran ist. Andererseits bietet eine Erzählfigur, die man schlecht erfassen kann, natürlich auch viel Raum, um sich in deren Cockpit zu setzen und die Geschichte zu erleben.

Nach drei Stunden, in denen wir über ihr Piano, das Klavierspielen, das Chorsingen, Komposttoiletten und das veränderte Hamburg sprachen, verabschiedeten wir uns und ich ging wieder einmal die Bernstorffstraße hoch bis zur Stresemannstraße. Ich bin mir sicher, dass es früher unbelebter war, aber früher war ja auch die ganze Welt unbelebter. Ich erinnere mich an die Welt immer in Lagen zurück, Lagen von Zeit, graue Erinnerungen, die alle paar Jahre mit einer neuen Lage Firnis aufgefrischt werden. In meiner Erinnerung ist aber immer noch die Blässe da.

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