moby

Es war wieder wie damals, als wäre ich ein kleiner Junge gewesen. Slalom. In weiten Kurven den Berg hinunter. Nur ging es diesmal nicht ganz so schnell vonstatten, schließlich führte der Weg bergaufwärts, und ich auf zwei Rädern, und Berlin schaukelte um mich herum wie ein stürmischer Atlantik voller Mobydicks, im Dreivierteltakt, weil es das war, diese Melodie, dieses Lied das ich komponierte, nachdem ich mich auf das rettende Fahrrad gesetzt hatte und darüber so froh war, weil ich gehen nicht mehr konnte, aber auf das Fahrrad, wie immer, Verlass war, und so war ich dermaßen glücklich darüber, dass die schwankende Stadt direkt in meinen Kopf überschwappte und ich von dem Augenblick an diese Melodie summte und mich darüber freute, welch schöne Melodien ich auf dem Fahrrad immer wieder komponiere, und weil das Lied so ging: Damm, da-daaa, dadadammm, dam-daaa, und dann ein Zwirbel und dann wieder damm, dam-daa, und bald summte ich nicht nur, sondern sang es erst leise, dann lauter, damm, dam-daa, im Slalom, Slalom Super-G, und die Autos hupten im Takt, einzweidrei-
Nur den Prenzlauer Berg hoch, am Anfang der Prenzlauer Allee, dort ist es ein wenig steil, die Luft blieb mir weg. Ich musste improvisieren, dichten zum Beispiel, sodann schlug es, mein dichterisches Herz:

Tropf zweidrei
auf unergründeten Wogen
Kopf entzwei
doch Herz hängt hoch droben im Bogen

Eine halbe Weltumsegelung später erreichte ich meine Haustür, doch die Musik schwankte in mir, und ich war noch nicht einmal bei der zweiten Strophe angelangt, da mir die erste dermaßen gut gefiel, dass ich sie wiederholte und wiederholte, so winkte ich, schönes Haus bist Du, und fuhr daran vorbei, doch tat es mir fast ein wenig leid, es in diesem Zustand zu hinterlassen, darum hing ich dieser Trauer unmittelbar eine zweifelnde Frage an: welchen Zustand?, so dachte ich, steht es doch tageintagaus seit nunmehr hundert Jahren so desolat herum, und ich sah auch gleich ein, dass es bedeutend schlimmere Zeiten hinter sich hatte, Zeiten von Kälte, oder als die Russen sich durch die Straße bombten, doch sieht mein Haus immer ein bisschen traurig aus, womöglich liegt es an der Nase, oder den hängenden Lidern der obersten Fenster, oder diesem immer ein wenig nach Hilfeschrei geöffneten Mund, ich weiß es nicht genau, ich dachte mir Mekmek, Du mußt jetzt Deinen Weg gehen, stark sein nennt man das manchmal, und ich tat es, war stark, fuhr weiter, Slalom Aleikhum nach Weißensee, bis ich dann einen Walzer und eine Ballade später arg verfahren zwischen all den Mobydicks im schwankenden Berlin den Notruf betätigte. Maydaymayday, ze ship is zinking. Man will nicht wissen was es dachte.

Lieber Merlix,

allererstens danke für Deine Mail, sie hat mich sehr gefreut, ist es doch lange her, dass wir voneinander gehört haben. Zudem muß ich wirklich sagen, die letzten drei Monate fühlen sich an, als wäre eine ganze Ewigkeit an mir vorübergezogen. Und da siehst Du mal wie mir die Zeit davonläuft: es waren nicht drei Monate, sondern gleich ganze vier.
Du und die anderen, wie Du sie nennst selection of fine Hamburg Bloggers, standen also an der Alster und fragten sich wie es mir so geht, was ich so tue. Das freut mich natürlich. Damit will ich sagen, es freut mich, dass ihr an mich gedacht hat, nicht, dass ihr mich vermisst, weil vermissen ist schlecht für den Magen, und wenn es nicht gerade notwendig ist, spart man sich das Vermissen besser auf, es kommen noch genug Momente an denen das Vermissen richtig böse wird.
Also will ich Dir ein bisschen erzählen.

Das Einleben in Berlin war bisher ganz OK, einige Berliner kannte ich schließlich schon, meist die Leute aus dem Internet, und mit einigen wenigen verbindet mich sogar eine Art Freundschaft. Mit diesen verabrede ich mich ab und zu, zum Trinken, zum Essen oder gar zum Feiern. Es ist noch alles ein wenig, wie soll ich sagen, lauwarm vielleicht, weil man sich zum Wärmen erstmal ein bisschen reiben muss, und damit meine ich jetzt nicht notwendigerweise Streitereien oder Auseinandersetzungen, sondern das Schunkeln im Bierzelt. Oderso. Aber das ist ja immer so. Das mit dem Wärmen. Ich glaube ich mag das schon, es ist ja wie wenn man morgens in der Kälte das Auto wärmen muss, das hat auch etwas anregendes. Vermutlich ziehe ich deshalb so häufig um. Ich besitze ja kein Auto.

Mit der Wohnung habe ich Glück gehabt. Ein bisschen jedenfalls. Ich wohne etwas abseits. Auf dem Prenzlauer Berg zwar, aber da oben rechts, bei der S-Bahn Prenzlauer Allee, eine schöne und billige Altbauwohnung im Hinterhof, ich kann auf die Gleise schauen und nachts beim Einschlafen höre ich das erotische flirren (?) von Metallrädern auf Metallschienen. Und ich schlafe dabei wie ein Engel. Das klingt jetzt nicht so als sei das wirklich abseits, aber doch, ist es schon, dort wo ich wohne läuft die Grenze zwischen Prenzlauer Berg und Russland. Und ich wohne auf der russischen Seite. Hier an der Grenze kleiden sich die Menschen schlecht, sitzen morgens mit einem Bier vor dem Asiaimbiss und wenn ich abends nachhause komme, sitzen sie immer noch da. Und Du weißt wie sehr mir schlechtgekleidete Menschen ein Gräuel sind. Mit dem Bier kann ich sympathisieren, aber diese Joggingshosen den ganzen Tag, ich weiß nicht, das macht doch das ganze Leben irgendwie Gummi.
Ich glaube wir hätten eine wahre Freude daran zusammen Menschen nachzugucken. Um ehrlich zu sein habe ich schon daran gedacht darauf zu warten bis wir beide ein bisschen älter sind, sagen wir 90, und uns dann auf eine Holzbank hier an die Straße zu setzen und den ganzen lieben langen Tag den Menschen nachschauen und von den alten Zeiten reden. Mit einer Flasche Rotwein meinetwegen und dann können wir ein bisschen staunen, wie jung die jungen Frauen doch geblieben sind.
Julietta wohnt ganz nahe. Ihre Wohnung ist etwa vier Minuten von meiner entfernt. Das erleichtert die Dinge. Wenn ich ihr beispielsweise den Bohrer vorbeibringen muss und dann in ihrer Wohnung merke, dass ich den Bohrer vergessen habe, ist der Weg zurück zu mir nur ein kurzer Weg. Wenn ich dann noch genau weiß wo in meiner Wohnung der Bohrer liegt, dann brauche ich genau 8 Minuten dafür. Hin und zurück.

Und wie sehr mich die Arbeit wieder freut. Du kannst Dich vielleicht daran erinnern in welchem Zwiespalt ich mich befand, wie es beruflich mit mir nun weitergehen solle, aber diese Bedenken sind vorbei, in meiner neuen Firma zu arbeiten macht wirklich Spaß. Wir haben dort einen Kicker stehen und ich habe anfangs immer gewonnen. Doch Du ahnst es, nicht umsonst benutze ich das wort anfangs. Aus unerklärlichen Gründen gelingen mir die Tore nicht mehr. Und mein Chef freut sich einen Ast ab. Jetzt gewinnt immer er. Schon acht spiele unbesiegt. Ich glaube das ist gut für das Arbeitsklima.
Mein Zwiespalt beruhte also nicht auf der Materie meiner Arbeit, sondern es lag vermutlich an meiner ehemaligen Fabrik. Kein Kicker dort. Ah ich hätte die eine oder andere Geschichte zu erzählen, aber das mache ich womöglich in meinem Blog, dann kommt da auch mal wieder etwas rein, ich vernachlässige es gerade ein wenig, wie Du sicherlich schon bemerkt hast.
Nicht, dass es nichts zu erzählen gäbe, es ist vielmehr, dass ich gerade all das nicht erzählen will, oder kann. Am liebsten sage ich immer ich hätte keine Zeit, das versteht jeder, Umzug undso, schwere Sache das, aber das sage ich nur weil es schön klingt, weil ich mir selbst dabei ein bisschen gefalle, ich bin ja so dick geworden, ich muss das kompensieren. Schon toll, bei Nachfrage immer erschöpft ausatmen und sich über die Stirn streifend sagen: puh, so wenig Zeit gerade. Und dabei ein bisschen tragisch gucken. In Wirklichkeit sitze ich jeden Abend am Rechner und tippe von zwanzig Uhr bis Mitternacht.
Im November kommt ein Freund aus Wien zu mir, bleibt einen Monat hier wohnen und dann schreiben wir ein Drehbuch. Ein Filmemacher aus Paris will einen südtiroler Heimatfilm drehen und wir sollen die Geschichte und die Dialoge dazu verfassen. Merkwürdig wird das werden, denke ich. Ich weiß nicht wie das gehen soll, nebeneinander am Rechner sitzen und tippen? Ich meine, man muss sich ja auch unterhalten, aber man kann sich doch nicht über etwas unterhalten, eine Geschichte ausspinnen und parallel dazu alles niederschreiben. Das sind ja zwei verschiedene Dimensionen, das Reden und das Schreiben. Drei Dimensionen eigentlich: das Ausspinnen noch dazu. Aber ich freue mich auf jeden Fall, mein Wiener Freund ist ein großartiger Koch, der besitzt sogar eine Küchenmaschine. Aber nicht, dass Du jetzt denkst, wow der Mek, Autoren und Regisseure aus Wien und Paris, fehlt nur noch die Hintertür zum Kulturministerium. Nein, mein Lieber, die beiden Burschen leben zwar in Wien und Paris, aber der eine kommt aus einem Kaff am Ende der Gaulschlucht und der andere ist unterm Haselberg aufgewachsen. Ich weiß, beide Orte sagen Dir nichts, aber das ist halt Südtirol.

Berlin ist übrigens toll. Für mich fühlt es sich so an als würde ich zu einer alten Liebe zurückkehren. Und Wenn Du mich einmal besuchen kommst, dann zeige ich Dir die traurigsten Ecken der Stadt. Ich beende diese Absatz jetzt, weil ich sonst ein bisschen schwärmerisch werde. Deshalb springe ich gleich ungekünstelt zum nächsten Thema und tue so, als sei das ein ganz neuer Absatz:

Dabei fällt mir ein, dass ich mich nach der spektakulären, oder sagen wir: tragischen Geburt Deines Sohnes gar nicht mehr bei Dir gemeldet habe. Was ein Glück. Die Geburt meine ich damit. Dass letztendlich doch alles gut ausgegangen ist. Ich wurde ein wenig unruhig als nach der Ankündigung der Geburt erstmal lange keine Neuigkeiten kamen. In jenen Tagen hatte ich Isa hier in Berlin getroffen, und Isa klang sehr besorgt, aber Du weißt ja wie Isa ist, die sorgt sich immer um alles. Deshalb habe ich es erstmal nicht als tragisch angesehen, ich muss ja meine Nerven schonen, da laß ich mich nicht von so einer Übersetzerin die Nerven aufrauhen. Auch wenn es die liebste Übersetzerin der Welt ist. Als dann jedoch die Neuigkeiten immer noch ausblieben, wurde ich schon unruhig, aber dann wollte ich Dich auch nicht mit meinen Sorgen nerven, weil ich bei Nachfragemails immer das Gefühl habe ich würde eine Antwort einfordern, wobei ich glaube, dass man (Du eben) in solchen Momenten am allerwenigsten daran denkt sich an den Rechner zu setzen und lauter Antworten zu tippen. Und Telefon! In solchen Momenten ist das Telefonieren noch schlimmer als jede liebste Übersetzerin der Welt. Das wollte ich erst recht nicht.

Letztens hatte ich übrigens Heimweh nach Hamburg. Julietta hatte eine CD von Studio Braun aufgelegt. Du kennst die vielleicht, das sind die Jungs aus dem Radio die immer so Anrufe tun. Ich höre mir das gerne an, weil ich mir dann immer denke, dass die Welt eigentlich schon OK ist. Aber einer dieser Anrufe hat mich mit Heimweh versorgt. Das war der Anruf bei dem sie bekiffte (jetzt hatte ich befikkte geschrieben) Hamburger Jungs nachgespielt haben und es war dieser eine Satz, als sie am Telefon erklärten was sie gerade machten, der so Hamburg war. Als sie sagten, sie säßen gerade an der Elbe, büschn Schiffe kukken. Das war schön. Das war Heimweh.

Aber jetzt habe ich schon viel geschrieben, habe mich ein bisschen verheddert, in vielen belanglose Kleinigkeiten. Dabei will ich ja wissen wie es Dir so geht, wie es Hamburg so geht. Vieles erfahre ich ja aus dem Blog, praktisch ist das.
Ich weiß noch nicht genau wann ich nach Hamburg komme, bestimmt noch dieses Jahr, ich werde mich melden, wir könnten einen Flammkuchen essen und Bier aus Flensburg trinken und uns zu den neuesten Büchern austauschen.

So, mein Lieber. Ich schließe jetzt ab. Grüß mir auch Deine Frau, die ich übrigens auch wiedermal sehen möchte, auch um mein Erinnerungsbild von ihr zu korrigieren. Ich habe sie immer noch mit diesem großen, kugelrunden Bauch im Gedächtnis, das dürfte sich jetzt ja verändert haben.
Grüß mir auch den Paulsen, den Großblogbaumeister, den Alexander und wenn Du sie siehst, die Lyssa. Die anderen, die mir jetzt gerade einfallen werde ich vermutlich selbst irgendwann zu Gesicht bekommen.

Sei gegrüßt,
allerherzlichstlich,

Dein Mek

recitativo nr.82

Das Blog ist aus dem Urlaub zurück. Darüber war ich so froh, dass ich mich gleich an den Schreibtisch setzte, seit langem wieder einmal das Mikrophon zur Hand nahm und Kid37’s Tango Mortale vorlas. Dazu spiele ich ein wenig auf der Ziehharmonika als wäre ich ein barfüßiger Junge der in einem Hauseingang der Boca sitzt und das Instrument seines Großvaters erlernt. Um diese Stimmung zu verstärken habe ich es in Unterhosen gespielt.

Drüben im Vorleseblog.

M

ein russischer Freund, der Punk, als wir gestern früh auf Stufen in der Danziger saßen und in die Morgensonne blinzelten und ich ihn fragte, womit er nun seine Brötchen verdiene, erwiderte, er hätte sich jetzt verkauft. Er würde Kritiken aus Finnland ins Russische übersetzen, er habe Urlaub nehmen müssen, um mit seiner Band in Deutschland zu spielen. Ah, sagte ich, Ausverkauf, weil sich für die Arbeiten, die wir erledigen, niemand finden lässt, der es umsonst tut. Sonst wäre sie ja schön, die Arbeit. Und so gäbe es jemanden, der es erledigt haben wolle, und jemanden, der dafür entlohne. Korrekt, sagte er, er wolle ja auch, dass das alles da draußen funktioniere. Die Geldautomaten, jemand, der das Bier zapfe, gar jemand, der es braue, und nicht zu vergessen: die U-Bahnen! Fuck the System, erinnerte ich ihn. Fuck the system, erinnerte er mich. Aber, eröffnete ich ihm, ich hätte ohnehin immer die Welt im Kopf gehabt, und legte nach: dass es Aufgaben zu erfüllen gebe. Das ganze Ding am Drehen zu halten. Er schaute mich an und sagte, ich hätte zu viel Nietzsche gelesen. Wie er darauf käme, fragte ich, ich mochte nur Zarathustra, und davon lediglich Richard Strauß‘ Ouvertüre. Das wäre ihm zu pompös, ihm läge mehr an Bach: kleine Ameisen, eifrig am Bauen, unbemerkt, das ganze Ding am Drehen halten. Mit System. Er vergäße die großen Gesten, warf ich ihm vor. Mit Pomp die Schlucker zu Königen. Und wer dann wohl die U-Bahnen baue, fragte […]

Wäre jemand so nett mir ein/e/n Ostdeutsche/n/s Autor/in/Buch zu empfehlen?
Ich suche erzählende Prosa über den Alltag in der DDR, vorzugsweise Berlin. Alltag, also Einkaufen, Arbeiten, gerne auch Liebe, Aufstand etc.
Der beste Tip kriegt aufrichtigen Dank.

bis die Motten kommen

Jette öffnet ihren Schrank und will das selbe u.a. von mir. Natürlich folge ich dem Ruf, schließlich habe ich seit zwei Wochen einen Kleiderschrank, was ich schon lange erwähnen wollte, aber nicht wußte wie. Und weil das so schön ist, erwähne ich dies in der ersten Frage gleich nochmal.

Hast Du einen normalen Kasten oder z.B. einen begehbaren Kleiderschrank? Wie groß ist er?
Ich besitze seit etwa zwei Wochen einen Kleiderschrank.

Wieviele und welche T-Shirts sind darin?
Ich finde darin fünf Tshirts. Schwarz. Drei davon trage ich.

Und wie sieht’s mit den Tops aus?
Das habe ich mir abgewöhnt.

Wieviele und welche Kleider?
Stehen mir irgendwie nicht. Vor allem nicht die Kurzen.

Auch Röcke?
Kilt sieht nur mit den richtigen Socken gut aus.

Wieviele und welche Pullover besitzt Du?
In meinem Kleiderschrank liegt ein Pullover. Er ist dunkelgrau. Getragen habe ich ihn zum letzten mal vor — das liegt bestimmt zehn Jahre zurück.
Aber früher, ja früher, trug ich immer einen gelbschwarzen Bienemaja-Pullover. Immer. Auch wenn er nicht mehr so gut roch. Und dazu trug ich immer eine grüne Hose die ich zu kurz abgeschnitten hatte (Immer. Auch wenn sie nicht mehr so gut roch). An den Füßen baumelten schwere, Schweizer Armeeschuhe aus den waswassich-zigern. Mein Haar war damals Sparkassenrot, und dermaßen verfilzt, dass es aufrecht stand.
Als ich eines abends durch die Bozner Erbsengasse spazierte, kamen mir eine Mutter und ihre kleine Tochter entgegen. Und die Erbsengasse war immer schon ein wenig düster. Die Mutter wechselte unmittelbar die Gassenseite als sie mich sah. Die kleine Tochter, eine etwa siebenjährige Rotznase, die von diesem etwas unglücklichen Manöver ihrer Mutter (die Erbsengasse ist auch sehr schmall) nichts mitbekommen hatte, zeigte auf mich und schrie: „Schau Mama, der Pumuckl!“.
Am nächsten Tag trug ich schwarz. Seitdem nur noch.

Und Westen?
Sieben. Davon sechs Schwarze und eine Graue. Ich trage sie allerdings nicht mehr seit ich so dick geworden bin, da ich darin aussehe wie ein Onkel der sich auf Hochzeiten besäuft und sabbernd junge Mädchen anlächelt.
Dabei will ich doch nur nett sein.

Wieviele und welche Jacken?
Etwa zehn identische, schwarze Samtjackets, zwei schwarze Cordjackets, drei verdammt gut sitzende Anzugsjackets und eine Jacke für drüber wenns mal kalt ist. Ohja und eine Lederjacke die ich dringend mal zum Schuster bringen muss.

Und Mäntel?
Ich sehe darin aus als trüge ich nichts darunter.

Wieviele und welche Jeans hast Du?
Ein Paar. Trage ich allerdings nur bei Umzügen.

Auch andere Hosen?
Ja. Die restlichen zehn, zwanzig, sind Nadelstreifen. Mit Bügelfalte.

Wie sieht’s mit Accessoires aus (Gürtel, Schals, etc)?
Hosenträger.
Und ein stählerner Bergbursche wie ich trägt natürlich keine Schals.

Was ist sonst noch in Deinem Kasten bzw. begehbaren Kleiderschrank?
Unterhosen!. Eine sogar in rot.

Welche sind Deine Lieblings-Klamotten?
Viel Auswahl habe ich ja nicht. Alles gleich, da.

Was machst Du, wenn Dir etwas zu gross / zu klein geworden ist?
So lange anziehen bis mir die Luft wegbleibt.

Knöpfe annähen etc. – Machst Du das selbst?
Klar doch. Kurz bevor ich ersticke, platzen glücklicherweise meine Hosen. Weil das immer öfter passiert bin ich sozusagen ein Knopfannähweltmeister geworden.

Wieviele und welche Schuhe hast Du in Deinem Schuhschrank?
5 Paar schwarze Lederschuhe. Ein Paar schwarze Lederschuhe aus 1939. Ein Paar Bergschuhe (um den Prenzlauer Berg hochzuklettern). Ahja und ein Paar Sportschuhe zum Völkerballspielen.

Und ich werfe weiter. Erst will ich von Maestro37 wissen welche Art Socken er in seinem Kleiderschrank versteckt, dann soll mir Burnster mal seine Tops zeigen.

Und immer wieder dieses wunderbare Gefühl. Leider geht es wegen meteorologischen Einschränkungen nur einmal im Jahr. Aber es ist immer wieder ein unbeschreiblich schönes Gefühl: rausgehen zu den Mitrauchern, bedeutungsschwanger in den Himmel schauen, den Mund ein wenig verziehen und sagen: Das wars jetzt mit dem Sommer.

Gestern, mangels anderer Momente des Glücks, gleich dreimal gemacht.

mit halben Sinnen

I

ch laufe wackeligen Schrittes durch den finsteren Hinterhof. Es gab Flensburger Pils und Flens macht merkwürdige Dinge mit meinen Beinen. Ich merke, dass sich noch jemand im Hof befindet. Es ist das Geräusch einer Fahrradkette, wodurch ich darauf aufmerksam werde, und einen Augenblick lang meine ich, die Umrisse eines Mannes erkannt zu haben. Ich stöhne gespielt und grummle etwas von Finsternis und Scheiße, während ich umständlich mein Feuerzeug aus der Hosentasche puhle, um mir den Weg zu leuchten. Ich ignoriere den Mann absichtlich, er soll sich unbemerkt wähnen, das verschafft mir den Vorteil, auf einen Überfall gefasst zu sein, während er sich sicher glaubt und mögliche Fehler begeht. Später werde ich mir an den Kopf fassen und denken: „Mensch, der Rambo in Dir.“
Doch wider Erwarten spricht er mich an. Er klingt friedlich, auch wenn ich das Gesagte nicht verstehe. Er sagt etwas von Finsternis und Scheiße, das macht vertraut. Langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit und ich kann den Umriss seines Kopfes sehen. Er hat sehr kurze Haare, sein Kopf ist rund. Er sagt, ich solle auf seiner Seite gehen, da stecken die Pflastersteine nicht so hervor, im Dunkeln könne man hier ganz schön stolpern. Ich folge ihm zur Tür. Er sperrt sie auf und schaltet das Licht an. Die Lampe im Hauseingang knallt und geht aus. Doch habe ich ihn in diesem kurzen Augenblick sehen können und er mich auch. Er trägt eine schwarze Bomberjacke und hat ein unglückliches Gesicht. Ich frage mich, ob man Unglück wirklich erkennen kann. Ist ja immer so eine komische Sache, die Sache mit dem Glück. Man soll es nicht mit Müdigkeit verwechseln, es ist ja mitten in der Nacht, und die paar Worte, die er gesprochen hat, zeugen davon, dass er womöglich ein wenig getrunken hat, was ich daraus schließe, dass ich ihn schlecht verstanden habe. Ich mag diesen Schluss, ich mag es, wenn ich mir zu später Stunde die Welt einfach erkläre.
Er sagt: „Scheiße.“ Das kaputte Licht. Doch dringt ein wenig Licht von den Lampen aus dem restlichen Treppenhaus nach unten zu uns. Ich sage auch: „Scheiße.“
Er sagt, es werde alles immer schlimmer hier, die Miete würden sie wohl auch bald erhöhen. Wir steigen nebeneinander die Treppen hoch und ich frage ihn ein wenig verwundert, ob dem wirklich so wäre. Ich hätte den Eindruck, die Hausverwaltung erledige meine Anliegen eigentlich immer recht zügig.
Aber ich sei ja auch neu, schiebe ich hinterher. Vielleicht habe sich die Hausverwaltung ja gute Vorsätze gemacht: neue Mieter, neues Leben sozusagen.
Er bleibt kurz stehen und ich meine, zu erkennen, dass er sich zu mir umdreht und Augenkontakt sucht. Auch ich bleibe stehen. Ich gebe zu, dass ich das selbst nicht glaube. Er lacht.
Er fragt mich, ob ich der Neue sei, der aus dem dritten Stock. Ich nicke. Doch als ich merke, dass es vermutlich zu dunkel ist, um mein Nicken zu erkennen, sage ich: „Ja.“
Martha, so sagt er, habe schon von mir erzählt. Ich sei ja ganz OK.
Ja, wenn Martha das sagt, erwidere ich, dann müsse es wohl so sein. Martha sei ja auch ganz OK. Er nickt. Oh, er nickt, denke ich, dann ist es gar nicht so dunkel, wie ich dachte. Ich hebe meinen Arm und sage, dass auch die Lampe im ersten Stock kaputt sei.
Issjanding, sagt er, wie die alten Leute. Stirbt einer, schluckt der andere gleich ne Schachtel Pillen.
Ja, sage ich, es sei schon schön.
Ich gehe weiter. Er folgt mir.
Ich bin wackelig auf den Beinen. Und meine Beine sind wie Blei. Auch er. Wackelig jedenfalls. Er hält sich am Treppengeländer fest. Wäre Licht, dann wären wir ein altes Ehepaar, das sich die Treppen hochkämpft.
Wer er denn sei, frage ich ihn. „Sven aus dem vierten … Oh, geh“, bekomme ich zurück. Je höher wir kommen, desto heller wird es. Aus dem zweiten Stock erreicht uns das Licht.
Er sei ja der einzige hier, der ein ANTIFA-Poster an der Türe hängen habe. Er sagt das, als gehöre das zum Wohnen in diesem Haus dazu. Soso, sage ich. Antifa also. Es laufe ja auch viel von dem rechten Grölgesindel rum hier.
Jaja, erwidert er, hier um die Ecke fängt gleich Braundeutschland an, ganz übel. Bei der Kneipe an der Ecke fange es an.
Das sei schade, sage ich, ich habe nämlich vorgehabt, dort zu fragen, ob sie auch Paulispiele zeigen würden. Die haben ja Premiere und Pauli ist jetzt schließlich wieder zweite Liga, also richtiges Fernsehfußball.
Paulispiele! ruft er und lacht. Sollte ich in jener Kneipe je St.Pauli erwähnen, dann dampfe da braune Kacke.
Komischer Ausdruck, das mit der Farbe, sage ich.
Jaja, sagt er, schon wahr.
Wir erreichen den zweiten Stock und es ist hell. Hell hier, sage ich. Ja, antwortet er, so soll es auch sein. Hausverwaltung Scheiße, sage ich. Er nickt. Er fragt mich, wo ich denn herkäme. Ich sage Südtirol“ und er sagt „Aha“. Und dann sagt er, Österreich sei gar nicht so übel. Ich sage: Nee, Südtirol ist nicht Österreich. Und er sagt, dochdoch, er sei schonmal in Tirol zum Schifahren gewesen und das war eindeutig Ösiland gewesen.
Tirol, sage ich und will irgendwo ansetzen, doch ich finde den Ansatz nicht und seufze. Dann füge ich hinzu, dass das schon OK sei, ein Antifaschist müsse solche Dinge nicht wissen. Ich wisse viele Dinge auch noch nicht lange.
Welche Dinge, will er wissen.
Nunja, erwidere ich, wie das mit Preußen so war.
Komische Sache, das mit Preußen, sagt er. Ich nicke. Doch weil er mich nicht ansieht, gebe ich ein zustimmendes mhm von mir, das aber eher wie ein müdes mmm klingt, und hoffe dabei, er möge das versteckte h gehört haben. Zustimmung täte ihm durchaus gut, denke ich mir so.
Wir haben inzwischen den dritten Stock erreicht und ich frage ihn, woher er käme. „Leipzig“, sagt er. Ich antworte, dass ich Leipzig mag, dass es dann aber kein Wunder sei. Ich bin stehengeblieben, da ich im dritten Stock wohne. Er hat schon zum Weitergehen angesetzt, doch als ich stehenbleibe, scheint ihm einzufallen, dass mein Weg hier zu Ende sei. Auch er hält inne.
Wunder? fragt er mich.
Ja, Wunder. Die Sache mit Österreich und Preußen.
Ahso, antwortet er und scheint nachzudenken. Dann macht er eine Geste mit dem Kopf, mit dem Kinn eher, und weist auf die drei Wohnungstüren hinter mir. In welcher ich wohnen würde. Mitte, sage ich.
Ahso, sagte er. Er wohne links. Er sei leise. Aber das Pärchen über mir sei auch OK. Sie würden nur manchmal laut ficken, aber das ginge schon. Lautes Kochen, also Pfannenscheppern, sei schlimmer.
Lautes Pfannenscheppern? frage ich. So mitten in der Nacht?
Weiß ich nicht, antwortet er.
Das Licht im Treppenhaus geht aus. Es ist wieder finster. Ich schaue hinter mich, um das kleine rote Lämpchen des Lichtschalters zu finden. Doch ich sehe es nicht. Er sagt, da, bei meiner Wohnungstür, da müsse der Lichtschalter sein, das sei oben bei ihm jedenfalls so. Ich grummle. Ich taste mich in der Finsternis voran, sehe aber immer noch kein rotes Lämpchen. Ich stoße meine ausgestreckten Finger an die Tür der Nachbarin. Dann geht das Licht an. Der Nachbar hat den Schalter bei der Treppe gefunden.
Er fragt mich, ob ich sein Poster sehen wolle. Ja klar, sage ich. Und das freut mich wirklich. Auch noch zu später Stunde. Ich sehe mir immer gerne fremde Wohnungen an. Die Rückzugsorte, Nester, wo die Leute die immer anwesende Anpassung abwerfen.
Wir gehen hoch ins vierte OG, vor der linken Tür machen wir halt. Er zeigt auf das Poster. Das Poster ist sehr dunkel und es steht viel darauf geschrieben. In Rot das Großgedruckte, in Weiß das Kleingedruckte. Ich lese, was daraufsteht, und vergesse es sofort wieder. Ich seufze, dass das schon ein Elend sei mit der ostdeutschen Jugend. Er nickt und schaut dabei bitterernst.
Er müsse nun schlafen gehen. Man sehe sich bestimmt mal wieder. Ich bin ein wenig verwirrt. Das Poster wollte er mir also zeigen, nicht die Wohnung.
Stimmt, hatte er ja auch gesagt.
Stimmt, sage ich, ich auch.

W

enn ich Diktator von Berlin wäre, dann würde ich den großen Bunkerberg im Volkspark Friedrichshain kahlschlagen. Alle Bäume weg und meinetwegen in die Gärten der Bäumeschützer verpflanzen und dann am Südwesthang des Berges mehrere breite, ineinander verschlungene Steintreppen bauen lassen, mit einzeln, von Künstlern entworfenen Laternen an vielen Ecken. Die Treppen wären immer wieder von kleinen Terrassen unterbrochen, wo Liebespärchen knutschen und dicke Italiener Eis verkaufen. Abends säßen auf den Treppen Leute beim Schachspiel oder die Dorfjugend beim Umwerben der angereisten Weltenbummler. Es säßen dort natürlich auch die unvermeidbaren Gitarrenspieler, die sich bei Wein und Hanf in die Herzen der gutgläubigen Mädchen einspielen, und auch die Landschaftsmaler, die den Abendhimmel rosapinkorange malen. Und die älteren Ehepaare oder frisch Verliebten, den Blick gen Westen, man sähe die Abendsonne hinterm Brandenburger Tor verglühen, die breiten Alleen, die Spitzen der Türme und nachts die Lichter der Stadt, die den Wein aus der Flasche versüßen. Und oben auf dem Gipfel, auf der Plattform, stünden natürlich Skulpturen. Jeden Monat neue.

Aber nein, Berlin hat diesen 78 Meter hohen Berg mitten in der Stadt, eigentlich eine Sensation. Dann kommt man außer Atem auf dem Gipfel an, und alles, was man sieht: Bäume. Dichte, hohe, dunkelgrüne Bäume. Langweilige, weitsichttötende, bäh, Bäume.

Wenige Monate bräuchte ich nur. Als Berliner Diktator würde man mich natürlich bald stürzen, ich wäre grottenschlecht, ich würde die Stadt vermutlich in ein wirtschaftliches Desaster steuern, aber wenige Monate bräuchte ich nur, um den Bunkerberg kahlzuschlagen, die Baumfreunde mundtot zu machen und diese Treppen zu bauen. Wenige Monate nur.