Am Sonntag meine ersten Tangoschritte getanzt. Etwa acht Jahre hat es bis zu diesem Tag gebraucht.
Zwischen dem dritten und dem vierten Schritt der ganz gewöhnlichen formacion de base, wie man beim Richtungswechsel nicht nur die Richtung, sondern auch die Achse gleich mit verläßt und plötzlich Hüfte an Hüfte nebeneinander steht. Selten hatte ich das Gefühl, auf solch dezente Weise etwas vollkommen unanständiges getan zu haben.
Ich habe lange Jahre den tanzenden Tangopaaren zugesehen, und mich in unzählige Paare verliebt, während ich am Wein nippend mit einem schweren Brustkorb an der Anmut der mir dargebotenen Liebe vertrocknete, wobei ich bei meinen Gefährten immer schon an der Beschreibung der Ästhetik scheiterte, die ich versuchte zu erklären, womöglich nur mir selbst.
Und dann diese erstaunliche Sinnlichkeit beim Führen. Die Lehrerin sagte ich solle führen. Ich hatte das noch nie gemacht, sie wusste natürlich nicht, dass ich direkt vom Pogo zum Tango geraten bin. Mit meinen Händen in der Mitte des Rückens der Frau, muss ich sie festhalten, weit oben, noch oberhalb des Herzens, weil die Frau ab dem Herz bis hinunter zu den Zehen atmen muss. Wie man den nicht atmenden Teil der Frau festhält, sanft drückt und dreht, wortlos mit den eigenen Bewegungen die Richtung andeutet, indem man sie umschließt, sie einbettet, und dann merkt, dass es viel besser klappt, wenn man mit den Oberkörpern, also mit den nicht atmenden Teilen, einfach verschmilzt.
Wie eins und wie nahe man sich sein muss um zu wissen wohin es geht.
Ich habe das Führen bisher lediglich erahnt. Noch beherrsche ich ausschließlich den Baumstamm-Part. Nicht umfallen.
Ich falle nicht um. Der Rest kommt vielleicht.
(Und erstaunlich sind die Geschlechterrollen, wie sie manchmal funktionieren)
Wunderbar. (Nicht zuletzt auch, so mühelos in diese Rolle schlüpfen zu dürfen, die man sich in dieser Klarheit sonst kaum zugesteht.)
Gratuliere! (Und irgendwan verrate ich Ihnen, dass es schon eine sehr dominante Dame braucht, um einem Herrn beim Tanzen das Führen auzuzwingen.)
ich bin so herrlich neidisch! ich will ebenfalls seit mindestens acht langen jahren den tango erlernen.
ich würde mir auch mühe geben, die führung abzugeben, ehrlich!
tango.toll!
Das Führen ist sichtlich ein heisses Eisen 😉
Aber Kaltmamsell, Sie tanzen ohne Führung? Ohne Führung muss man ja gleich Kollektive gründen und debattieren. Auch anstrengend so beim Tanzen…
Ohne Führung tanze ich eben gar nicht. Wenn ein Herr, der mich im Tanzarm hat, meint, das könne er mal eben outsourcen, andere Dinge könne ich ja auch so gut, hat er sich geschnitten. Dann passiert nämlich gar nichts und er hat lediglich eine dekorative und durchaus freundlich lächelnde Dame im Arm, die bereit ist, sich auf das kleinste Zeichen in welcher Weise auch immer zu bewegen – aber eben nur auf Zeichen. Auch das ist dominant.
Oh, sehr bezaubernder Erlebnisbericht, Herr Wito. Sie kann ich mir aber langfristig auch gut im Viertel San Telmo, Buenos Aires mit zurückgegelten Haaren, einer Tango-Gazelle und einem kleinen Grammophon vorm Straßencafe vorstellen. Die Herzen und das Kleingeld in Scharen.
Grandios beschrieben, beneidenswert, würde ich auch gerne tanzen und schreiben können.
sehr sinnlich
Ja sehr sinnlich das Tanzen. Wusste ich nicht. Bisher habe ich mir beim Tanzen lediglich blaue Flecken gefangen. Mit Sinnen hat das zwar auch zu tun. Aber – nein, kein aber.
kaltmamsell: achso! das habe ich falsch verstanden. Sie bestehen darauf geführt zu werden. Auch das ist natürlich Dominanz.
Burnster, die Haare zurückgelen steht mir nur bedingt. Aber Gazelle. Gazelle klingt super.
Der Anfänger oder Laie denkt ja gemeinhin, Tango müsse so getanzt werden, dass der Mann dabei feuchte Oberschenkel bekommt. Das ist natürlich völliger Blödsinn. Die Erotik dieses Tanzes ist, wie Sie sehr schön beschrieben haben, viel subtiler.
Es ist wirklich ein Phänomen. Mit dem Discofox-Wienerwalzer-Chachacha-Geschiebe konnte man mich immer jagen. Auf das Experiment Tango habe ich mich eingelassen und es wahrlich nicht bereut, auch wenn ich erst mal nicht über den Anfängerkurs hinausgekommen bin. Wenn man die Kleine abends mal alleine lassen kann, sind wir wieder dabei, meine Gazelle und ich.
Hat schon ‚was. Viel Spaß noch!
Uh. Ein bisschen schnell das.