[hypno]

Um mich in den Zustand der Hypnose zu versetzen ließ sie mich bei unserer ersten Sitzung gedanklich über eine Treppe hinunterlaufen. Ich saß in diesem weichen Ledersessel, hatte die Beine hochgelegt und ausgestreckt. Mit geschlossenen Aufgen lief ich eine Treppe hinunter. Sie forderte mich auf, mir die Treppe detailiert vorzustellen, die Höhe der Brüstung, das Material der Stufen und so gelangte ich gedanklich ziemlich schnell in die Treppe des katholischen Internats, das ich in meiner frühen Pubertät besuchte. Das war eine sehr sehr breite Treppe aus glattem Stein. Die Stufen waren längst abgerundet vom jahrhundertelangen Verschleiß. Das Gebäude ähnelte im Inneren eher einem Kloster. Das Treppenhaus erstreckte sich über sechs Geschosse, im Zwischengeschoß gab es jeweils Tore durch die man in das Kirchenschiff gelangte. Die meisten dieser Tore waren für uns Kinder aber geschlossen. Um von unseren Schlafgemächern im sechsten Stock bis ins Kellergeschoss für die Speisesäle zu kommen, lief man ewig über diese steinernen Treppen. Die Stufen waren so abgerundet, dass man mit glatten, weichen Pantoffeln regelrecht wellenreitend hinuntergleiten konnte. Ich verstand, dass mich die Hypnotiseurin durch dieses Treppenhaus in mein Unterbewusstsein hinunterschicken wollte, das fand ich gut, ein nettes Hilfsmittel, eine Treppe, so genial. So stieg ich diese Treppe hinunter. Nach dem dritten Stock hörte ich auf die Stockwerke mitzuzählen, während sie mit mir redete und mich hinwies auf gewisse Dinge zu achten, ob es Zwischengeschosse gibt, ob es ein Geländer gibt, ich sollte mir auch die Wände ansehen, das ging bestimmt mehrere dutzend Stockwerke so. Während ich immer weiter nach unten gelangte, wurde es zusehend dunkler im Treppenhaus. Ich weiß nicht mehr, ob Tageslicht ins Treppenhaus gelangte und ich weiß auch nicht wie hell es war als ich ganz oben auf der Treppe gestanden hatte, aber nach den dutzenden Stockwerken war mir aufgefallen, dass es dunkler geworden war. Vielleicht waren einfach die Lampen weniger stark, mittlerweile gab es auch vereinzelte Kerzen in den Einbuchtungen der Wände.
Die Frau die zu mir sprach, sagte es gäbe jetzt noch fünf Treppen vor mir. Ich sollte sie langsam laufen, ich schaute zu meinen Füßen, oh, nur noch fünf Stufen, damit hatte ich nicht gerechnet. Sie zählte für mich. Fünf, vier, drei, zwei, eins.
Unten angekommen.

Ich bin unten angekommen. Ich schaue immer noch zu meinen Füßen, ich stehe auf einem harten Boden aus festgetreteter Erde. Ich schaue mich um. Es ist ein dunkler Raum, es sieht aus wie ein Keller, ich kann aber keine Wände erkennen. Auch keine Gegenstände. In einiger Entfernung gibt es so etwas wie einen Nebel. Ein schwarz, violetter Nebel. Der Nebel ist überall. Er hält mich davon ab, die Enden des Raumes zu erkennen. Das ist also mein Unterbewusstsein. Ein finsterer Keller. Hätte ich mir nicht ausdenken können.

Ich erkenne sofort das Potential hier unten herumzulaufen. Natürlich weiß ich, dass ich nur mit einer Taschenlampe herumzuleuchten brauche um auf hunderte spannende Sachen zu stoßen. Wahrscheinlich schaffe ich es ohne Lampe, ich würde einfach über die Dinge stolpern, vergessene Ängste, vergessene Begierden, Streckbänke, vermutlich gibt es da Schaufeln, mit denen ich die Leichen ausgraben muss. Nix gegen ein bisschen Schweiß.

Aber die Stimme der Frau lenkt mich davon ab, sie weist mich auf eine Tür hin, die sich ein Stück weiter vorne befinden soll. Ich schaue hin, da steht tatsächlich eine Tür. Ich gehe hin. Die Frau sagt, ich solle die Kiste neben der Tür öffnen. Neben der Tür steht plötzlich eine große Kiste auf dem Boden. Es ist eher eine Truhe als eine Kiste, eine Schatztruhe mit eisernen Beschlägen. Ich öffne sie. Sie ist leer. Die Frau fordert mich auf, alles in die Kiste zu tun, das mich davon abhält, mich hier jetzt mit ihrer Stimme unten in meinem Unterbewusstsein zu befinden. Ich soll alle Ablenkungen ablegen bevor ich durch diese Tür schreite. Das verstehe ich. Ich lege meine Nackenschmerzen in die Kiste, ich lege ein paar Befindlichkeiten in die Kiste und noch ein paar andere Dinge.
Wenn ich also durch die Tür schreite, dann betrete ich also noch eine tiefere Ebene, das ist so spannend, ich frage mich ob ich nicht auf die Aufregung besser in diese Schatztruhe hätte legen sollen, es scheint mir etwas dämlich, da unten aufgeregt zu sein. Während ich vor der Tür stehe und tief durchatme, merke ich, dass ich tatsächlich meinen Nackenschmerz nicht mehr fühle, dabei weiß ich noch, dass er während meines Abgangs in der Treppe noch da war. Ich schaue zur Schatzkiste, mir ist, als würde ich den Nackenschmerz in der Truhe fühlen, aber nicht mehr in meinem Nacken, und wenn ich den Schmerz nicht haben will, dann ist er einfach nicht da. Auch nicht in der Truhe. Irre.
Dann trete ich durch die Tür. Eigentlich hatte ich erwartet, es würde eine weitere Treppe folgen. So etwas wie eine schmale Freitreppe in ein schwarzes Loch hinunter. Aber da ist nur ein weiterer Kellerraum. Ich gehe hinein und schließe die Tür. Es läuft ein Film. Es flackert, der Film wird projiziert, wie in einem kleinen privaten Kino. Es laufen die achtziger Jahre ab, ich bin ein kleiner Junge. Ich bewege mich in diesem Film, ich laufe eine Wiese hinab. Auch ich flackere ein bisschen.

 

[…]

2 Kommentare

  1. Jaaaaaa die Kischtntreppen. Lang ists her. Man weiss nicht ob es positive oder negative Erinnerungen sind. Aber hoffentlich ost dir nicht Schwester Pia in der Hypno erschienen…
    Salüc Pepi

  2. Haha, nein, keine Schwester Pia 🙂
    Erinnerungen an das Vinzentinum sind fast ausschließlich positiv. Zumindest aus heutiger Sicht. Damals war natürlich alles ganz furchtbar.

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