Vorletzte Woche war ich mit meinem Vater im Wald, da er mir zeigte, wieviel Holz er diesen Sommer heruntergearbeitet hatte. Als wir uns am Waldrand unterhielten und ich neben einem Kuhfladen den oben abgelichteten Pilz sah, fiel mir wieder diese Geschichte auf D’s Geburtstagsparty ein. Die Geschichte geht so: am Vorabend rief mich D an und fragte, ob ich nicht ein paar von den Psylo-Pilzen mitbringen könnte. Er meinte, das wäre echt ein Highlight, alle stünden momentan auf Pilze, er wolle zu seinem achtzehnten Geburtstag gebührend feiern. Er würde mir dafür ewig dankbar sein und außerdem einen Kasten Bier spendieren. Ich sagte, das sei kein Problem. D war ein guter Gastgeber, er stand gerne im Mittelpunkt und unterhielt die Menschen, ich konnte mir richtig vorstellen, wie eine Ladung frischer Psylocibinpilze zu seinem Glück beitragen würde. Ich wohnte damals in einem kleinen Dorf auf 1400m Meereshöhe, die Psylos wuchsen auf Kuhweiden und die Kuhweiden begannen fünfzig Meter vor meinem elterlichen Haus. Für eine super Sache war ich immer zu haben.
Anfang der Neunziger gab es diese verrückte Zeit, in der ein reger Handel mit Psylos blühte. Einige meiner Freunde verkauften lieber Pilze als sich das Geld mit ehrlichem Äpfelpflücken zu verdienen, die Jahreszeit war schließlich die gleiche, nur war der Pilzverkauf wesentlich lukrativer, vor allem, wenn man Wochenends zu den Techno-Diskos an den Gardasee fuhr oder über den Brenner nach Innsbruck und sie dort an das Partyvolk verhökerte. Im Gegensatz zu Acid hatten Pilze einen ungemein besseren Ruf. Sie seien gnädiger, gemütlicher, das Risiko, auf einen schlechten Trip zu geraten, war kleiner. Das hing vermutlich mit der Herkunft zusammen, wegen der Naturbelassenheit, die Niedlichkeit, you know, die Hüte, unter denen kleine, bärtige Männchen Schutz suchen, wenn es regnet oder wegen der sprechenden Würmer, etc. Während Acid ja eher immer die Bummbumm Droge war. Was sicherlich nur mit der Musik zusammenhing, zu der man Acid üblicherweise nahm.
Am nächsten Tag zu Mittag kam M. M hatte ein Auto und mit ihm fuhr ich überall herum, zum Kiffen in den Wald, zu den Parties in Bozen, zur Dorfdisko usw. Auch M kannte sich mit Drogen aus. Die Psylos haben einen braunen Hut, der zur Mitte hin dunkler wird, der Stiel ist eher gelblich und die Lamellen auf der Unterseite haben dunkel zu sein. Oder hell. So genau wussten wir das nicht. Eine lustige Besonderheit war auch, dass sie bevorzugt in der Nähe von Kuhfladen gedeihen. Also gingen wir auf die Wiesen und fanden ziemlich schnell ziemlich viele solcher Pilze. Besser gesagt: wir fanden sehr viele. Eine ganze Plastiktüte voll.
Man muss an dieser Stelle wissen, dass ich ein lausiger Pilzesammler bin. Ich kenne eigentlich nur Pfifferlinge, Steinpilze und Fliegenpilze. Champignons würde ich vermutlich auch erkennen, wenn man mich durch eine Champignon-Farm schickt. Und ein bisschen kannte ich auch die Psylocibin-Pilze. Zumindest vom Essen her. Dummerweise hatte M noch viel weniger Ahnung als ich und so beurteilten wir die Pilze anhand der uns bekannten Kriterien. Die Lamellen an der Unterseite sollten dunkel oder hell sein. In unserem Fall waren die Lamellen dunkel. Also zu 50% richtig. Nach kurzer Beratung waren wir uns einig, dass wir unmöglich ohne Pilze in Bozen aufkreuzen konnten und daher lieber die Falschen mitbrachten als gar keine.
Auf der Party angekommen feierte man uns wie Helden. Die Stimmung war gut, man hatte schon das ein oder andere getrunken und geraucht. Etwa 80 Leute saßen im Weinkeller von D’s Vater. Der Weinkeller war nicht ein kleiner Keller eines Hobbytrinkers, sondern der Weinkeller eines Bauernhofes, auf dem unter anderem auch Wein angebaut wurde. Ein kühler, staubiger aber sehr weitläufiger, mit riesigen Bottichen ausgestatteter Keller. Ein paar Musiker hatten sich zu einer Jam-Session zusammengesetzt, die Menschen lachten, oder sie wippten zur Musik.
Bevor wir die mitgebrachte Ware unter das drogenfreudige Partyvolk verteilten, kamen uns dann allerdings doch Skrupel. Was, wenn sie giftig waren. Mit giftig meine ich richtig giftig. Also giftig im Sinne von Leberschäden oder Hirnschäden. Wir warfen ein, dass wir uns der Pilze nicht hundertprozentig sicher seien. Ich leerte die Tüte auf einem Bottich aus. Es waren richtig viele. Meinungsfrohe Laien scharten sich um uns. Wir diskutierten. Man war sich einig, dass der braune Hut nicht falsch sei, ob die Lamellen dunkel oder hell zu sein hatten, wusste man aber auch nicht. Der Stiel kam einigen jedoch bekannt vor. Die Größe stimmte wohl. Auch dass wir sie an den Rändern von Kuhfladen gefunden hatten, war richtig. Jemand nahm eine handvoll und schluckte sie. Er sagte, für ihr seien sie richtig. Er öffnete sich ein Bier und ging zurück zur Musik. Damit schienen die Pilze freigegeben. Fast alle machten sich darüber her. D fand das spitze, er sagte, der Kasten Bier sei mir sicher.
Am Ende dieser Geschichte bekamen wir fast alle Bauchschmerzen. Es hatte etwa eine Stunde gedauert, als die Stimmung innerhalb weniger Minuten dumpf wurde. Zwar musste niemand ins Krankenhaus, es musste nicht einmal jemand kotzen, es war keine richtige Übelkeit, eher so ein latentes Unwohlsein, ein Magendrücken. Die Gäste wurden einsilbiger. Die Musiker spielten nicht mehr, alles wurde stumpf. Man saß, schaute. Auch das Bier und der Wein schmeckte nicht mehr. Nur einige wenige fragten irgendwann, was los sei. Sie lachten. Sie hatten offensichtlich nichts davon gegessen. Es schien allen augenblicklich klar, was passiert war. Ich weiß nicht mehr, wie wir damit umgingen, ich blieb noch einige Zeit da, schließlich war ich auf einer Party und es war vielleicht zehn Uhr, vielleicht elf, höchstens Mitternacht und ich verstand nicht so recht, dass es eigentlich gelaufen war. Was ich noch weiß ist die Musik aus den Boxen, die mich nervte. Musik war damals immer blechern, immer schrammel und mir war latent unwohl.
Wenn man D später darauf ansprach, fand er das trotzdem lustig. Er wird achtzehn und seine Gäste vergiften sich mit Pilzen, das ist natürlich Stoff für Anekdoten. Er bemängelte nur die Pointe. Schließlich ist am Ende nichts passiert. Nicht dramatisches, nichts spektakuläres, nichts lustiges, niemand hat sich auf den Tisch gestellt und sich geteert (und gefedert). Es hat ja nicht mal jemand gekotzt. Nein, die Gäste sind nur „irgendwie latent“ übel geworden und sind deswegen nach hause gegangen. Wenn ich es recht betrachte ist das schon wieder lustig. Was aus dem Kasten Bier geworden ist, kann ich mich allerdings nicht mehr erinnern.
Und die Moral von der Geschicht:
Halt dich an die hellen
Lamellen
(… oder?)
Moral?