[Sa, 30.9.2023 – Oslo, Ankunft Longyearbyen]

Wir fuhren also zum Frühstücken in die Stadt, nach Oslo. Oslo spricht man Uslu aus. Dies fürs Protokoll. Bis wir startbereit waren, verging aber viel Zeit. Zuerst hatten wir beide richtig gut und tief geschlafen. Das ist mir lange nicht mehr passiert. Vielleicht liegt es an der weichen Matratze, ich schlafe üblicherweise auf härteren Unterlagen, das war immer schon so, ich dachte, ich sei jemand, der gerne auf harten Matratzen schläft, aber ob das wirklich der Fall ist, weiss ich nicht, ich dachte, das gehört zu meinem Persönlichkeitsprofil, warum auch immer. Ich schlief neulich in Amsterdam auch so gut, und auch da war die Matratze weich. Es könnte aber einfach am Umstand liegen, dass ich in Hotelbetten gut schlafe. Ich ahne, dass sich das psychologisieren lässt.

Jedenfalls nahmen wir eine Bahn um 11 Uhr vom Hotel am Flughafen in die Stadt. Das dauert mit einem ausserordentlich schnellen Zug ganze 40 Minuten. Der Flughafen befindet sich besonders weit vom Stadtzentrum entfernt. In der Innenstadt irrten wir zuerst etwas planlos herum, fanden dann ein sehr nettes, tüdeliges Kaffee, in dem wir frühstückten. Danach gingen wir zur neuen Oper am Hafen. Wir hatten nicht viel Zeit, wir sollten um 14 Uhr wieder am Flughafen sein, deswegen verzichteten wir auf einen Stadtbummel und besuchten dafür dieses Operngelände.
Ein beeindruckender Stadtraum, der aus begehbaren, vielfachen und weitverzweigten Schrägen besteht. In dieser Landschaft von Schrägen ragt ein rechteckiger Betonkörper hervor, in dem sich der Opernsaal versenkt befindet.

Wir schiessen viele Fotos davon, aber die Wirkung des Raumes kommt daraus nicht hervor.

Es misst in Oslo 15 Grad. Leider habe ich meinen Pullover nicht im Handgepäck dabei und laufe daher mit dem T-Shirt und kurzen Hosen herum. Ich friere allerdings nicht. Etwas Angst habe ich nur vor der Ankunft auf Spitzbergen. Am Flughafen in Longyearbyen steigt man nämlich aus dem Flieger aus und läuft etwa 100 Meter durch offenes Gelände bis zum Flughafengebäude. Es soll minus vier Grad messen. Der arktische Windchill am Eisfjord senkt die Temperatur allerdings noch um einiges. Meine Frau und ich überlegen lange, ob es sich auszahlt, eine zusätzliche Jacke zu kaufen. Ich finde eine gesteppte Jacke, die ich üblicherweise bei Temperaturen zwischen 0 und 10 Grad verwenden würde. Für den täglichen Gebrauch in der Arktis ist sie wahrscheinlich zu dünn, in Berlin würde ich sie aber gut als Übergangsjacke einsetzen können. Sie ist preislich reduziert, ausserdem gibt es auf die Jacke einen Steuerrefund, also kaufe ich eine Jacke, die eigentlich 160€ kostete, für nur 85€. Das hat sich doch sicherlich ausgezahlt.

Dann boarden wir für Longyearbyen. Wir laufen bis ans Ende dieses langen Ganges. Die Menschen und Läden werden immer weniger. Da Spitzbergen eine Sonderzone ist, müssen wir nochmals durch eine spezielle Passkontrolle, danach sitzen wir in einem Gate mit einigen anderen Reisenden, zu denen ich mich auf eine seltsame Art in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden fühle.
Das interpretiere ich natürlich über, aber wir fliegen mit dieser Gruppe Menschen ans Ende der Welt. Alle fliegen dort freiwillig hin oder besser gesagt: Vermutlich machen es alle aus Überzeugung.
Ich glaube sofort die Bewohnerinnen zu erkennen. Einmal eine junge Frau in ledernen Minirock und eine andere Frau, Typ Outdoorpunk, sie ist riesig gross und blond, sie liest gelangweilt ein Buch. Irgendwo dazwischen sitze ich. Ganz offensichtlich bin ich kein Bewohner, weil ich so aufgeregt bin wie ein Käsebrötchen.

Mit etwas Verspätung fliegen wir los. Der Flug dauert drei Stunden.

Norwegen ist ewig lang. Manchmal fliegen wir sogar über Schweden. Ich nutze Osmand+, eine Karten-App mit offline Karten von Openstreetmaps.org, mit GPS kann man dann sogar im Flugzeug sehen, wo man sich gerade befindet.
Irgendwann verlassen wir das Festland und fliegen über das Wasser. Im Nordosten taucht der Mond aus dem arktischen Ozean auf. Es ist ein magischer Moment. Auch das kann man nicht gut auf den Fotos einfangen. Ich schiesse dutzende Bilder, um den Moment einzufangen, aber es bleibt einfach nur ein heller Himmelskörper am verschwimmenden Horizont.

Um zwanzig nach sieben landen wir in Longyearbyen. Ich habe diese Landung bereits tausend Mal auf Youtube gesehen. Wie man über den verschneiten Bergplateaus und den Eisadern hereinschwebt und sich im Fjord absenkt.

Die Sonne ist bereits vor anderthalb Stunden untergegangen, der Himmel leuchtet aber Aquamarinblau, hell genug, dass man noch lesen könnte. Die Menschen, die aussteigen, schiessen sofort Fotos von der Umgebung. Die vereisten Berge, das Blau, der weite Eisfjord, die entfernten Lichter von Longyearbyen mit dem markanten Schornstein des ehemaligen Kohlekraftwerks.

Es ist nicht kalt. Es hat -2 Grad. Ich trage die neue Jacke geöffnet, darunter nur das T-Shirt.

Der Flughafen hat die Ästhetik eines Vereinsheimes mit einem Gepäckband. Er muss nur zwei Flüge am Tag abwickeln. Einen Flieger, der gegen Mittag wegfliegt und einen Flieger, der am Abend kommt.
Wir nehmen gleich den Shuttlebus ins Dorf. Der Bus fährt alle Hotels ab. Wir haben uns im Radisson Blue Polar niedergelassen. Ich finde das gut. Ich muss nicht in Blockhütten mit Gemeinschaftsbädern wohnen.

Die Strasse vom Flughafen bis ins Dorf und durch das Dorf hinauf bin ich schon hunderte Male auf Streetview gefahren. Ich kenne das alles seit Jahren. Ich kenne diesen Ort so gut, es fühlt sich total unwirklich an, jetzt hier zu sein, ich kann das jetzt alles nur durch einige Abstraktionsfilter spüren, ich glaube, die Eindrücke sind so intensiv, dass ich sie nicht richtig filtern kann. Dieser Ort bestand vier Jahre lang als eine sehr intensive Fantasie.

Longyearbyen also. 78 Grad Nord. Die nördlichste Siedlung der Welt. Der Nordpol ist etwa 1100 km entfernt.

Dann checken wir ins Hotel ein, legen das Gepäck ab und gehen in den hauseigenen Pub, wo wir Spitsbergenbier und Pizza essen.

Eigentlich wollte ich mindestens noch eine kleine Runde ins Dorfzentrum drehen, aber meine Frau fühlt sich noch etwas von der Reise erschlagen, ausserdem weiss sie noch nicht genau, wie das mit den Entfernungen und den Eisbären einzuschätzen ist, wir beschliessen, den Tag zu Ende zu bringen. Nach dem Essen und dem Bier sind wir auch schlagartig müde und fallen ins Bett.
Ausser ich, der noch diese Zeilen aufschreibt.

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