leibesmüh'

Gründe, diese Fragmente und Anekdötchen und ab und zu eine kurze Geschichte ins Netz zu stellen gibt es viele. Viele kleine Gründe, neben all den Großen. Derzeit halten mich kleine Gründe davon ab, die großen Texte – also die Großen in Termen der Länge und nicht der Größe – hier reinzuparken. Es paßt nicht, und die kürzeren Sachen sind zu lang, dass sie es vermutlich nicht schaffen die kurze Aufmerksamkeitsspanne der Bildschirmleser festzuhalten, letztendlich will ich halt auch nur, dass das Zeug auch gelesen wird, so richtig gelesen eben, innehalten und mitschwitzen, ich will ja nicht fiesen Nieselregen schreiben.
Dann kommen die Leute die sagen es sei vergeudete Müh‘ die Texte ins Netz zu kippen, ja auch das Kurze, man solle es verschließen bis es verlegbar werde, nur dann sei es wirklich ernsthaft und wirklich wirklich. Hamse natürlich recht auf der einen Seite, aber das ist so unwichtig, aber sowas von.

Und dann kommt jemand völlig Fremdes aus dem Netz, gibt in der Suchmaschine seiner Wahl Judith Hermann 2007 ein, landet bei dieser Anekdote und unternimmt dann etwas, bei dem ich mir dann denke, ja genau, ja genau dafür tuh ich es (neben dem Nobelpreis natürlich).

arno schmidt ist unterwegs.
für die jh geschichte.
gruss aus berlin

(Blöd nur, dass Amazon lediglich meine alte Adresse hat)

dem Genitiv sein Tod

„Und warum ist der Dativ ’sein Tod‘?“
  „Weil ungebildete Leute wie wir, der Einfachlichkeit wegen, den Dativ benutzen“
„Wie geht Genitiv? Mach mal ein Beispiel bitte.“
  „Die Mutter des Vaters“
„Und Dativ?“
  „Oma“

[klatschen, Abgang, Vorhang zu, Currywurst]

dann die Lichter

Ich könnte jetzt Hunderte Fotos hochladen. Vom letzten Wochenende. Als ich für zwei Tage in meine Heimat fuhr. Auf den Tschögglberg, um die Gläser zu heben, auf meine Schwester, die diese nimmerendenwollende Studienjahre in Wien mit Bestnote abgeschlossen hat. Ich könnte Fotos hochladen von diesem einzigartigen Ort, dem Wirtshaus am Tschaufen, auf diesem lichten Hügel oberhalb der Klippen, die steil und tief ins breite Etschtal abstürzen. Wie Julietta und ich draußen auf der Wiese saßen, die Spitze des Penegal suchten, ich ihr die Burgen zeigte und benannte, die man zu unseren Füßen im ausgestreckten Tal den Jahrhunderten trotzen sah. Man kann das ganze Überetsch überblicken, die Dörfer wie Flecken auf einem Teppich, und von Bozen nur den allgegenwärtigen sommerlichen Dunst, der sich ins Etschtal hineinstreckt.
Später der lange, gedeckte Tisch auf der Wiese. Wie wir alle da saßen: Familie, Schwiegerfamilie, Großeltern, Enkel, die Nachbarn. Das Essen in 5 Gängen vom jungen Pater, der stundenlang in der Küche kleine Kunstwerke fabrizierte. Wie es mich faszinierte, in dieses liebevoll zubereitete Fleisch zu beißen, mich den fleischigen Freuden dieses zutiefst geistigen Menschen hinzugeben. Dann der Guate Rotwein, der uns in der Nachmittagssonne ganz sanft auf die Augenlider drückte. All die rotbackigen Kinder, die dort gerade aufwachsen, von denen man später mal sagen wird, die seien nie krank, die haben ja ihre ganze Kindheit im Schlamm gewühlt. Wie unbeholfen die kleinen Mädchen in ihren Kleidchen wirken, in die man sie gesteckt hat. Rosa Kleidchen und auf dem Hintern natürlich der obligatorische Schmutzfleck. Die Knie verbeult.
Und wie nachher die Freunde aus den Tälern und aus den Städten kamen. Atemlos, weil man auf den Tschaufen nicht mit dem Auto hinauffahren kann. Die Freude des Wiedersehens bei Grillwurst, Grillauberginen und Kartoffelsalat. Wir spielten Karten, ich lernte das Wattn. Und verlor natürlich. Als ich kurz davor war, zu gewinnen, wurde ich vom rauchenden Brotofen abgelenkt. Brotofen, dachte ich und staunte, als mir bewusst wurde, dass da ein eigenes, kleines Gebäude neben unseren Tischen stand, in dem Brot gebacken wurde.
Wie die Nacht hereinbrach, ohne dass ich es wirklich merkte, weil der Rotwein schon lange Schatten über mich geworfen hatte, wie wir wieder zu zweit auf der Wiese saßen, nur diesmal die Sterne über uns, und im Etschtal die Lichter der Überetscher Dörfer schillerten und die Lampen der Straßen, die diese wie eine Lichterkette verbanden, als würden sie wachen. Im Hintergrund der Penegal, die Mendel, weiter links das Weiß- und das Schwarzhorn, dunkel hervorgehoben im vom Mond erleuchteten Alpenhimmel. Während oben am Haus die Leute feierten. Später sangen meine Schwestern und Schwiegerschwestern die Beatles. Und Schlaflieder. Ich war gerührt und dachte für einige Momente, es seien Engel, so klar waren ihre Stimmen und so selig sangen sie. Ich habe sie alle fotografiert. Und den Engelchor habe ich sogar gefilmt.

Nachts schliefen wir alle im Heustadel. Einige legten ihren Schlafsack auf die Wiese. Beim Einschlafen knisterte es. Als ich morgens das Stadeltor öffnete, schien mir die Sonne ins verschlafene Gesicht und unter mir waren im breiten Etschtal die Lichterketten dem neuen Tag gewichen.

Ich könnte auch Fotos hochladen vom Abschied am Bozner Bahnhof, wie ungerne wir uns alle trennten, sogar in Gruppen vor der Kamera posierten, wie man sagte, man sähe sich bestimmt bald wieder, und wie man dann doch immer weiß, dass es wieder viel zu lange dauern wird.

Aber ihr ahnt es. Es hängt über diesem Text wie diese altmodische Stichwaffe jenes unsympathischen Griechen: Ich habe im Zug die Fotokamera verloren.

hallo Berlin (Völkerball)

Es ist der letzte übriggebliebene Ballsport der Lichter und Lenker, der Trichter und Tränker. Zudem ein Zeichen der Vernunft.

Andre und ich laden ein zum Völkerball.

Wir spielen nach den Regeln des Schwarmes und weil wir schließlich für den Frieden und der Verständigung eintreten wollen, untersagen wir es, auf den Kopf zu treffen. Das gibt Strafpunkte.

Diesen Sonntag, den 5.8. um 16 Uhr. Auf einer der Wiesen vor oder hinter dem Planetarium an der Prenzlauer Allee (S-Bahn Przl. Allee). Wir sind die mit dem komischfarbenen Ball.

Edit: Mitzubringen ist nur ein alter Pullover oder ein altes Tshirt, damit man das Feld abgrenzen kann.

Und dann die Wiederholungen. Manchmal ist diese Spielwiese hier eine Pest. Die gefundenen Formen, Spielereien wirken nur im Notizbuch noch echt.
Ich geh erstmal für zweidrei Tage in die Berge.

blitzeblank

Ich bin mir ziemlich sicher. In zwei, fünf, zehn Jahren werde ich meine euphorische Begeisterung für Mikrofasern aufgeben müssen. In zwei, fünf, zehn Jahren wird man plötzlich entdecken wie Mikrofasern den Asbesthärchen gleich den Körper durchdringen, durch Haut und Fleisch hindurch in die Blutbahnen gelangen und langsam über die Jahre hinweg tausende kleine Mirkowunden schlitzen. Ins Herz, in die Venen. Weil Mikro mal tausend ja Makro ist. Und ehe man es weiß, klafft eine Milliwunde mitten in der Brust. Und Blutet. Auch im Hirn, die Blutungen die nicht weh tun, weil man sie erst bemerkt nachdem die linke Körperhälfte hängt. Die Blutungen bei denen man die Tür nicht mehr trifft wenn man zum Arzt gehen will um ihm zu sagen, dass man sich ein wenig komisch fühlt. Sie werden uns Aufklärungsfilmchen zeigen, wie bei Doktor House. Böse Mikrofaser schleicht durch Haut ins Blut und dann geht die Achterbahnfahrt los. Tausende Runden mal tausende Wunden.

(Soll noch jemand sagen ich hätte keine guten Haushalttipps mehr auf Lager)

immer diese Momente der Eitelkeit

Es ist die Perspektive. Judith Hermann tippt auf ihrem Handy und schiebt ihr Fahrrad neben sich her. Sie blickt nicht auf, sie kennt den Weg. Sie blickt nicht auf, sie ist Judith Hermann. Ich sitze vor dem Dönerimbiss am S-Bahnhof und die Knoblauchsauce rinnt mir über die linke Hand, während ich gierig in den Dürüm beiße und zu einem Tannenzapfen erstarre. Weil ich plötzlich Judith Hermann sehe.

Meine Backen sind voll, aber ich höre auf zu kauen. Als bräuchte ich alle fünf Sinne, um diesen Moment festzuhalten. Sehen kann ich, fühlen jedoch wenig, und sowohl Geruchs- wie auch Geschmackssinn sind von der Knoblauchsauce betäubt. So sollte ich den Moment wenigstens hören können, ihre Schritte vielleicht, oder das Surren ihres Fahrrads, anstatt meiner mahlenden Kiefer.

Mit vollen Backen starre ich sie an, wie sie sich mir nähert und auf ihrem Handy tippt. Sie braucht nicht aufzublicken, sie ist Judith Hermann.
Und doch tut sie es.
Sie blickt im Gehen von ihrem Handy auf und schaut mir direkt in die Augen. Ohne Vorwarnung und ohne Umweg. Direkt vom Handy in meine Augen.
Nun hatte ich als Kind schon Schwierigkeiten mit dem Fokus. Als ich beispielsweise durch die Schultafel hindurch starrte, anstatt auf die Schultafel drauf. Tagträumer nannte man mich. Doch ich hatte lediglich Schwierigkeiten mit dem Fokus.
Und so auch jetzt. Mit dem Unterschied, dass ich nicht durch Judith Hermann hindurch starre, sondern auf sie drauf.

Auch sie starrt. Und während sie mich anstarrt, bin ich dermaßen im Schreck, dass ich viel Zeit zum Nachdenken habe. Doch alles, woran ich denken kann, ist der Fleck Knoblauchsauce, den ich jetzt in meinem Mundwinkel spüre. Das heißt, ich habe den Fleck natürlich vorher schon gespürt, aber da wusste ich noch nichts von Berühmtheiten, die an meinem Speisetisch vorbeispazieren werden. Und eitel bin ich nur, wenn es die Umstände erfordern. Dafür ist der Knoblauchfleck in den Momenten der Eitelkeit immer so groß wie ein Ufo.

Doch ich habe Glück. Nach einigen Augenblicken schwenkt sie ihre Aufmerksamkeit von meinen Augen zurück auf ihr Handy. Ohne Vorwarnung und ohne Umweg. Und schiebt ihr Fahrrad weiter.
Judith Hermann war das, denke ich, so mit vollen Backen und ufogroßem Knoblauchsaucenfleck im Mundwinkel. Sie hat ein wenig schmale Hüften. Aber dafür eine große Nase. Und ich staune, wie sie auf ihrem Handy tippen kann, ohne aufzusehen, während sie ihr Fahrrad schiebt. Ich merke, dass dieses Verhalten zu ihren Texten passt. Sehr empathisch, das Tippen und gleichzeitige Fahrradschieben. Man braucht dafür viel Verständnis für die Welt um sich herum. Viel Einfühlungsvermögen. Und sie hat tolle Schuhe.
Ich denke an ihre schönen Geschichten, während sie sich mir nähert, sitze wie ein 13-jähriger Junge mit meinem Dürüm und vollen Backen und träume mit dem falschen Fokus. Als sie plötzlich genau vor mir stehenbleibt und mich wieder anstarrt. Ich hätte aus dem vorigen Moment der Eitelkeit lernen können und mir den Knoblauchfleck wegwischen. Oder wenigstens die vollen Backen entleeren. Stattdessen starre ich, unverändert. Und in dem Moment höre ich die Sauce auf meine Zeitung tropfen.

Ich beschließe, nichts zu tun, weil ich ohnehin schon nichts getan habe, außer mit vollen Backen und Knoblauchsauce zu starren. So bin ich auf der sicheren Seite, wenn ich weiterhin nichts mache. Weil ich nicht viel mehr falsch machen kann, als ohnehin nichts zu tun.

Vermutlich tu ich so wenig, dass auch sie nicht mehr weiß, was tun, und somit weiterschreitet.
Ich mustere den großen Fleck auf meiner Zeitung. Vielleicht hat sie gesehen, dass ich die Bildzeitung vollkleckere. Den Feind beschmutzen sozusagen.

ping.

Der niedliche Telekomtechniker dem ich aus Dankbarkeit dafür, dass er mich wieder ans Internet angestöpselt hat, einen Kuchen hätte backen wollen. Er sah so nach Kuchen aus. Er war klein und hatte eine hohe Stimme, wie der Wolf aus dem Märchen, der Wolf der Kreide geschluckt hat um besser piepsen zu können und ich natürlich die Kreide mit dem Mehl verwechselt und daher gleich Kuchen backen wollen. Das habe ich ihm natürlich nicht gesagt. Nicht so jedenfalls. Deshalb habe ich ihm einen Kaffee angeboten, den er nicht haben wollte. Etwas Frischeres war ihm lieber, Wasser zum Beispiel und ich war ja immer noch froh und habe ihm Wasser eingeschunken, womit mir umständliche Erklärungen erspart blieben warum er besser nicht auf meinen Kuchen warte, weil ich ja nicht so der Kuchenbäcker bin, und vielleicht hätte ich letztendlich sogar den mir so verhassten weil peinlichen Katastrophenkuchen erwähnen müssen, weil wenn ich schon so froh bin, am Netz angestöpselt zu sein, dann rutscht mir auch alles heraus, geplatztes Ventil sozusagen, das hält DSL ja gar nicht mehr aus.

[…]

[Wegen Offline eindeutig zuviel Wolf Haas gelesen]