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Nur mal so: ich mag es ja die Uhren umzustellen. Mir ist es egal was richtige Zeit ist und was die Falsche und mir ist es völlig wurscht wenn die Sonne zu Mittag nicht gerade am Zenit steht und innere biologische Uhren sind mir noch wurschter. Ich mag es wenn es im Sommer ewig hell ist und ich mag es wenn es im Winter nach dem Mittagessen dunkel wird, ich mag es, mich Ende Oktober schlagartig auf den Winter einzustellen, und ich mag es wenn im März, patzbumm, die Sonne eine Stunde länger scheint. So ist das.

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Spotify empfiehlt mir die Playlist “Dreamy and Distorted”. Ich fühle mich so entlarvt.

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Die Sonnenbrillenzeit ist ja wieder vorbei. Es passiert mir so oft, dass ich meine Sonnenbrille vergessen glaube. Ich stecke meine Sonnebrille immer entweder in den Kragen oder auf den Kopf. Wenn ich meine Sonnenbrille suche, suche ich immer nur im Kragen. Auf dem Kopf vergesse ich sie. Es geschieht oft, dass ich in einen Laden oder in eine Bar zurückgehe und frage, ob sie beim Aufräumen meines Tisches eine Sonnenbrille gefunden haben. Ich kenne diesen Blick mittlerweile. Wenn man auf meinen Kopf zeigt und ein hämisches Lachen unterdrückt. Dieses unterdrückte, hämische Lachen. Das sieht bei allen Leuten gleich aus.

[krkr]

Wann hat das eigentlich mit den Krähen in Berlin angefangen? Wie sie sich in Schwärmen über die Karl-Marx-Allee hermachen. Wenn die Wolken über der Stadt hängen, sieht es stellenweise aus wie in einer Kulisse von Game of Thrones. Es sind besonders große Exemplare von Nebelkrähen. Sie sind schon fast so groß wie Kolkraben. Abends krähen sie. Gestern beobachtete ich zwei solcher Vögel, wie sie sich um eine Packung mit Essensresten stritten. Großer geöffneter Schnäbel, bedrohlich aufgespannte Flügel. Breitbeiniger Gang wie Cowboys auf dem Platz vor der Ranch. Neulich am Alex zerfleischte ein halbes Dutzend Nebelkrähen eine liegengebliebene Abfalltüte. Menschen standen ziemlich erfurchtsvoll daneben.

Lovin’ it.

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[hypno]

Um mich in den Zustand der Hypnose zu versetzen ließ sie mich bei unserer ersten Sitzung gedanklich über eine Treppe hinunterlaufen. Ich saß in diesem weichen Ledersessel, hatte die Beine hochgelegt und ausgestreckt. Mit geschlossenen Aufgen lief ich eine Treppe hinunter. Sie forderte mich auf, mir die Treppe detailiert vorzustellen, die Höhe der Brüstung, das Material der Stufen und so gelangte ich gedanklich ziemlich schnell in die Treppe des katholischen Internats, das ich in meiner frühen Pubertät besuchte. Das war eine sehr sehr breite Treppe aus glattem Stein. Die Stufen waren längst abgerundet vom jahrhundertelangen Verschleiß. Das Gebäude ähnelte im Inneren eher einem Kloster. Das Treppenhaus erstreckte sich über sechs Geschosse, im Zwischengeschoß gab es jeweils Tore durch die man in das Kirchenschiff gelangte. Die meisten dieser Tore waren für uns Kinder aber geschlossen. Um von unseren Schlafgemächern im sechsten Stock bis ins Kellergeschoss für die Speisesäle zu kommen, lief man ewig über diese steinernen Treppen. Die Stufen waren so abgerundet, dass man mit glatten, weichen Pantoffeln regelrecht wellenreitend hinuntergleiten konnte. Ich verstand, dass mich die Hypnotiseurin durch dieses Treppenhaus in mein Unterbewusstsein hinunterschicken wollte, das fand ich gut, ein nettes Hilfsmittel, eine Treppe, so genial. So stieg ich diese Treppe hinunter. Nach dem dritten Stock hörte ich auf die Stockwerke mitzuzählen, während sie mit mir redete und mich hinwies auf gewisse Dinge zu achten, ob es Zwischengeschosse gibt, ob es ein Geländer gibt, ich sollte mir auch die Wände ansehen, das ging bestimmt mehrere dutzend Stockwerke so. Während ich immer weiter nach unten gelangte, wurde es zusehend dunkler im Treppenhaus. Ich weiß nicht mehr, ob Tageslicht ins Treppenhaus gelangte und ich weiß auch nicht wie hell es war als ich ganz oben auf der Treppe gestanden hatte, aber nach den dutzenden Stockwerken war mir aufgefallen, dass es dunkler geworden war. Vielleicht waren einfach die Lampen weniger stark, mittlerweile gab es auch vereinzelte Kerzen in den Einbuchtungen der Wände.
Die Frau die zu mir sprach, sagte es gäbe jetzt noch fünf Treppen vor mir. Ich sollte sie langsam laufen, ich schaute zu meinen Füßen, oh, nur noch fünf Stufen, damit hatte ich nicht gerechnet. Sie zählte für mich. Fünf, vier, drei, zwei, eins.
Unten angekommen.

Ich bin unten angekommen. Ich schaue immer noch zu meinen Füßen, ich stehe auf einem harten Boden aus festgetreteter Erde. Ich schaue mich um. Es ist ein dunkler Raum, es sieht aus wie ein Keller, ich kann aber keine Wände erkennen. Auch keine Gegenstände. In einiger Entfernung gibt es so etwas wie einen Nebel. Ein schwarz, violetter Nebel. Der Nebel ist überall. Er hält mich davon ab, die Enden des Raumes zu erkennen. Das ist also mein Unterbewusstsein. Ein finsterer Keller. Hätte ich mir nicht ausdenken können.

Ich erkenne sofort das Potential hier unten herumzulaufen. Natürlich weiß ich, dass ich nur mit einer Taschenlampe herumzuleuchten brauche um auf hunderte spannende Sachen zu stoßen. Wahrscheinlich schaffe ich es ohne Lampe, ich würde einfach über die Dinge stolpern, vergessene Ängste, vergessene Begierden, Streckbänke, vermutlich gibt es da Schaufeln, mit denen ich die Leichen ausgraben muss. Nix gegen ein bisschen Schweiß.

Aber die Stimme der Frau lenkt mich davon ab, sie weist mich auf eine Tür hin, die sich ein Stück weiter vorne befinden soll. Ich schaue hin, da steht tatsächlich eine Tür. Ich gehe hin. Die Frau sagt, ich solle die Kiste neben der Tür öffnen. Neben der Tür steht plötzlich eine große Kiste auf dem Boden. Es ist eher eine Truhe als eine Kiste, eine Schatztruhe mit eisernen Beschlägen. Ich öffne sie. Sie ist leer. Die Frau fordert mich auf, alles in die Kiste zu tun, das mich davon abhält, mich hier jetzt mit ihrer Stimme unten in meinem Unterbewusstsein zu befinden. Ich soll alle Ablenkungen ablegen bevor ich durch diese Tür schreite. Das verstehe ich. Ich lege meine Nackenschmerzen in die Kiste, ich lege ein paar Befindlichkeiten in die Kiste und noch ein paar andere Dinge.
Wenn ich also durch die Tür schreite, dann betrete ich also noch eine tiefere Ebene, das ist so spannend, ich frage mich ob ich nicht auf die Aufregung besser in diese Schatztruhe hätte legen sollen, es scheint mir etwas dämlich, da unten aufgeregt zu sein. Während ich vor der Tür stehe und tief durchatme, merke ich, dass ich tatsächlich meinen Nackenschmerz nicht mehr fühle, dabei weiß ich noch, dass er während meines Abgangs in der Treppe noch da war. Ich schaue zur Schatzkiste, mir ist, als würde ich den Nackenschmerz in der Truhe fühlen, aber nicht mehr in meinem Nacken, und wenn ich den Schmerz nicht haben will, dann ist er einfach nicht da. Auch nicht in der Truhe. Irre.
Dann trete ich durch die Tür. Eigentlich hatte ich erwartet, es würde eine weitere Treppe folgen. So etwas wie eine schmale Freitreppe in ein schwarzes Loch hinunter. Aber da ist nur ein weiterer Kellerraum. Ich gehe hinein und schließe die Tür. Es läuft ein Film. Es flackert, der Film wird projiziert, wie in einem kleinen privaten Kino. Es laufen die achtziger Jahre ab, ich bin ein kleiner Junge. Ich bewege mich in diesem Film, ich laufe eine Wiese hinab. Auch ich flackere ein bisschen.

 

[…]

[38,3]

Der Hitze getrotzt und drinnen geblieben. Alle Rollos runter-, die Kleider ausgezogen. Fenster geschlossen, Lampen vermieden, Maschinen ausgeschaltet, mich im Halbdunkel durch den Tag getastet. Musik gehört. Hörbuch gehört. Salat gegessen. Wasser in mich hineingegossen. Wasser über mich gegossen.

[…]

Letzte Woche in einem Luxushotel in Düsseldorf gewesen. Eine russische Familie wollte sich unsere Dienstleistungen erklären lassen. Zuerst ließ man uns eine halbe Stunde im Foyer warten. Große, schlanke Frauen mit streng gebundenen, blonden Pferdeschwänzen und 12cm Highheels liefen ein und aus. Als sich die Tür zum großen Saal öffnete, bat man uns herein. Man hatte drei Stühle für uns bereitgestellt. In dem großen Saal saßen ein gutes dutzend Männer an Tischen die zu einer U-Form zusammengeschoben waren. Dahinter standen bullige Männer mit Sonnenbrillen mit verschränkten Armen. Ich vermute, dass die Rangordnung in der Mitte des U’s begann. Dort saß ein einfach gekleideter Mann, der fast eine Stunde lang nichts sagte, aber immer ein zufriedenes Lächeln im Gesicht trug. Rechts von ihm saß ein Mann im Anzug, der uns ständig mit Fragen löcherte. Fragen zu Zahlen. Zahlen hier, Zahlen da. Er holte immer sein Tablet dazu und zeigte demonstrativ auf seine eigenen Zahlen. Links von dem Chef saß ein junger, smart gekleideter Mann. Dieser saß immer etwas lässig zurückgelehnt. Warf ab und zu den einen oder anderen Satz ein, der weder kritisch noch zustimmend war. Ganz am Anfang brauchten wir ein HDMI-Kabel. Er hob nur den Finger und blitzbefahl einem der bulligen Männern: “HDMI!” Der bullige Mann zuckte zusammen und marschierte los.

Wir waren uns nachher einig, dass unser Auftritt nicht sehr überzeugend gewesen sein muss. Es beruhigte uns einigermaßen, den Auftrag nicht zu bekommen.

[meine Lieblingsfarbe ist blau]

Meine Lieblingsfarbe ist blau. Oder auch rot. Und schwarz. Aber schwarz ist ja keine Farbe. Ich habe keine Affinität zu Autos. Mit 39 habe ich den Führerschein gemacht und mir ein kleines Auto gekauft. Ich fahre gerne damit. Affinität dazu habe ich aber immer noch nicht. Ich bin auch schon große und dicke Autos gefahren. Mit diesem Gefühl einen fetten Motor unter mit zu haben, konnte ich nicht viel anfangen. Ich liebe Fußball und gehe gerne ins Stadion. Ich liebe Bier. Ich liebe Bier wirklich. Und ich trainiere meine Muskeln weil ich es sehr mag wenn ich meine Oberarme im Spiegel sehe. Außerdem bin ich gerne stark. Ich kann über meine Gefühle reden. Ich habe mehr Freundinnen als Freunde. Ich kann nicht gut bohren, mache es aber sehr gerne, auch weil meine Frau es nicht so gerne macht. Sie kann es aber besser. Überhaupt mache ich gerne grobe Dinge, Bretter anschrauben, Gegenstände befestigen. Es sieht nur nie gut aus. Mich langweilen Actionszenen in Filmen, ich sitze gerne irgendwo um einfach mit jemandem zu reden, ich lächle gerne und bin gerne freundlich. Ich liebe doggystyle. Ich bin zu dick. Manchmal finde ich mich zu dick, manchmal ist es mir egal, manchmal finde ich mich aber auch sehr heiß. Wobei. Ich finde mich öfter heiß als zu dick. Manchmal erschrecke ich dann wenn ich mich im Schaufenster sehe. Apropos Schaufenster, ich gehe gerne shoppen. Kleidung und Technik. Aber auch andere Dinge. Vasen und Geschirr nicht so. Aber Küchen, ich liebe alles was mit Küchen zu tun hat. Ich flirte gerne. Ich kann Männern Komplimente machen. Ich bin gut darin andere Leute zu organisieren. Ich mag Menschen. Ich mag Nähe. Neige aber auch zu Einsiedelei. Mir ist es bewusst wie sehr es mir im Leben geholfen hat ein Mann zu sein. Ich mache Platz wenn ich jemandem im Weg stehe, finde es aber dämlich einer Frau meinen Sitzplatz anzubieten nur weil sie eine Frau ist. Ich liebe Frauen die derbe Witze machen. Ist aber kein Muss. Ich sauge Staub und wische die Böden. Ich koche meistens, ich kümmere mich meistens um den Einkauf.
Ich mache Sachen. Nicht weil ich ein Mann bin.
(Dank an Isa)
(Ich finde Weltfrauentag aber eine super Sache)

[gendern]

Ich werde ab sofort immer die weibliche Form verwenden. Wenn ich von Polizistinnen rede, dann meine ich das, was wir üblicherweise unter Polizisten verstehen. Das selbe gilt für Kolleginnen, Autofahrerinnen, etc.

Warum? Weil Sprache mächtig ist. Und weil ich das lustig finde. Weil es uns dazu zwingt, anerzogene Bilder und anerzogene Geschlechterrollen auch in der Sprache zu hinterfragen.

Ihr kennt vielleicht folgenden Satz:

Zwei Fussballer sitzen in der Kabine und reden über ihre Regelschmerzen.

Die üblichen Arten zu gendern haben sich für mich nie richtig angefühlt, das Binnen-I oder Doppelpunkte sind mir zu angestrengt und das doppelte Aufführen der Geschlechter, also von Fußballerinnen und Fußballern zu reden, finde ich ungelenk und etwas dröge. Aus Sicht der Inklusion ist Doppelpunkt oder Genderstern durchaus ein valider Punkt, aber das ist mir too much, wir sollten die deutsche Sprache eher vereinfachen, als sie syntaktisch zu verkomplizieren, also langfristig lieber die Bezüge zum Geschlecht abschaffen.

Sonderzeichen sieht man im Textbild schon kommen, sie kündigen sich an.  Das weibliche Generikum sieht man hingegen nicht kommen, man zieht es sich hinein und patzbumm, hat man schon geschlechtliche Stereotypen vor Augen.

Ich sehe das auch nicht als die finale Lösung. Ich finde aber, wir sollten das generische Femininum jetzt einführen und zehn Jahre lang verwenden, bis auch die letzte Deutsche verstanden hat, dass das generische Maskulinum einfach kacke ist.

Und in zehn Jahren finden wir vielleicht eine gute Lösung für ein geschlechtsneutrales deutsch.

[rumgeweltmeistere]

Länderspiele sind mir ja ohnehin ein Graus. Ich mag dieses Leistungsmessen der Nationen nicht. Erst recht nicht innerhalb Europa, aber auch sonst nicht. Dieses sich Zurückziehen auf Reisepässe und Staatsgrenzen und gegen andere Reisepässe antreten um so etwas wie Kulturhoheiten zu vertreten. Ich fand Weltmeisterschaften und Europameisterschaften immer eher Trennend. Dass Fußball laut Fifa-Marketing die Nationen verbinden soll, halte ich für eine falsche Annahme.

Mal nachgefragt: wie vielen Fans der deutschen Mannschaft ist Mexiko seit der Niederlage von letzter Woche ein interessanteres oder begehrenswerteres Land geworden? Oder wie viele Schweden denken seit der Niederlage gegen die deutsche Mannschaft: boah, tolles Land, wie die uns da in der letzten Minute abgeschossen haben, ich will jetzt einen deutschen Reisepass beantragen und Goethe lesen.

Was alles noch schlimmer macht: wo gerade alle Länder unabhängig werden wollen und sich zurückziehen wollen in ihre heile Welt der Traditionen und Pflege von irgendwelchem erdachten und religiös angebetenem Kulturgutscheiß, tanzen Spieler in der Kabine dann zu Rechtsrock oder stellen sich in militärischen Posen vor die gegnerische Tribüne.

Nichts gegen Kulturgutscheiß. Sollen alle ihren Kulturgutscheiß pflegen.

Was ich in diesem Sommer allerdings noch verstärkt beobachte ist, wie die deutsche Nationalmannschaft als Identifikation nicht mehr so funktioniert wie früher. Mein privates Umfeld ist sehr international geprägt. Neben Deutschen habe ich einen intensiven Umgang mit Kroaten, Italienern, Türken, Polen, Engländern, Bosniern, Schweden und Niederländern. Oh Australier und Russen sind auch dabei.
Vor vier Jahren und auch in den Jahren davor gab es irgendwie immer eine grundsätzliche Zustimmung. Unter allen Leuten die ich kannte. Die meisten waren sogar Fans und fieberten richtig mit.
Deutschland hat nun nicht das liebenswürdige Image draußen in der Welt. Ja, man achtet deutsche Autos und achtet die Wirtschaft, aber Liebe ist das deswegen nicht. Es ist immer etwas schwierig mit Deutschland. Deswegen hatte mich das schon gefreut, dass die vielen Internationalen Deutschen plötzlich mit der deutschen Nationalmannschaft mitfieberten. Meine Interpretation dessen war, dass Deutschland zunehmend ein Land wurde, das versuchte Gutes zu tun. Also ein Land das freundschaftlich wurde, das nach vorne schaut, das sich mental öffnet.
Das hat sich seit wenigen Jahren geändert. Es wird wieder infrage gestellt was deutsch ist, man redet wieder mehr von Deutsch-Türken, es ist wieder ein ihr und ein wir.
Mit der deutschen Mannschaft mitfiebern tun nur noch Deutsche, die mindestens seit sechs Generationen deutsches Blut weitervererbt haben. Zumindest vom Gefühl her. Und selbst da nur jene Deutsche die vermutlich sechs weitere Generationen… ihr wisst schon.

Ich frage mich ob die Leute der AfD, oder Menschen mit starken nationalen Gefühlen eigentlich mitbekommen, wie sehr sich Menschen von dieser nationalen Idee abwenden, je stärker sie proklamiert wird.
Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es fast schon wieder lustig.