[Sonntag, 7.11.2021 – ABBA Album, Remis]

Ich war nie ABBA Fan. Was zum Großteil sicherlich daran lag, dass ich erst mit 13 oder 14 zum ersten Mal den Namen dieser Band las. Ich war damals Pink Floyd Fan und las, dass „the Wall“ nur das zweitmeist verkaufte Album der Weltgeschichte war. Direkt darunter wurde eine Band genannt, die die meisten Platten überhaupt verkauft hatte. Die Band hiess ABBA. Nie gehört. Auch meine Freunde wussten nur vage etwas damit anzufangen.
In jener Zeit hörte ich aber eben Pink Floyd und begann mich für Heavy Metal zu interessieren, ABBA hätte ich vermutlich verachtet.

Bewusst gehört habe ich die Band erst viel später, ich glaube erst mit Ende zwanzig, auf Schwulenpartys in den Niederlanden. Waterloo und Dancing Queen. Diese Stimmen, die sich anhörten wie Engelscharen, während sie Glücksgefühle vor sich her peitschen.

Gestern standen wir in der Küche und wollten natürlich wissen, wie das neue Album klingt. Es klingt sehr nach ABBA. Man merkt den Stimmen das Alter an. Dass es so was gibt. Das ist mir bei Jessica Lange schon aufgefallen, als sie „Gods and Monsters“ sang. Stimmen altern. So auch bei ABBA.

Manchmal klingen sie seltsamerweise nach the Pogues. Vor allem der Song „When you dance with me“, da muss ich ständig an „If I sould fall from grace with god“ von The Pogues denken.

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Hertha spielte heute gegen Leverkusen und die Mannschaft war wieder wie ausgewechselt, im Vergleich zum vorigen Spieltag. Diesmal kein Moment der Schläfrigkeit, sondern neunzig Minuten aufopferungsvoller Kampf. Hertha führte bis kurz vor Schluss 1:0 und schnürte den teuren Kader der Bayer AG teilweise sogar in deren eigenen Hälfte ein.
Aber dann fiel das Gegentor in der neunzigsten Minute durch einen dummen Ball, der vor die Füsse des Gegners landet.

Trotzdem bekomme ich langsam wieder positive Gefühle für meine Mannschaft. Vielleicht höre ich diese Woche auch wieder Fussballpodcasts. In zwei Wochen kommt das Derby gegen Union.

[Montag, 8.11.2021 – die Liebe wie ein marmornes Monument. Kitschig und hässlich]

Sontagsspiele. Da gibt es am Montagmorgen noch keine neuen Podcastfolgen. Ich hatte mich gestern zu früh gefreut.
So viel Vorfreude, weil Hertha wieder einigermaßen erträglich spielt und dann keine Herthapodcasts am Montagmorgen. Ziemlich antiklimaktisch.

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Beruflich hatte ich heute mit einem Mann aus Osteuropa zu tun. Wir gerieten schnell in ein sehr privates Gespräch. Er erzählte mir von seiner ehemaligen Frau, die zurück in die Heimat gezogen sei. Sie hatte die beiden Kinder mitgenommen habe und verwehre ihm nun den Kontakt dazu. Dass er jetzt nach zwei Jahren, es aufgegeben habe, sie wiederzusehen. Das sei besser für die Kinder, je mehr er versucht habe, sie wiederzusehen, desto weiter schienen sie sich von ihm zu entfernen. Ich weiss nicht, was er mit entfernen genau meinte, ich fragte aber nicht nach.
Er hofft nun, dass sie sich in zwanzig Jahren an ihn erinnern und nach ihm suchen. Das würde ihn freuen.

Warum schreibe ich das auf? So genau weiss ich es auch nicht. Wer weiss, wie die Geschichte aus dem Mund der ex-Frau klingt. Dennoch. Die Liebe wie ein marmornes Monument. Kitschig und hässlich.

[Dienstag, 9.11.2021 – Gedenken, Reisen, Dessentwegen]

Mauerfall und Reichspogromnacht. Ich habe das Bedürfnis, es hier hinzuschreiben. Weil sich heute beides jährt. Ich habe nichts kluges dazu zu sagen. Beide Ereignisse haben in meinem Leben nie einen Rolle des Gedenkens gespielt. Erst seit ich in Deutschland wohne weiss ich davon. Angeeignet habe ich mir das Gedenken nicht, finde es aber natürlich dennoch gut, dass ich jährlich daran erinnert werde, weil andere daran gedenken. Vor allem das Gedenken an die Pogrome.

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Ich sehe es schon kommen. Die Staaten schließen in den nächsten Wochen die Grenzen für Deutschland und auch dieses Jahr wird nichts aus der Reise zum Polarkreis. Nächste Woche habe ich den Termin für meinen neuen Reisepass. Meine Frau meinte bereits in weiser Voraussicht, Tromsö erst dann zu buchen, wenn ich den Pass auch habe. Das war auch die pandemische Lage berücksichtigend gemeint. Ein bisschen Zeit gewinnen, um zu sehen, was passiert. Und ja, vielleicht haben wir dadurch einfach Geld gespart und nervige Mails an Fluggesellschaften und Hotels für die Rückerstattung von Buchungen.

Mal sehen, ob auch die Reise nach Longyearbyen im April auf dem Coronazettel steht. Dieser Ärger, der unterschwellig nach Schuldigen sucht. Die Schuld der zögernden Regierung, der Impfgegner, der Schwurbler. Dabei weiss ich aber auch, dass ich mich durch Reisen nicht sonderlich pandemiegerecht verhalte und in Wirklichkeit nur eine weitere potentielle Virusschleuder bin.

Andererseit: eine gute Gelegenheit weiter abzuehmen. Seit der Schwedenreise im Sommer habe ich ich von den 18 verlorenen Kilos, wieder 5 angefuttert und das fühle ich an mir. Und man sieht es mir an.

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Dessentwegen. Das Wort habe ich in meinen Notizen stehen. Der Spiegel verwendete es neulich in einer Überschrift. Das ist ein Wort, das ich verwende, wenn ich denke Phantasiedeutsch zu sprechen. Wie wenn ich sage: furchtbarlichst. Oder Allerherzlichstlich. Oder genausogut. Aber dessentwegen ist natürlich korrekt. Sieht man nur so selten.

[Mittwoch, 10.11.2021 – Russian Leather, Fahradladen]

Ein Kollege arbeitete früher bei Molton Brown in London. Das erzählte er mir vor einigen Monaten nebenbei an der Kaffeemaschine. In jenem Moment nicht wusste er noch nicht, dass ich eigentlich fast nur noch Parfums von Molton Brown verwende, genauer gesagt, die beiden Varianten von Russian Leather, also sowohl das Eau du Toilette, aber noch lieber das Eau de Parfum. Er meinte, er habe noch nie jemanden in Berlin getroffen, der die Marke Molton Brown kennt.
Wir fachsimpeln seitdem immer wieder mal über Gerüche. Erst vor wenigen Wochen, kurz bevor er nach London fuhr. Wir redeten über Geschlechterrollen und Parfums. Er sagte, dass Frauen oft Männer- sowie Frauendüfte tragen, Männer aber nie Frauendüfte. Deswegen ist man auch dazu übergegangen, Duftkategorien anstatt Geschlechterdüfte zu designen, also beispielsweise blumig oder holzig, statt einer Geschlechtszuordnung.

Heute war er wieder da und hatte mir eine Molton Brown Kerze mitgebracht. Russian Leather. Man kann die Essenz des Geruches, ein rauchiges Leder, regelrecht durch die Verpackung riechen.

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Nach der Arbeit traf ich mich wieder mit meiner Frau. Zur Zeit treffen wir uns fast jeden Tag und spazieren zusammen nach Hause. Heute war alles anders. Heute spazierten wir zu meinem Fahrradladen. Die Vorderlampe ist kaputt. An den letzten Abenden geriet ich wegen des fehlenden Lichts in ein paar heikle Situationen mit Autos, die mich zu spät gesehen hatten. Dass ich ohne Licht, mit dunkler Kleidung und Podcasts im Ohr, ziemlich schnell fahre, ist nicht die beste Mischung. Auch die Bremsen sind nicht mehr in Ordnung.

Nachdem ich das Fahrrad im Laden abgegeben hatte, war uns noch nicht so recht danach, den Heimweg anzutreten und so schauten wir in dieses neue georgische Lokal hinein. Wir waren neulich bei einem Spaziergang daran vorbeigelaufen. Ein junges paar aus Georgien öffnete vor einigen Monaten ein Lokal mit georgischen Speisen und Bier von Lammsbräu. Durch die Fenster sah es immer gemütlich aus, also gingen wir hinein, bestellten uns Bier und, nunja, wurden etwas cremig.

[Donnerstag, 11.11.2021 – Covid, kaputtes Fahrrad]

Saumies geschlafen.

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Es mehren sich jetzt auch wieder die Coronafälle im Bekanntenkreis. Heute gab es insgesamt drei Fälle. Zwei mal betraf es jeweils Kinder. Einmal den Freund direkt.

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Abends holte ich mein Fahrrad ab. Das Licht geht wieder, die Bremsen auch. Dieser Fahrradladen, es ist der beste der Welt. Wenn man das Fahrrad dort gekauft hat, sind alle Reparaturen umsonst. Man zahlt nur Materialkosten. Der Chefreparierer kennt mein Fahrrad. Einmal war mein Pedal gebrochen, als ich es zur Reparatur bringen wollte, stand ich aber vor einer geschlossenen Werkstatt. Es war Ruhetag. Also parkte ich mein Fahrrad gegenüber da ich es nicht nach Hause schieben wollte. Es ist ein altes Fahrrad, das wird nie geklaut. Ich liess das Rad nicht vor dem Laden stehen, sondern gegenüber, auf der anderen Strassenseite. Am nächsten Abend wollte ich das Fahrrad aufschliessen und in die Werkstatt bringen, aber dann sah ich, dass es bereits repariert war.
Ich ging in den Laden und wurde freundlich begrüßt. Er habe das kaputte Pedal gesehen und schon verstanden, dass der Italiener für eine Reparatur am Ruhetag vorbeigekommen war. Er nennt mich den Italiener. Niemand darf mich Italiener nennen. Seit diesem Move mit dem Pedal, darf er das aber. Er selber kommt aus Turin.

[Samstag, 13.11.2021 – Martinigans, Alleecenter]

Heute habe ich den gestrigen Tagebucheintrag einmal ausgelassen. Grund dafür war eine Nacht mit wenig Schlaf. Als ich dann gegen Mittag einigermassen wach war, hatte ich ein einnehmendes Bedürfnis, den Tag zu beginnen.

Am Vorabend waren wir mit lieben Freunden im Alt-Wien in der Hufelandstrasse, Martinigans essen. Wir machen das seit Jahren. Fast immer in dieser Runde. Letztes Jahr fiel die Martinigans pandemiebedingt aus.

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Nächste Woche kommt meine Schwester, ich muss in der Wohnung noch vieles vorbereiten, das Gästezimmer, die kaputte Duschvorrichtung und vieles mehr. Ausserdem: die Wohnung muss wieder einmal gründlich durchgeputzt werden. Und die Steuerunterlagen müssen sortiert, geprüft und dann endlich auf die Post.

Das meiste haben wir nicht erledigt, wir werden es auf den Sonntag verschieben müssen. Dafür unternahmen wir einen Spaziergang zum Alleecenter an der Frankfurter Allee. Dort gibt es den Laden mit dem Namen DEPOT, da verkaufen sie diese großen Teller mit 28cm Durchmesser. Davon wollten wir ein paar kaufen.
Die großen Teller gab es aber nicht. Dafür kauften wir andere Dinge.

[Sonntag, 14.11.2021 – putzen, Ingmar Bergman]

Heute haben wir uns also der Wohnung gewidmet. Jetzt blitzt sie. Im Sinne von blitzeblank.
Sowas dauert auch mal einen ganzen Tag. Zugegebenermaßen bedeutet Wohnung aufpimpen nicht immer nur putzen, sondern auch Musik hören und quatschen und zwischendrin was essen. So geht manchmal ein ganzer Tag rum.

Beim Aufräumen hörten wir die neue Element of Crime, also die aus 2019. Sie gefiel uns aber beiden nicht so.

In einer der Putzpausen schauten wir in die neue Serie mit Jessica Chastain rein. „Scenes from a Marriage“. Eine Neuverfilmung von Ingmar Bergmans Serie mit dem gleichen Namen. Die Serie besteht wie das Original, fast nur aus den Dialogen der beiden Charaktere und von Nahaufnahmen der Gesichter. Die Frau hat seit einer langen Zeit eine Affäre und will sich trennen. Die Geschichte und die Gespräche sind sehr eindringlich und sie saugte uns sofort auf. Aber bevor ich das weiterschauen werde, möchte ich aber das Original sehen. Deswegen hörte ich auf.

Ingmar Bergman war fünf mal verheiratet und hatte neun Kinder. Das mit dem Heiraten verstehe ich, damals war unverheiratetes Lieben nicht ganz so einfach, vor allem für viele Frauen, aber jedes Mal Kinder? Jedes Mal das Versprechen einer Familie? Gut, auch das kann man sicherlich auf die Epoche schieben.

Seine letzte Frau heiratete er erst 1971. Deren gemeinsame Tochter kam aber bereits 1959 zur Welt. Dazwischen war er mit einer Frau verheiratet und mit einer weiteren Frau liiert. Mit beiden zeugte er Kinder. In „Scenes from a marriage“ spielen zwei Geliebte gleichzeitig mit.

Ich werde demnächst Ingmar Bergman Filme schauen. Schon nur deswegen. Und damit ich Jessica Chastain sechs Stunden lang beim Reden zusehen kann. Das meine ich ernst.

[Montag, 15.11.2021 – Ambasciata]

Heute früh auf der Botschaft gewesen um meinen Pass machen zu lassen. Heute wurde ich auf der Ambasciata das erste Mal freundlich behandelt. Keine Ahnung warum.

Am Eingang steht ein älterer Herr mit einer Namensliste und einer Fieberpistole. Zuerst hält er mir die Pistole an die Stirn. Ich habe einen Moment Angst, weil ich gerade 35 Minuten mit dem Fahrrad gefahren bin. Mein Körper fühlt sich wie ein Ofen an. Die Pistole piept aber nicht, also lässt er mich rein. Er fragt nach meinem Namen. Er redet deutsch, dabei hat er einen starken Akzent. Ich antworte auf italienisch, er bleibt aber bei deutsch.

Das macht er mit allen so. Er redet mit allen deutsch, auch wenn Leute kein deutsch können und ihn auf italienisch ansprechen. Er hat eine sehr laute und sonore Stimme, er bügelt einfach über alles drüber, die Besucherinnen verstehen dennoch das Ja und das Nein, und dass sie sich in den Warteraum begeben sollen. Auch Leute, die abgewiesen werden verstehen es. Sein „Nur mit Termin“ ist universal. Oder wenn die Besucherinnen sagen: „I don’t speak german“. Er bleibt konsequent bei der deutschen Sprache.

Danach kommt ein Italiener mit einem komplizierten Problem. Etwas mit der italienischen Gesundheitskarte seiner Frau, die noch in Italien lebt. Das Problem dabei: er spricht nur italienisch und hat keinen Termin. Er will aber unbedingt rein und versteht nicht, warum er nicht hinein darf. Daraufhin interveniert ein junger italienischer Mann. In dem Moment verstehe ich erst: der Pförtner ist kein Italiener.

Auch so ein Ding. Stellste am Empfang der italienischen Botschaft einen Mann hin, der weder englisch noch italienisch kann. Diese Theatralik. Fast genial.

[Dienstag, 16.11.2021 – talibaniger Bart]

Mein Bart ist wieder so groß geworden, dass ich das Gefühl hatte, mir würde unterhalb der Ohren ein zweiter Kopf wachsen. Vor allem links und rechts unter den Ohren wird der Bart dann immer so talibanig.

Also nahm ich den Langhaarschneider und rasierte die linke Backe, den linken Hals und kam bis zum Kinn. Dann gab der Akku auf. Leere Akkus kommen immer so plötzlich. Und Rasiermaschinen kann man nie gleichzeitig laden und verwenden, ja warum eigentlich nicht, Telefone können das doch auch, aber Rasiermaschinen müssen dann immer stundenlang laden.

So saß ich den Abend mit halbem Bart.

Zwischenzeitlich kam der Lieferant von Trinkteufel Durstexpress Flaschenpost. Dem ist das aber nicht aufgefallen. Oder er war wegen des Trinkgeldes einfach diskret.

[Mittwoch 17.11.2021 – Nochmal Bart, Schwester zu Besuch]

Am Morgen rasierte ich dann mit frisch geladenem Akku meinen Bart zu Ende. Das ging nicht gut. An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich die Wartung meines Bartes meiner Frau in die Hände gelegt habe. Das ist noch gar nicht so langer her. Aber offensichtlich habe ich jegliche Kompetenz darin verloren. Mein Bart sah zersaust aus und sichtbar außer Symetrie. Dabei erschrak mich ganz besonders, dass ich die Fehler nicht mehr eigenständig zu korrigieren wusste.

So sah ich den ganzen Tag über seltsam aus. Seltsam jugendlich und ungepflegt. Das macht es nicht besser, wenn man den ganzen Tag in eine Webcam starrt.

Am Abend versuchte meine Frau etwas Balance in meinen Bart zu bekommen, er war aber bereits zu kurz und die Korrektur gelang daher nur in Teilen.

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Um halb neun fuhr ich zum Hauptbahnhof. Meine Schwester kam an. Sie ist die nächsten Tage zu Besuch in Berlin. Das freut mich sehr. Ich habe zwei Tage frei genommen. Wir werden ein paar schöne gemeinsame Tage verbringen.