Morgens öffne ich die Gardinen und sehe zum ersten Mal das vereiste Adventdalen mit dem Adventfjord. Gestern Nacht konnte ich das nicht mehr gut erkennen. Ich schiesse Fotos und habe das selbe Problem wie gestern, dass man auf den Fotos nichts von der Räumlichkeit, nichts von der Weite und Magie dieses vereisten Tales erfassen kann. Man sieht nur den Zaun vor dem Hotel und die Bergspitzen dahinter. Der Raum verflacht.
Ich stehe eine ganze Zeit lang am Fenster. Irgendwann wecke ich meine Frau und ich bereite uns einen Nespresso aus der bereitgestellten Kapselmaschine zu. Als sich meine Frau ans Fenster stellt, ist ihr gleiche Reaktion, das vereiste Adventdalen zu fotografieren. Mit der selben Enttäuschung.
Heute wird es etwas kälter sein als gestern. Der Wetterbericht zeigt minus 5 Grad an.
Ich bin jetzt übrigens bei Bluesky. Offenbar eine offene Alternative zu Twitter. @mpfeifer.bsky.social. Ich weiss aber noch nicht, wie ich dort Menschen finde.
Wir gehen ins Hotelrestaurant zum Frühstück. Im Hotelrestaurant wird abends gehobene Küche aufgetischt. Überhaupt gibt es auf dieser Insel auffallend viele Restaurants, die sich als Fine Dining klassifizieren. Ich nehme an, dass es das Publikum dafür gibt, eine Reise nach Spitzbergen ist vom Budget her schliesslich nicht vergleichbar mit einem Billigurlaub am Ballermann.
Der Raum des Restaurant gibt auch wirklich etwas her. Er hat eine riesige Fensterfront, die einen Panoramablick über das Adventdalen, den Adventfjord bis hinaus zum weiten Eisfjord gewährt. Als wir ankommen, sind alle Fensterplätze bereits besetzt, aber wir finden einen Tisch weiter hinten, von dem aus wir die gesamte Fensterfront vor uns haben. Das Frühstück schmeckt gleich doppelt so gut.
Für den Nachmittag hatten wir eine Bootstour durch den Eisfjord gebucht. Eine Fahrt mit einem grösstenteils elektrisch betriebenen Katamaran. Wir würden zu den Gletschern fahren und zu des Kapitäns Lieblingsstellen, die Tour heisst dann auch “Captains Favourites” und hat kein festes Ziel, sondern führt uns dahin, wo der Kapitän es am liebsten mag, sofern die Wetterbedingungen es zulassen. Dahin wo der Kapitän es am liebsten mag. Da klingt so, als würde man von da nicht mehr wegwollen.
In der Zwischenzeit spazieren wir einmal durch den Ortskern von Longyearbyen. Der Ortskern ist auf einer Seite ein Fussgängerweg, auf dessen Seite sich alle Läden, Bars und Restaurants hin öffnen und auf der anderen Seite die Hauptstrasse, auf der man durch das ganze Dorf fahren kann. Longyearbyen hat zwar nur etwa 3000 Einwohner, es ist aber sehr langgestreckt, es zieht sich am Bach entlang fast drei Kilometer hinauf bis zum Orstteil Nybyen.
Es ist Sonntag, die Läden haben alle geschlossen. Nur der Supermarkt würde um drei Uhr öffnen, aber um drei Uhr würden wir auf dem Boot sein. Die kleine Mall namens Lompen Senteret hat offen, man kann hindurchlaufen, aber alle Läden haben heruntergelassene Rollos, lediglich das kleine Café Fruene ist geöffnet, aber wir haben gerade gefrühstückt, uns ist noch nicht nach Kaffee.
Es ist heute sehr kalt. Das Thermometer zeigt zwar nur minus 5 an, aber durch den Windchill Effekt, fühlt man minus 15 Grad. Aber wir haben eine dicke Jacke und eine gute Mütze auf. Wir laufen einmal den ganzen Fussgängerweg hinauf um uns ein Bild zu machen. Der Fussgängerweg ist lustigerweise genau einer jener wenigen Wege, die ich noch nicht kannte, weil er auf Streetview nicht erfasst ist, aber ich sah ihn bereits auf verschiedenen Fotos und Videos auf Social Media.
Der Ortskern ist nichts besonderes, ein typisches Zentrum einer skandinavischen Kleinstadt, also ein paar lose, bunte Holzbauten und etwas sechzigerjahre Ästhetik. Nicht zu vergleichen mit diesen romantischen südeuropäischen Städtchens.
An einem Sonntag ist natürlich nichts los, wir biegen oben beim Toursitinfo also ab und spazieren die Autostrasse hinunter an der Uni entlang bis zum Museum der Nordpol Expeditionen. Meine Frau wollte sich das ansehen. In dem Museum muss man, wie an vielen Orten in Longyearbyen, die Schuhe ausziehen. Das ist ein Brauch, der noch aus Zeiten des Kohleabbaus stammt. Der schwarze Kohleruss sollte nicht in die Gebäude eindringen. In einem Vorraum des Museums gibt es einen grossen Schuhschrank mit Pantoffeln., Auf einem Schild wird freundlich gebeten wird, die Schuhe auzuziehen. Es gibt allerdings keine Pantoffeln in Grösse 45. Die Ticketverkäuferin schlägt vor, dass ich auf meinen Socken laufe. Ja warum nicht. Der Boden des Museums ist tatsächlich sehr sauber, weil er nicht mit Schuhen begangen wird.
Die Ausstellung thematisiert natürlich Fritjof Nansen und die Fram, sowie auch Roald Amundsen. Als Jugendlicher war mir Amundsen sehr zuwider, weil er in 1912 Robert Falcon Scott die Entdeckung des Südpoles wegnahm. Ich las als elfjähriger die Tagebücher jener tragischen Antarktisexpedition und litt in jedem Schneesturm ausgesprochen mit, und als Scott und seine Mannschaft ausgehungert und müde am Südpol ankamen und die Norwegische Flagge sahen, da hasste ich diesen Amundsen so sehr vie Scott das tat. Wobei Scott eher enttäuscht war, ich hingegen richtete meinen Ärger eher auf Amundsen.
Heute weiss ich hingegen, dass Amundsen eigentlich ziemlich cool war.
Meine Frau fasziniert sich für eine Rettungsaktion in der Arktis, in der 1928 ein italienisches Luftschiff verunglückte.
Danach gehen wir ins Huskies Cafe an der Hauptstrasse und trinken einen Kaffee. Im Huskies Cafe leben zwei weisse Huskies. Die hängen dort rum und lassen sich streicheln.
Dann wird es Zeit für die Bootsfahrt. Die Organisatorinnen holen uns Teilnehmer von ihren Hotels ab. Es gibt mehrere Menschen, die gemeinsam mit uns vor dem Hotel warten. Mit ziemlicher Verspätung kommt dann ein Mitarbeiter von Hurtigruten, der uns mitteilt, dass die Tour heute aufgrund der ungünstigen Wetterbedingungen abgesagt wurde. Das ist natürlich sehr schade. Das Ticket gilt aber drei Wochen, und wenn die Tour nicht zustande kommt, oder wenn wir stornieren wollen, dann ist dies kostenlos möglich. Wir beschliessen erstmal keine Entscheidung zu treffen, wollen uns aber auch nicht die Laune vermiesen lassen, deswegen gehen wir zurück ins Dorf in den Supermarkt. Das macht man eben so. Supermärkte in fremden Gegenden besichtigen. Das macht wirklich Spass. Das machen wir immer.
Die Sonne steht Anfang Oktober nicht mehr so hoch am Himmel. Zwar ging sie heute um 7:31 auf und um 17:59 unter, aber sie streift den ganzen Tag nur über den Bergkuppen entlang. Der ganze Tag fühlt sich eher an wie ein permanenter, früher Abend, das Licht ist etwas bläulich, fast schüchtern, blass, als würden hier inkognito Vampire leben.
Es ist plötzlich 17 Uhr und wir beschliessen, einen frühen Abend zu machen, wir laufen hoch zu Kroa, einem beliebten Restaurant am oberen Ende der Fussgängerzone. Dort trinken wir ein Bier und schiessen Fotos von uns. Meine Frau hat keine Lust auf Pizza und Burger also gehen wir ein Stück hinunter in das Restaurant Stationen, aber da erfasst uns beiden die Lust, zuerst noch in der Bar nebenan ein Bier zu trinken, dort bestellen wir ein Bier von der Svalbard Bryggeri, also der Spitzbergen Brauerei, die wir morgen besichtigen werden. Es gibt hier überall Bier von der Svalbard Bryggeri. Die Leute scheinen stolz zu sein, die nördlichste Brauerei der Welt im Dorf zu haben, aber vermutlich ist es auch schlichtweg aus logistischen Gründen einfacher, das Bier aus dem Dorf zu beziehen.
Bei Stationen bestelle ich einen gebratenes Dorschfilet mit einem unfassbar guten Karottenpüree. Meine Frau bestellt Fish and Chips.
Vorher hatten wir einen Wal-Carpaccio bestellt. Wir haben beide nie Wal gegessen und eigentlich hatten wir nie das Bedürfnis Wal zu essen, aber plötzlich hatten wir Wal bestellt.
Ich konnte es dann nicht essen. Weiss nicht. Es schmeckte okay, aber ich musste bei jedem Bissen an dieses Tier denken. Mit Kühen oder Schweinen fällt mir das nicht schwer, ich könnte sicherlich ein Schwein schlachten und es essen, aber beim Gedanken, an diesen friedlichen Riesen aus dem Meer, bekam ich keinen Bissen runter.
Ich war etwas überrascht über diese meine Reaktion. Aber ich muss auch sagen, dass ich Tieren gegenüber neuerdings wesentlich sensibler geworden bin. Das hat ganz offensichtlich mit meiner Hündin zu tun. Seit ich so eng mit einem Tier zusammenlebe, ihre ganzen Wesenzüge kennengelernt habe, merke ich, wie ich auch bei anderen Tieren viel mehr das Wesen erkenne. Kann gut sein, kann aber auch doof sein.










