Am Nachmittag habe ich zwei sehr anstrengende Meetings. Um vier Uhr beschliesse ich den Hammer niederzulegen und das Wochenende einzuläuten. Meine Frau und ich wollten uns am Alex treffen und zusammen nach Hause laufen. Auch sie kann früher raus.
Der Spaziergang dauert etwa eine Stunde. Ein bisschen weniger. Ich habe das Fahrrad dabei. Manchmal denke ich, das ist schlecht für meine Haltung wenn ich lange Strecken immer etwas einseitig spaziere und es passiert wirklich oft, dass ich das Fahrrad neben mir herschiebe. In dreissig Jahren werde ich es vermutlich wissen, ob es schlecht für mich war. Andererseits plagen mich jetzt ja schon Nacken- und Rückenschmerzen, ich sollte vielleicht erst lernen anständig zu sitzen oder noch besser: weniger sitzen, bevor ich mir um die Haltung vom Fahrradschieben Gedanken mache.
Wir spazieren also die Karl-Marx Allee hinunter und reden von den Dingen. Es gibt da diese eher neue Galerie, kurz vor der Straße der Pariser Kommune. Wir bleiben da hängen, wegen einer Ausstellung mit großflächigen Bildern von einem Künstler namens Marc Padeu. Gesellschaftszenen von Menschen mit dunkler Hautfarbe vor dunklem Hintergrund.
Ich erzähle von einer Hochzeit in Holland, als die beste Freundin meiner damaligen Freundin einen Mann aus Zaire heiratete. Als die Braut mit Bräutigam und seinen drei Trauzeugen aus Zaire unter einem Baum für das Foto posierten. Wie die Verwandtschaft sich nachher hinter vorgehaltener Hand über dieses Foto lustig machte, auf dem man eigentlich nur das rosarote Gesicht der Braut erkennen konnte und sonst vier Männer, deren Gesichtszüge im Schatten und der Stammfarbe des Baumes verschwanden. Vier gesichtslose Anzüge und eine lustig grinsende Braut dazwischen. Dieses Lachen der Verwandtschaft hinter vorgehaltener Hand. Die vorgehaltene Hand.
Ich denke, die Bilder wurden absichtlich so gemalt. Auch wenn nicht alle Bilder die Menschen vor dunklem Hintergrund darstellen, so ist die Komposition doch etwas auffällig: Helle Gegenstände, die Köpfe aber vorwiegend vor einem betont dunklen Hintergrund.
Die Gefahr ist natürlich gross, dass ich gerade rassistischen Scheiss verzapfe und die Künstlerin schlichtweg alltägliche Szenen nachgemalt hat. In dem Fall sagt es dann mehr über meinen weiss-europäischen Blick auf die Dinge.
Stilistisch mochte ich die Gemälde sehr. Klare, große Linien, deckende Farben, viel blau, Königsblau, Familienportraits im Stile einer Fünfzigerjahre Neuinterpretation, ein bisschen Retro, ohne altbacken zu wirken, sondern modern, groß, Pop. Und dann diese Gesichter, die auffallend in den dunklen Hintergrund verschwinden.
Wir betreten die Galerie, stehen vor diesen großen Bildern. Die Gesellschaftszenen mag ich sehr. Die anderen Bilder weniger. Manchmal hätte ich gerne viel Geld und große weisse Wände um mir solche Bilder aufzuhängen, damit ich lange davor stehen kann, wann immer ich will. Es ist der letzte Tag der Ausstellung und sie werden bald schließen.
Danach wechseln wir die Strassenseite und laufen unter dieser sandigen Promenade, an der mittlerweile ein paar Lokale geöffnet haben, die ganz okay aussehen. Nicht zu hipp, nicht zu altbacken. Eine Weinbar, die auch Briefmarken verkauft, das klingt erst mal tüdelig und elitär hipp, das Publikum sieht von aussen okay aus. Wir sind kurz versucht etwas zu trinken, sind aber beide eher in dem nicht-alkoholischen Modus, aber für Ausnahmen sind wir immer wieder empfänglich, wir checken einander kurz ab, wie empfänglich die jeweils andere für einen Ausnahmedrink ist, schütteln aber beide eher den Kopf. Ausserdem streiche ich derzeit wieder mein Abendessen von meinem Essensverhalten, Alkohol passt da nicht rein.
Und dann kommt ja dieser Abschnitt, der mich manchmal an Promenaden in Rimini oder auf Mallorca oder eben Touristenpromenaden in warmen Urlaubsländern denken lässt, wo sich Seniorengruppen niederlassen und mal „lecker griechisch und Pizza“ essen und dazu ein Weizenbier bestellen. Es reiht sich ein Mexikanisches- ein Vietnamesisches-, ein Böhmisches- und ein Griechisches Restaurant. Und etwas später kommt noch ein Steakhouse. Die Ästhetik und das Publikum dieser Lokalreihung ist so seltsam aus der Zeit und auch aus dem, öhm, Raum gefallen. Aber beim Griechen hat es uns dann erwischt. Wir lesen die Karte und unser Hunger kriegt eine Spontanentzündung. So setzen wir uns hin, bestellen uns Vorspeisen und Hauptspeisen. Der Ouzo, der uns vor dem Essen serviert wird, steigt mir direkt in den Kopf. So schnell hatte ich mich wieder vom Alkohol entwöhnt. Wir werden cremig. Reden über Hunde. Wir wollen uns einen Hund anschaffen. Seit langem schon, aber ich zögere noch etwas. Es ist ein langes Thema. Vielleicht ein andermal mehr dazu.
Als wir nach Hause kommen prasselt der Regen los. Später regnet es noch mehr. Bis Mitternacht. Ich kann am besten einschlafen, wenn der Regen in den Hinterhof plätschert. Sobald ich mich hinlegen will, hört der Regen auf.
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