mein Freund der Priester

Vor drei Monaten in Rom habe ich neben Singen und Trinken einen Priester kennengelernt, der trinken konnte wie ein Walfisch in süffiger Laune und fluchen wie ein sizilianischer Mafioso, bei dem jegliche Hoffnung auf ein Weiterleben im Himmel verschwunden war. Nun mag man sagen, dass wir Katholen ohnehin nicht vor Fluchwörtern zurückschrecken und dabei am liebsten mit Wörtern, die heilige Sakramente und allerheiligste Fäkalien enthalten, um uns schmeißen, aber doch bleibt es fragwürdig in meinen Augen, auch wenn man sich nicht weiter darüber den Kopf zerbrechen soll. Und das mit dem Saufen ist nun mal so, dass Mönche und Priester und andere Kuttenträger eben viel Zeit zwischen ora und labora totzuschlagen haben, dass oft nicht viel anderes übrigbleibt, als den Wein und das Bier, das aus dem labora gewonnen wird, zu trinken.
Der Priester, den ich kennenlernte, war ein Südtiroler, was das Ganze vielleicht noch um einige Grade verschlimmert. Er war ein Freund meiner Schwester. Als ich sie am Bahnhof Termini abholte, erzählte sie mir, dass wir von dem Priester in ihrer Bleibe abgeholt werden würden. Er ginge mit uns essen, in einer Trattoria im Trastevere, auf der anderen Seite des Tibers.
In ihrer Bleibe, einem Kloster, oder besser gesagt, einem Schwesternhaus, das zum Hotel umgebaut wurde, erwartete er uns schon. Er war jung, etwa um die dreißig. Die Freude war groß, er begrüßte uns mit einem kräftigen Handdruck und einer herzlichen Umarmung und zeigte uns schließlich das Zimmer. Während ich meiner Schwester mit dem Auspacken des Gepäcks half, ging er nach unten, um mit einer der Nonnen weiterzuquatschen.
Danach gingen wir los, ach, es sei nicht weit, nur den Hügel hinunter, an der Tiberinsel vorbei, dann über den Fluss ins Viertel hinein. Er zeigte uns die kleinen Geheimnisse Roms, viele Steinhaufen an bedeutungslosen Ecken, die Weltgeschichte zu schreiben schienen, verwilderte Katzensiedlungen, er wies uns gute Kneipen und Trattorie die furchtbaren Wein auftischten. Es musste Stunden gedauert haben, es war schon dunkel geworden, von wegen den Hügel runter, ganze sieben solcher Hügel müssen wir gelaufen sein, als endlich der rettende Tiber hinter einer dunklen Gasse auftauchte, und tatsächlich, ab dem Tiber war es nicht mehr weit. Wir setzten uns hin, bestellten erstmal große Biere, um den Schweißpegel wieder auf eine akzeptable Höhe zu bringen, und als wir wieder halbwegs schwitzen konnten, machten wir uns über die Menükarte her.
Dann meldete sich die allerkleinste Schwester auf dem Handy und sagte, dass der Zug aus Napoli ungefähr zwei Stunden Verspätung haben würde. Es würde sehr spät werden, bis sie in Rom ankäme. Ob wir sie trotzdem abholen können. Ja, natürlich Schwesterchen, melde dich eine halbe Stunde vor Rom, dann holen wir dich alle ab.
Der Priester war ein guter Trinker. Allerdings war er auch ein weiser Denker. Aus hitzigen Diskussionen, in denen ich meine katholischen Kritikpunkte an einen Vertreter der Kirche vor den Boden warf, kamen wir zum Ergebnis, dass wir das Gleiche dachten, nur anders, und je betrunkener ich wurde, desto mehr kam mir in den Sinn, mich zum Priester weihen zu lassen. Immerhin ist ein Leben zwischen Weintrinken und dem Nachdenken über die Welt gar kein schlechtes Leben. Die Kutten sind auch schick, und an das frühe Aufstehen würde ich mich mit der Zeit schon gewöhnen. Nur mit dem Zölibat ist das halt so ne Sache, meinte ich. Ach ja, sagte er und zuckte mit den Schultern, das ist nicht so schwierig, man vögelt halt nicht. Ah genau, man vögelt halt nicht. Ich guckte in die Menge leicht bekleideter Römerinnen auf der Piazza, seufzte kurz und der Priester und ich hoben gleichzeitig das Bierglas.
Eine Viertelstunde später rief die kleinste Schwester wieder an, sie führe gerade am Bahnhof Termini ein, sie habe da was falsch verstanden mit der Verspätung, ob wir sie nicht abholen könnten. Nein, können wir nicht, das Essen käme jeden Moment, sie solle ein Taxi nehmen und ich würde es bezahlen. Eine halbe Stunde später hielt ein Taxi mit quietschenden Reifen neben unserem Tisch und meine kleine Schwester fiel mir beim Aussteigen fast in meinen Teller hinein.

Wir wollten noch ein wenig weiterziehen nach dem Essen, ein paar Gläser Rotwein trinken in ein paar Cafés, aber das gestaltete sich nun etwas schwierig, da die kleine Schwester eine halbe Pferdekutsche voller Gepäck bei sich hatte. Zurückzukehren in das Schwesternhaus war keine Option. Wenn wir da wären, wäre es schon wieder Zeit, ins Bett zu kriechen. Aber der Priester wusste Rat: Alles sei kein Problem, wir würden an einer Kneipe vorbeilaufen, bei der wir die Koffer und Rucksäcke liegenlassen können und auf dem Nachhauseweg wieder abholen.
Wir machten uns bald auf den Weg. Die Kneipe befand sich gleich um die Ecke. Eine laute, sehr laute Spelunke, aus der mir The Clash draußen schon die Ohren zudröhnten und mich trotz generellen Rauchverbots in Italien beim ersten Schritt durch die Tür eine giftige Haschischwolke einräucherte, bei der ich beim bloßen Hingucken schon stoned wurde. Der Priester trat in die Kneipe ein, grüßte hier ein paar Leute mit Dreadlocks und ein paar Leute in Lederkleidung, die ihm aus der Ferne zuprosteten, und erreichte die Theke, wo er erstmal den Kellner, einen etwas verwegenen Punk, begrüßte und dann mit ihm die Sache mit dem Gepäck besprach. Nach kurzem Wortwechsel winkte der Punk uns heran, stellte vier Biere auf die Theke und nahm das Gepäck meiner Schwester an, das er in einem Hinterzimmer verstaute. Alles geregelt.

Als ich später, mitten in der Nacht, ganz alleine auf dem Fuß einer Säule sitzend, auf den Nachtbus wartete, da ich in einem anderen Hotel übernachtete, fühlte ich mich wie ein Spießer, der zwar vögelte, aber sonst nicht viel vom Leben vor dem Tod verstand.
Die restlichen Tage war ich zu sehr beschäftigt, um mich nochmal mit ihm treffen zu können.

3 Kommentare

  1. Bei anschliessender Selbstgeisselung kann man auch mit feuchten Fröschen in der Unterhose herumlaufen. Oder kleinen Jungs im Hinterstübchen Nachhilfestunden geben.

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