mit halben Sinnen

I

ch laufe wackeligen Schrittes durch den finsteren Hinterhof. Es gab Flensburger Pils und Flens macht merkwürdige Dinge mit meinen Beinen. Ich merke, dass sich noch jemand im Hof befindet. Es ist das Geräusch einer Fahrradkette wodurch ich darauf aufmerksam werde und einen Augenblick lang meine ich, die Umrisse eines Mannes erkannt zu haben. Ich stöhne gespielt und grummle etwas von Finsternis und Scheiße während ich umständlich mein Feuerzeug aus der Hosentasche puhle um mir den Weg zu leuchten. Ich ignoriere den Mann absichtlich, er soll sich unbemerkt wähnen, das verschafft mir den Vorteil auf einen Überfall gefaßt zu sein während er sich sicher glaubt und mögliche Fehler begeht. Später werde ich mir an den Kopf fassen und denken, Menschmek, der Rambo in Dir .
Doch wider Erwartung spricht er mich an. Er klingt friedlich, auch wenn ich das Gesagte nicht verstehe. Er sagt etwas von Finsternis und Scheiße, das macht vertraut. Langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit und ich kann den Umriss seines Kopfes sehen. Er hat sehr kurze Haare, sein Kopf ist rund. Er sagt ich solle auf seiner Seite gehen, da stecken die Pflastersteine nicht so hervor, im Dunkeln könne man hier ganz schön stolpern. Ich folge ihm zur Tür. Er sperrt sie auf und schaltet das Licht an. Die Lampe im Hauseingang knallt und geht aus. Doch habe ich ihn in diesem kurzen Augenblick sehen können und er mich auch. Er trägt eine schwarze Bomberjacke und hat ein unglückliches Gesicht. Ich frage mich ob man Unglück wirklich erkennen kann, ist ja immer so eine komische Sache, die Sache mit dem Glück, man soll es nicht mit Müdigkeit verwechseln, es ist ja mitten in der Nacht und die paar Worte die er gesprochen hat, zeugen davon, dass er womöglich ein wenig getrunken hat, was ich daraus schließe, dass ich ihn schlecht verstanden habe. Ich mag diesen Schluß, ich mag es wenn ich mir zu später Stunde die Welt einfach erkläre.
Er sagt: Scheiße. Das kaputte Licht. Doch dringt ein wenig Licht von den Lampen aus dem restlichen Treppenhaus nach unten zu uns. Ich sage auch: Scheiße.
Er sagt es werde alles immer schlimmer hier, die Miete würden sie wohl auch bald erhöhen. Wir steigen nebeneinander die Treppen hoch und ich frage ihn ein wenig verwundert ob dem wirklich so wäre, ich hätte den Eindruck die Hausverwaltung erledige meine Anliegen eigentlich immer recht zügig.
Aber ich sei ja auch neu, schiebe ich hinterher. Vielleicht habe sich die Hausverwaltung ja gute Vorsätze gemacht, neue Mieter, neues Leben sozusagen.
Er bleibt kurz stehen und ich meine zu erkennen, dass er sich zu mir umdreht und Augenkontakt sucht. Auch ich bleibe stehen. Ich gebe zu, dass ich das selbst nicht glaube. Er lacht.
Er fragt mich ob ich der Neue sei, der aus dem dritten Stock. Ich nicke. Doch als ich merke, dass es vermutlich zu dunkel ist um mein Nicken zu erkennen, sage ich: ja.
Martha, so sagt er, habe schon von mir erzählt. Ich sei ja ganz OK.
Ja wenn Martha das sagt, erwidere ich, dann müsse es wohl so sein. Martha sei ja auch ganz OK. Er nickt. Oh, er nickt, denke ich, dann ist es gar nicht so dunkel wie ich dachte. Ich hebe meinen Arm und sage, dass auch die Lampe im ersten Stock kaputt sei.
Issjanding, sagt er, wie die alten Leute. Stirbt einer, schluckt der andere gleich ne Schachtel Pillen.
Ja, sage ich, es sei schon schön.
Ich gehe weiter. Er folgt mir.
Ich bin wackelig auf den Beinen. Und meine Beine sind wie Blei. Auch er. Wackelig jedenfalls. Er hält sich am Treppengeländer fest. Wäre Licht, dann wären wir ein altes Ehepaar, das sich die Treppen hochkämpft.
Wer er denn sei, frage ich ihn. Sven aus dem vierten Oh-Geh, bekomme ich zurück. Je höher wir kommen desto heller wird es. Aus dem zweiten Stock erreicht uns das Licht.
Er sei ja der einzige hier der ein ANTIFA-Poster an der Türe hängen habe. Er sagt das als gehöre das zum Wohnen in diesem Haus dazu. Soso, sage ich. Antifa also. Es laufe ja auch viel von dem rechten Grölgesindel rum hier.
Jaja, erwidert er, hier umme Ecke fange gleich Braundeutschland an, ganz übel. Bei der Kneipe an der Ecke fange es an.
Das sei schade, sage ich, ich habe nämlich vorgehabt dort zu fragen ob sie auch Paulispiele zeigen würden. Die haben ja Premiere und Pauli sei jetzt schließlich wieder zweite Liga, also richtiges Fernsehfußball.
Paulispiele! ruft er und lacht. Sollte ich in jener Kneipe je St.Pauli erwähnen dann dampfe da braune Kacke.
Komischer Ausdruck, das mit der Farbe, sage ich.
Jaja, sagt er, schon wahr.
Wir erreichen den zweiten Stock und es ist hell. Hell hier, sage ich. Ja, antwortet er, so soll es auch sein. Hausverwaltung Scheiße, sage ich. Er nickt. Er fragt mich wo ich denn herkäme, ich sage Südtirol und er sagt, aha. Und dann sagt er Österreich sei gar nicht so übel. Ich sage: nee, Südtirol ist nicht Österreich. Und er sagt, dochdoch, er sei schonmal in Tirol zum Schifahren gewesen und das war eindeutig Ösiland gewesen.
Tirol, sage ich und will irgendwo ansetzen, doch ich finde den Ansatz nicht und seufze. Dann füge ich hinzu, dass das sei schon OK sei, ein Antifaschist müsse solche Dinge nicht wissen. Ich wisse viele Dinge auch noch nicht lange.
Welche Dinge, will er wissen.
Nunja, erwidere ich, wie das mit Preußen so war.
Komische Sache das mit Preussen, sagt er. Ich nicke. Doch weil er mich nicht ansieht, gebe ich ein zustimmendes mhm von mir, das aber eher wie ein müdes mmm klingt, und hoffe dabei, er möge das versteckte h gehört haben. Zustimmung täte ihm durchaus gut, denke ich mir so.
Wir haben inzwischen den dritten Stock erreicht und ich frage ihn woher er käme. Leipzig sagt er. Ich antworte, dass ich Leipzig möge, dass es dann aber kein Wunder sei. Ich bin stehengeblieben da ich im dritten Stock wohne. Er hat schon zum Weitergehen angesetzt, doch als ich stehenbleibe scheint ihm einzufallen, dass mein Weg hier zu Ende sei. Auch er hält inne.
Wunder? fragt er mich.
Ja, Wunder. Die Sache mit Österreich und Preußen.
Ahso, antwortet er und scheint nachzudenken. Dann macht er eine Geste mit dem Kopf, mit dem Kinn eher, und weisst auf die drei Wohnungstüren hinter mir. In welcher ich wohnen würde. Mitte, sage ich.
Ahso, sagte er. Er wohne links. Er sei leise. Aber das Pärchen über mir sei auch OK. Sie würden nur manchmal laut ficken, aber das ginge schon. Lautes Kochen, also Pfannenscheppern, sei schlimmer.
Lautes Pfannenscheppern? frage ich. So mitten in der Nacht?
Weiß ich nicht, antwortet er.
Das Licht im Treppenhaus geht aus. Es ist wieder Finster. Ich schaue hinter mich um das kleine rote Lämpchen des Lichtschalters zu finden. Doch ich sehe es nicht. Er sagt, da, bei meiner Wohnungstür, da müsse der Lichtschalter sein, das sei oben bei ihm jedenfalls so. Ich grummle. Ich taste mich in der Finsternis voran, sehe aber immer noch kein rotes Lämpchen. Ich stoße meine ausgestreckten Finger an der Tür der Nachbarin. Dann geht das Licht an. Der Nachbar hat den Schalter bei der Treppe gefunden.
Er fragt mich ob och sein Poster sehen wolle. Ja klar, sage ich. Und das freut mich wirklich. Auch noch zu später Stunde. Ich sehe mir immer gerne fremde Wohnungen an. Die Rückzugsorte, Nester, wo die Leute die immer anwesende Anpassung abwerfen.
Wir gehen hoch ins vierte OG, vor der linken Tür machen wir halt. Er zeigt auf das Poster. Das Poster ist sehr dunkel und es steht viel darauf geschrieben. In rot das Großgedruckte, in weiß das Kleingedruckte. Ich lese was darauf steht und vergesse es sofort wieder. Ich seufze, dass das schon ein Elend sei mit der Ostdeutschen Jugend. Ich sage Sozialneid sei eine komische Sache. Er nickt und schaut dabei bitterernst. Ich referiere über Sozialneid, ich bin aber zu müde um wirklich tiefschürfende Formulierungen zu finden. Oder nein, es sind nicht so sehr die Formulierungen die mir fehlen, sondern die klugen Gedanken. Er nickt aber. Das freut mich.
Sozialneid ist komisch, sagt er.
Dann nicke ich.
Er müsse nun schlafengehen. Man sehe sich bestimmt mal wieder. Ich bin ein wenig verwirrt. Das Poster wollte er mir also zeigen, nicht die Wohnung.
Stimmt, hatte er ja auch gesagt.
Stimmt, sage ich, ich auch.

Ein Kommentar

  1. Jaja, das ist so als Südtiroler. Keiner weiß, wo das eigentlich hingehört.
    Naja,, das bietet oft gute Gelegenheit ein Gespräch anzufangen.

Kommentare sind geschlossen.