Beim Aussortieren der Bücher. Wir haben sehr viele Bücher. Verglichen mit Leuten die extrem viele Bücher haben, haben wir nur „ziemlich“ viele Bücher, die meisten Menschen haben aber nur sehr wenige Bücher, deshalb haben wir sehr viele Bücher. K besitzt ungefähr die Hälfte davon. Ihr gehören alle schönen Bücher. Alte Bücher, internationale Bücher. Mir gehört der ganze zeitgenössische Kram. Viele davon habe ich nicht zu Ende gelesen. Die meisten, wenn ich ehrlich bin. Ich kaufe oft Bücher, weil ich mich in etwas einlesen will. Viele der Bücher die ich kaufe sind nicht immer von vorne bis hinten gut. Oft sind es nur Bücher die ich verstehen will. Ich lege sie dann weg, aha, zur Kenntnis genommen, nächstes Buch bitte, danke.
Viele dieser Bücher sind Erstauflagen. Wenn ein Buch veröffentlich wurde und ich darüber lese, dann will ich es immer sofort lesen. K behauptet ich würde mich für nichts interessieren, was vor 1999 veröffentlicht wurde. Das stimmt so nicht ganz. Ich interessiere mich kaum für Kulturbeiträge die älter als zehn Jahre sind. Außer es hat einen geschichtlichen Hintergrund. Oder es interessiert mich ein bestimmter Zusammenhang.
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Dann lese ich mich in bestimmte Autoren fest. Immer wieder Autoren von denen ich dann das gesamte Lebenswerk anzuhäufen scheine und natürlich von der ersten bis zur letzten Seite gelesen habe. Bolano zum Beispiel, David Foster Wallace, JM Coetzee und auch Helmuth Krauser. Kaum Frauen übrigens. Seltsam. Ah und Haruki Murakami. Wobei mir letzterer schon ein bisschen peinlich ist. Dennoch: seine Geschichten saugen mich total auf. Das meine ich nicht im eskapistischen Sinne. Alltag entfliehen und blabla. Nein, seine Geschichten saugen mich total auf. Ich laufe danach aufgesogen durch die Welt.
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Dennoch kaufe ich keine Bücher mehr. Also die auf Papier. Das mit den Ebooks hat mich schnell erfasst. Seit ich vor vier oder fünf Jahren einen Reader kaufte, habe ich vielleicht fünf Bücher angeschafft und das nur, weil es sie nicht in digitaler Form gab.
Papierne Bücher sind superunpraktisch. Schwer, klobig. Und die dicken Hardcoverschinken zerschlagen einem die Nase wenn man beim Lesen einschläft. Ein Reader hingegen wiegt weniger als ein Telefon und es passt eine halbe Bibliothek hinein. Finde ich super. Mit dem in die Jahre gekommenen Streit, dass nur echte Bücher richtige Bücher seien, also die, die man anfassen könne und daran riechen, mit dieser Meinung konnte ich nie viel anfangen, aber ich fand es auch nie sinnlich, an altem Papier und Klebemittel zu schnüffeln. Wobei… Klebemittel…
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Mittlerweile lese ich Bücher meist auf dem Telefon.
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Beim Sortieren der Bücher also. Ich will mich der meisten Bücher entledigen, die Bücherschränke erschlagen mich, außerdem finde ich so viele Bücher zu besitzen etwas aus der Zeit gefallen, als würde ich alte Nähmaschinen sammeln, ich will weiße Wände.
Beim Sortieren der Bücher sind ziemlich viele Erinnerungen hochgekommen. Die Bücher die vor 22 Jahren mit mir von Wien nach Amsterdam gezogen sind, sind die ältesten. Die haben mehr als ein dutzend Umzüge hinter sich gebracht. Über vier Länder und 6 Städte. So sehen sie gar nicht aus. Meist war ich gut zu meinen Büchern.
Mein ältestes Buch ist eine Anthologie. Gastarbeiterprosa und –Lyrik. Ein schreckliches Buch. Mit keinem der Texte konnte ich etwas anfangen. Ich kann mich allerdings noch deutlich an diesen fürchterlich heißen Sommertag am Naschmarkt erinnern, als ich dieses Buch kaufte. Ich war mit einem Freund in Wien, wir hatten in der Nacht zwei sogenannte Micropuntine geschmissen, ich kann heutzutage gar nicht sagen, was diese Micropuntine genau waren, es handelte sich jedenfalls um die stärkere Variante der ACIDs, die sonst auf Löschpapier verkauft wurden, von den „Micros“ halluzinierte man stärker, die Wirkung dauerte auch länger an und sie sahen eher aus wie Bleistiftspitzen, daher vermutlich der Name, also Mikrospitzen. Ob das richtiges LSD war oder nur anderer chemischer Dreck, kann ich nicht beurteilen. Wir verbrachten also fast die ganze Nacht sitzend an der Kaimauer des Donaukanals und starrten ins Wasser. Ich kann mich nicht an Gespräche erinnern, ich weiß aber noch, dass das vorbeiströmende Wasser aussah wie braune Lava, träge fließend. Fast die ganze Nacht lang. So viel zu meinen Hobbies.
Am nächsten Mittag halluzinierten wir nicht mehr, aber wir waren innerlich noch viel zu aufgedreht um uns ins Bett zu legen, so streunten wir in der brütenden Hitze über den Flohmarkt des Naschmarkts. Ich interessierte mich noch nie für Gastarbeiter. Ich interessierte mich auch nie für Minderheiten oder Ethnien. Ich war meine ganze Kindheit eine ethnische Minderheit einer ethnischen Minderheit. Mich hat das immer angekotzt. Aber da, übernächtig, an diesem heißen Tag am wiener Naschmarkt, kaufte ich mir dieses Buch mit dem Namen „das unsichtbare Sagen – Gastarbeiterprosa und –Lyrik“. Keine Ahnung was mich da geritten hat.
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Dennoch erstaunlich wie viele Bücher mir noch etwas bedeuten. Einige nur der Erinnerung wegen. Zum Beispiel Majakowskis gesammelte Werke. Das Buch hatte ich einmal bei einer Tombola auf einem Benefizkonzert für irgendwelche politischen Gefangenen gewonnen. Ich beteiligte mich an der ersten Tombola meines Lebens und gewann dieses Buch. Der Auslober der Buchpreise war ein linksradikaler Buchladen in Utrecht. Ich kannte den Betreiber, der die Bücher für die Tombola kuratiert hatte. Ein superwichtiger, immer ernst schauender und gutaussender politischer Denker und Schriftsteller, der mich zu meinem Leidwesen jahrelang und immer verachtete. Mit einem Blick, der mich wissen ließ, ich sei nichtmal das Papier des Buchpreises würdig, überreichte er mir Majakowskis gesammelte Werke. Ich nahm das Buch in voller Demut an, suchte danach achtzehn Jahre lang nach dem richtigen, ehrfürchtigen Moment an dem ich mit dem Buch beginnen wollte, doch ich fand diesen Moment nie. Letztes Jahr, als ich in Pankow über den Majakowski Ring fuhr, googelte ich zuhause nach dem Schriftsteller. Was ich über ihn und seine Werke erfuhr, las sich eigentlich ganz gut und hörte sich gar nicht nach Stocksteife und Sozialismus an. Sollte ich vielleicht doch einmal lesen.
Mir war grad fad und weil ich mich nicht aushalt, wenn mir fad ist, hab ich, um mich loszuwerden, die ganze Liste sogenannter Literaturblogs abgeklappert, die in der Lesezeichenliste aufgelistet sind und die ich alle heiligen Zeiten mal abklappere, um mich loszuwerden, weil mir fad ist. Üblicherweise lese ich dann nur den ersten Satz, auf den ich treffe, meist sogar nur die erste Zeile, falls der ganze Satz länger ist als eine Zeile, bis der jeweilige Artikel auch schon zum Spiegel meiner Fadheitsstimmung mutiert und ich zum nächsten Lesezeichen springe. Ist mir dann am Ende meiner Literaturbloglesezeichenliste immer noch fad, gehe ich zu diversen Literaturbloglinks auf diesem Literaturblogs über, die nicht in meiner Lesezeichenliste aufgelistet sind, üblicherweise jedoch mit demselben Ergebnis. Üblicherweise zieht sich das solange hin, bis mir (seltener) doch noch was G’scheiteres zu tun einfällt oder (häufiger) mich aufziehende Bettschwere davon abhält, mich noch länger zu fadisieren. Heute aber … habe ich seit langer Zeit einen ganzen (sic!) Artikel zuende gelesen. Toll! Und mich sogar dazu aufgerafft, das zu erzählen …