Tagespensum: Seiten 69 bis 71 von 111
Die erste kühle Nacht. Ich breitete mich unters offene Fenster aus und schlief danach zwei Stunden länger als in den Wochen davor.
Mein Freund aus Minden schrieb mich weiterhin wegen der Kleidung für die Hochzeit an. Ich bin überrascht, wie sehr ihn das Thema beschäftigt. Er ist mir bisher nie als modisch interessiert aufgefallen. Unsere Gespräche drehen sich meist um Technologiethemen. Es macht mir Spass, mich mit einem Mann über Mode auszutauschen. Männer mögen das meist nicht. Oder sie sind zu unbeholfen dabei, das ist vielleicht der Grund. Männer dürfen auch nicht im Verdacht stehen, eitel zu sein, das dürfen nur Frauen. Bisher kann ich Eitelkeit ganz gut verbergen.
Wegen des Austausches mit meinem Freund probierte ich heute den Hochzeitslook an. Ich war mir sicher, dass meine Garderobe einen ordentlichen Look für einen gesellschaftlichen Anlass hergibt. Schliesslich gehe ich tendenziell eher overdressed aus dem Haus, mir ist es lieber, overdressed als underdressed zu sein. Dummerweise stimmt diese Annahme nicht mehr wirklich. Vor allem nicht, wenn es warm ist, wo ich nur noch Thirts und kurze Hosen ertrage, zudem hat das Leben mit meiner Hündin auch für einen gewissen permanenten Gassilook gesorgt.
Überdies sind mir alle Hemden zu eng geworden. Neuerdings trage ich sehr selten Hemden. Ich befinde mich gerade in einer sportlichen Phase. Andere Männer in meinem Alter legen sich neue Autos oder Jachten zu, ich hingegen ziehe kurze Sporthosen und Tshirts an.
Seltsam finde ich übrigens, dass alle meine Westen kurz geworden sind. Nicht eng (obwohl das auch), sondern kürzer. Als wäre ich in die Länge gewachsen. Erklären kann ich es mir nicht.
Wir schickten uns gegenseitig Fotos, wie wir vor dem Spiegel posieren. Er hat einen Anzug in Navy ausgewählt, mit einem weissen Hemd, das auf der Innenseite des Kragens ein dunkles Band führt. Er ist nicht ganz happy damit. Deswegen probieren wir.
Da mir meine Hemden offensichtlich nicht mehr passen, beschloss ich, shoppen zu gehen. Der angedachte Look ist ein weisses Hemd mit kurzen Ärmeln, eine schwarze Weste mit schwarzem, dünnen Schlips. Eventuell auch ein neues Jacket. Aber das müsste dann auch schwarz sein. Mehr als zwei deckende Farben zu tragen ist sehr schwierig und mehr als drei tötet jeden Look. An den Beinen trage ich schwarze Jogpants und weisse Sneakers. Die Weste würde ich vorzugsweise etwas exzentrischer haben wollen. Zwar sind die Schwarzen immer sehr schnieke, in Schottland kaufte ich mir einmal zwei Westen, die hinten auf der Seidenseite psychedelische Muster abgebildet hatten. Das fand ich so schön unseriös, dass ich danach nur noch selten schwarz-in-schwarz Westen trug.
Es kann aber auch sein, dass ich beim Shoppen auf ganz andere Ideen komme. Wir einigten uns darauf, nicht konservativ anzutanzen. In Österreich auf dem Land tragen die Gäste sicherlich diese unsäglichen Trachten oder an den Trachtenlook angedockte Postvölkische-Mode, deswegen werde ich mich eher an die Berliner Nacht orientieren. Schwarz oder Anthrazit geht immer. Oder eben richtig farbenfroh, vielleicht sogar psychedelisch. Zur Not geht auch ein schwarzer Anzug mit weissem Hemd und einer dünnen Krawatte. Straight out of Reservoir Dogs. Alternativ könnte ich statt des Hemdes mein gelbes Tshirt mit dem Bildnis meiner Hündin tragen. Oder das Tshirt mit dem Sushi-Aufdruck. Aber irgendwann wird man das Jacket ablegen und dann trägt man nur noch ein Tshirt, das sieht dann wieder oll aus. Nun. Ich werde sicherlich etwas finden. Mein Freund bat mich, Fotos zu schicken.
Dann fuhr ich mit der Hündin zum Alex. Ich hatte mich verschätzt, wie anstrengend es ist, mit einem Tier einzukaufen. Also liess ich von der Unternehmung des Einkaufens ab und verschob es auf morgen. Dafür traf ich mich am Alex mit meiner Frau und ich kaufte mir das Parfum „Leder 6“ von Schwarzlose. Damals schrieb ich „Neue Düfte brauchen Zeit„. Heute war die Zeit gekommen.
Abends schrieb mir mein Freund und fragte nach den Fotos. Ich erklärte, dass ich das erst morgen erledigen würde. Ich fühle mich richtig angestachelt. Das meine ich positiv.
Alles wird kürzer, wenn der Weg nach unten größer wird. So ist es vielleicht am besten erklärt.
Vielleicht waren auch die Kalorienzwerge da, und die habe nachts die Klamotten umgenäht?! Ist mir auch schon zwei mal passiert!
Ich entschuldige mich aufrichtig, ich kann mein großes Maul einfach nicht halten. 😐