Nadelstreifen

Als gelernter Brandstifter, der ich ja bin, müsste ich eigentlich Tag und Nacht in zerrissenen Jeans herumlaufen, oder mindestens handtellergrosse Abschürfungen oder Verfärbungen an meinen Hosen tragen. Die Jeans natürlich auch am Besten Schwarz, weil man sich besser tarnt, draussen in der dunklen Nacht, wenn man ein bisschen Benzin für den Weltfrieden ausschüttet.
Eine schwarze Lederhose täte es auch, falls man mal ein bisschen gekleckert hat. Man sieht ja schliesslich nie wo man das Zeug hinschüttet, wenn es so finster ist. Lederhosen gehen aber nur wenn sie so richtig verbraucht wirken, weil die sehen sonst ja immer gleich so geschniegelt aus.

Als gelernter Brandstifter hätte ich es bei der Auswahl meiner Garderobe eigentlich leicht, und vor allem wäre die Anschaffung von Kleidern bedeutend billiger, da ich bloss in den Supermarkt laufen müsste, mir die preiswerteste Jeans auszusuchen, welche ich zuhause einige Tage auf dem Fussboden herumliegen lassen würde und immer wenn ich daran vorbeiliefe, würde ich mit den Schuhen drauftreten.
Ich wäre ein äusserst erfolgreicher Brandstifter, hätte ich nicht diese enorme Schwäche für Nadelstreifen. Würde ich beim Besuch einer Boutique nicht langsam und andächtig, ja gar sexuell elektrisiert an den Bügeln mit Nadelstreifenhosen vorbeilaufen und lange mit der Hand über die feinen Stoffe fahren, mich von der unterschiedlichen Beschaffenheit der verschiedenen Schnitte überzeugen, und die Festigkeit überprüfen, damit sie nach ein paarmal fahrradfahren nicht gleich im Schritt die ersten Risse aufweisen, dann hätte ich wahrscheinlich viele andere Brandstifterfreunde, oder wäre ich zumindest auf dem Brandstiftermarkt ein gefragter Mann.

Für den Tag wo die Revolution ausbricht, wo wir aufstehen gegen die Illuminaten und die Machthaber der globalen Wirtschaft, wo wir das Ruder in die Hand nehmen und die Lohnsklaverei abschaffen, habe ich schon den passenden Anzug ausgewählt. Ich werde meine neuen, schicken Lederschuhe tragen, die machen immer so ein “klack klack”, das ich so liebe, wenn ich auf der Strasse oder auf Pflaster laufe. Dazu die neue Nadelstreifenhose die ich gestern bei MEXX gekauft habe, der Laden der immer eine Hose für mich hat, den ich aber leider viel zu spät entdeckt habe, dazu ein schlichtes, schwarzes Hemd und darüber ein schwarzes Jacket. Wenn es bis zur Revolution noch etwas länger dauert, dann werde ich mir noch in aller Ruhe ein Nadelstreifenjacket besorgen. Leider sieht man darin meistens wie ein Zuhälter aus, besonders wenn man mal versucht sich das Haar ordentlich zurecht zu bürsten. Für das Nadelstreifenjacket muss ich mir deshalb Zeit nehmen, aber eventuell könnte ich darauf noch verzichten.
Wenn ich bis zur Revolution noch zehn Kilo abgenommen habe, dann werde ich auch eine schwarze Weste tragen, mein Lieblingsweste mit den sechs Knöpfen, nicht die mit den fünf. Die Eine, die an der Innenseite meines Schrankes hängt und nur darauf wartet, dass die Revolution endlich mal vonstatten geht. Die trage ich dann. Und dazu die schwarze Krawatte. Die am selben Bügel wie die Weste hängt, weil eine Krawatte mit meinem antrainierten Bauch noch fürchterlicher aussieht als eine Weste.

Und wenn ich dann am Abend der Revolution mit dem Benizinkanister in meiner rechten Hand und in meinen sorgfältig gewählten Kleidern das Haus verlasse, dann wird mich der ganze Mob in kürzester Zeit lynchen.

3: Hamburg Musikhalle

In Zehn minuten drei Gläser Wein trinken, dann auf die Bühne stürmen und singen. Da brodelt es im Leib. Selten standen mein Körper und Seele sich näher.

(Allerdings muss man in der Pause gleich nachgiessen, weil es nichts schlimmeres gibt als entweichenden Alkohol)

1: Bremen

Ich bin ein Weltmeister darin, aus meinen Fehlern nicht zu lernen. Man könnte meinen ein Katastrophenkonzert wie damals im NDR würde sich nicht mehr wiederholen. Ganz im Gegenteil, ich begang wieder exakt die selben Fehler.
So waren vor Anfang des Konzertes schon wieder meine Noten verschwunden. Diesesmal hatte ich aber zugegebenermassen mehr Glück gehabt, da ich es früher merkte, der Saal also nur mit einem halben Dutzend Leuten gefüllt und ich mich schnell auf die Bühne schleichen konnte. Beim dritten Mal werde ich es wohl gelernt haben.

Jedoch will ich mich gar nicht in den Details des Konzertes verlieren, und nicht die italienische Sopranistin erwähnen, die in ihrem engen, roten Korsett und halb durchsichtigem Kleid, beim Auftauchen auf der Bühne, den Einsatz der Tenöre und Bässe vermasselte.
“Si ridesti il leon di Castiglia” hätte es da tönen sollen. Laut und männlich geknödelt, so wie Verdi es wollte, aber nein nein, bloss offene Mäuler, die die Knopflöcher der Korsage zählten. Witzigerweise, und das ist wirklich kein Scheiss, hatte der schwule Bassist im Chor als einziger den Einsatz nicht verpasst. Mutig sang er ganz alleine den Männerchor, bis der Rest aus der verträumten Zählerei erwachte und langsam langsam in die Noten guckte.
Aber wie schon gesagt, das will ich ja gar nicht erwähnen.

Zu erzählen gibt es auch nichts über Bremen. Viel mehr als das Postgebäude, die Strassenbahn und einige umliegenden Häuser habe ich nicht gesehen. Wie Hans-Georg im vorigen Eintrag schon kommentierte, bleibt bei sowas keine Zeit für Besichtigungen. Er hat Recht behalten.

Erzählen will ich nur von einer älteren Frau im Publikum. Sie sass in der siebten oder achten Reihe. Normalerweise würde mir sowas gar nicht auffallen, aber im zweiten Teil des Konzertes gab es vier Arien von Puccini und Verdi hintereinander, da hatte ich halt viel Zeit in der Nase herumzubohren und das Publikum zu mustern.
Da war diese Frau die schlief. Sie muss wohl alleine gewesen sein, sonst wäre sie wohl von ihrer Begleitung kurz angestossen worden. Es sah ja nicht aus, wie sie da sass, schief im Sessel, den Kopf nach hinten und den Mund geöffnet. Eine Frau aus dem Sopran sagte nachher, sie hätte sie auch zittern sehen, so kurze, krampfartige Bewegungen. Wäre ja kein Wunder, der Pauker vom Krakauer Symphonieorchester war ja ein grosser Bursche, aber selbst gesehen habe ich das nicht. Es wunderte mich nur, dass später, beim Trinklied aus “La Traviata”, wo das Orchester (und auch der Pauker) sich so richtig ins Zeug legten und zusammen mit unserem “godiamo godiamo” einen richtigen Krach produzierten, die Dame immernoch keinen einzigen Murks machte. Spätestens dann hätte sie sich doch bewegen müssen.
Nach dem Finale wurde zehn Minuten lang kräftig geklatscht, das Publikum stand auf, der Lärm schien ewig zu dauern. Die einzige Person die sich nicht rührte, war diese ältere Dame in der siebten oder achten Reihe.
Das Publikum verliess den Saal. Ich war einer der letzten der von der Bühne abging, weil ich ganz hinten in der Mitte stand. Ich behielt die schlafende Dame im Blick, während sich alles um sie herum leerte. Weil sie immer noch keine Bewegung machte und gar nicht daran dachte den Saal zu verlassen, ja wie denn auch, wenn sie von alledem nichts mitbekam, erregte sie die Aufmerksamkeit von einigen anderen Gästen, welche sich der schlafenden Dame annahmen. Ich sah bloss, dass man versuchte sie erfolgslos wachzurütteln. Das Treiben um der Dame wurde nervöser, man legte ihr Finger an den Puls. Der Saal war zu diesem Zeitpunkt schon fast leer. Automatisiert verliess ich die Bühne, weil ich dran war abzugehen. In den Wirren der Gänge hinter der Bühne hörte ich dann Sirenen von Krankenwagen. Ich kleidete mich um, drehte mir eine Zigarette und verliess fünfzehn Minuten später das Gebäude an der Voderseite. Dort standen zwei Krankenwagen. Die Blaulichter waren schon ausgeschaltet. Ein Zeichen das ich aus meiner Kindheit kenne, das bedeutet, dass jede Hilfe zu spät gekommen ist.
Eigentlich gar kein schlechter Tod, sagte eine Dame vom Alt, nachdem ich ihr die Zigarette angesteckt hatte und wir stillschweigend die Ankunft des Notarztes verfolgten. Auch der ohne Blaulicht.
Da hatte sie wohl recht.

Bremen und Lübeck

Seit ich in Hamburg wohne, ist es eines meiner Ziele, Bremen und Lübeck zu besuchen. Gleich ein Doppelziel und unglücklicherweise befinden sich beide Städte auch noch in entgegengesetzter Richtung. Der Einfachheit halber habe ich deshalb zwei Ziele daraus gemacht. Also nochmal:
Seit ich in Hamburg wohne, sind zwei meiner Ziele, Bremen und Lübeck zu besuchen. Ich bin vernarrt in Städte und seit meinem Umzug nach Deutschland faszinieren mich, nach anfänglicher Enttäuschung über den vielen Neubau, genau diese Lücken die die Bombardementen des zweiten Weltkrieges herausgeschlagen haben. Vor allem Hamburg entpuppt sich als wahres städtebauliches Wunder, wenn ich mit alten Karten aus Anfang 1900 durch die Stadt radle und feststelle, dass für Städteplaner die alliierten Bomber ein regelrechter Segen gewesen sein müssen. Nicht dass ich zB die Ost-West-Strasse schön finde, nein ganz im Gegenteil, aber wie würde die westliche Innenstadt und das nordöstliche St.Pauli heute wohl aussehen, wenn die Städteplaner nicht freie Hand gehabt hätten, in dieser Gegend um der Nikolaikirche herum, die als Mittelpunkt für die vier alliierten Angriffskeile diente? Ach, obwohl ich den architektonischen Sündern aus den siebzigern ohne weiteres zutraue, dass die die Ost-West-Schneise auch ohne den Zerstörungen, gewissenslos reingekeilt hätten.
Aber ich schweife ab. Ich wollte immer schonmal nach Bremen und nach Lübeck, und obwohl ich nun schon seit anderthalb Jahren in Deutschland wohne, habe ich es noch nie geschafft dorthin zu kommen, auch wenn es eigentlich nur ein Katzensprung ist. Vielleicht konnte ich mich aber auch nie entscheiden, welche der beiden ich zuerst besichtigen wollte. Die beiden Städte präsentierten sich mir immer als Doppelpack, daher liess ich es wohl immer sein und fuhr stattdessen lieber nach Glückstadt oder Wien.
Jedoch ist es heute soweit. Ich wurde vom Philharmoniachor für ein Konzertwochenende angeheuert. In Bremen und in Lübeck. Heute Bremen, morgen Lübeck. Am Sonntag Hamburg, aber das tuht nichts zur Sache. Also gibts die beiden Städte doch im Doppelpack.
Was ich damit sagen will? Natürlich gar nichts, bloss wiedermal mit meinen Konzerten angeben, und das, obwohl mir beide Konzerte so peinlich sind, dass ich es nichtmal wage jemanden einzuladen, geschweige denn zu sagen was wir da aufführen.
Aber ich komme nach Bremen und nach Lübeck, im Doppelpack. Das zählt.

Es geistert oben

Es geistert oben. Ich will den neuen Mieter von oben aber nicht einschuechtern. Vielleicht wird er es auch nie bemerken. Er kommt mir sehr jung und frisch vor, und mit allem anderen beschaeftigt, als unheimliche Geraeusche in seiner Wohnung, deshalb wird er meistens Musik oder den Fernseher anhaben wenn er zuhause ist, und wenn er sich schlafen legt, dann wird er das nie in aller Stille tuhn, sondern immer mit seinen weiblichen Neueroberungen, oder genuesslich benebelt von den Getraenken der Party. Aber in seiner Wohnung geistert es.
Vorher wohnte oben ein tuerkischer Alkoholiker mit seinem Sohn. Ein etwas verlorener Mann, der oft alleine anfing zu bruellen. Aus dem Nichts. Wenn er oben am Fenster sass, mit der Bierflasche und in die Leere guckte, fuehrte er Gespraeche mit sichselbst. Er schien immer zu schimpfen. Manchmal zertruemmerte er Gegenstaende und dann schrie er eine halbe Stunde lang aus dem Fenster. Die paar Male wo ich ihn im Treppenhaus getroffen hatte, kam er mir eigentlich ganz normal vor. Er gruesste halbwegs freundlich und ging wieder seinen Weg. An den ersten Tagen nach unserem Einzug streckte er mir seine Hand entgegen und meinte, falls es mal Probleme geben sollte, falls es etwas gaebe, sollen wir ihn doch direkt ansprechen, anstatt den Vermieter oder die Polizei zu rufen. Alles liesse sich klaeren. Natuerlich nickte ich. Unter Nachbarn soll man immer erst versuchen alles zu klaeren. Das gefiel mir. Vor allem wenn das ein tuerkischer Aelterer Mann mit zerfurchtem Gesicht sagte, der nach Alkohol roch.
Nachdem wir schon einige dieser Tobsuchtanfaelle erlebt hatten, begegnete ich zum ersten Mal seinem Sohn. Dieser streckte mir auch die Hand entgegen und begruesste mich aeusserst freundlich. Ein junger Mann, hoechtens 25, nicht sonderlich belesen, dafuer aber ein ambitionierter junger Boxer mit einem sehr aufdringlichen Tourette-Syndrom. Gleich warnte er mich, mit seinem Arm um meiner Schulter, dass es oben bei ihm manchmal ein bisschen laut werden koennte, da sein Vater grosse Sorgen habe. Sorgen die ganz tief liegen sagte er mit todernstem Blick und legte dabei die rechte Faust auf sein Herz.
Mit der Zeit erfuhr ich, dass es da einen jahrzehntelangen Streit zwischen den beiden tuerkischen Familien da oben gab. Sie wohnten im selben Geschoss und waren miteinander verwant, und irgendetwas war vor einigen Jahrzehnten passiert das von dem Mann ueber mir nie richtig verarbeitet wurde. Ich erfuhr die Details nie wirklich, obwohl ich mich mit dem Sohn eigentlich ganz gut verstand und mich mehrmals mit ihm im Treppenhaus ueber alles moegliche unterhielt. Dabei versuchte ich immer wieder das Tuch ueber diesen geheimnisvollen Vorfall abzuziehen. Es gab eine Hochzeit vor ganz vielen Jahren, wo suedlaendische Tragoedien sich eben immer abspielen, da war irgendwas geschehen. Vielleicht ein Mord? Vielleicht ging es um Betrug? Ich werde es wohl nie erfahren.
Der Mann wurde schonmal ganz in Blut ueberstroemt vom Krankenwagen abgeholt. Ein Messerstreit vielleicht, oder ein Ueberfall. Der Mann hatte ein wirkliches Problem. Nachdem er oben die Tuer des Verwanten eingetreten hatte und sehr handgreiflich geworden war, dass die Polizei einschreiten musste, reichte es dem Verwanten und zog mit seiner Frau aus dem Haus.
Ich glaube das machte fuer ihn oben alles nur noch schlimmer, weil er jetzt seinen Todfeind nicht mehr angreifen konnte, und sich die Wut dadurch nur noch mehr aufstockte und nicht mehr abgelassen werden konnte. Dieser Streit schien letztendlich sein ganzes Leben zu bedeuten.
Etwa einen Monat spaeter spuerte er ein bedrueckendes Gefuehl in seiner Brust. Sein Sohn, der Boxer, schulterte ihn und zog ihn zur Notfallpraxis um die Ecke. Doch unterwegs hoerte sein Herz auf zu schlagen.

Dies geschah vor etwa einem halben Jahr. Der Sohn ist jetzt ausgezogen und die Wohnung kam zur Miete frei. Ich will dem neuen Mieter gar nicht erzaehlen, was da oben alles geschah. Er soll neue Frische ins Haus bringen und die Toten ruhen lassen.
Aber es geistert da oben. Der Neue ist noch gar nicht eingezogen. Er hat nur eine Mauer eingerissen und faengt gerade an zu renovieren. Jedoch laeuft da oben nachts jemand herum. Wenn ich mitten in der Nacht erwache, hoere ich Schritte. Drei, vier, dann bleibt er stehen. Dann wieder ein paar Schritte, und wieder Stillstand. Manchmal faellt etwas zu Boden. Mitten in der Nacht, an einem stinknormalen Wochentag. Es hoert sich an wie ein Glas, oder eine Flasche, die zersplittert. Ich warte immer auf aufgeregte Schritte, die sich in die Kueche begeben um ein Putztuch zu holen, damit der verschuettete Wein aufgewischt werden kann. Aber nichts geschieht. Nur das zersplitterte Glas und danach nichts.

Nein, ich werde ihm davon nichts erzaehlen. Wenn der Neue allerdings einmal danach Fragen wird, dann werde ich ihm sagen, dass bei ihm ein junges Paaerchen gewohnt hat, die ein Kind bekommen haben und nun in eine groessere Wohnung in Altona gezogen sind.
Er soll neue Frische ins Haus bringen und die Toten soll man ruhen lassen.

im NDR

Falls es jemandem Freude macht. Am morgigen Sonntag singe ich mit dem Chor im NDR Radio bei Sonntakte. Es faengt um 20:05 an. Verschiedene Sachen: der Messias von Haendel, Verdi’s Trinklied aus La Traviata, der Gefangenenchor aus Nabucco, Faust-Walzer, Zigeunerbaron, Die Fledermaus und vieles mehr. 90,3 FM. Streamen tun sie nicht, also nur fuer Norddeutschland ueber Radio zu emfangen.