[autofahrschwierigkeiten]

Nun war nach meiner Rückkehr aus den USA mein Auto abgeschleppt. Anfangs fühlte sich das sehr erwachsen an, hey, das erste Mal mein Auto abgeschleppt, das war fast so gut wie das erste Mal in die Werkstatt zu fahren. In meiner Straße sollten Bäume gepflanzt werden und ich hatte natürlich die Schilder nicht gesehen.

Auf der Wache sagte man mir, nach Vorlage meines Ausweises, dass man das Auto in der Gartenstraße abgestellt habe, im Weddinger Teil, also im Brunnenviertel, das sei so üblich, weil da immer Parkplätze frei wären und es keine Parkraumbewirtschaftung gäbe. Schön, super Idee, ich mag das immer, wenn Leute gute Ideeen haben. Ich war extra zu Fuß gekommen um flexibel zu sein, in die Gartenstraße, das war höchstens ein halbstündiger Fußmarsch, das war okay.

Ich hatte mich bereits auf Probleme mit dem Auto eingestellt, da ich es schon einige Monate lang nicht mehr gefahren hatte und der Wagen hatte mir schon einige male schmerzlich vorgeführt, dass der Akku nicht mehr der Jüngste ist. Und natürlich: ich so ins Auto gesetzt, Schlüssel umgedreht und nichts.

Drei mal ist mir das schon passiert. Üblicherweise ist das kein Problem. In der Straße in der ich wohne gibt es so viele Menschen, dass sich innerhalb weniger Minuten jemand findet, der mir Starthilfe leistet. Diesmal war ich aber in der Gartenstraße im Brunnenviertel, das ist dieser Teil Westberlins, der auf drei Seiten ummauert war und auf der vierten Seite von den Ringbahn Gleisen abgetrennt wird. Um die Leute von damals vor dem Wegzug zu hindern hat man die alten kaputten Häuser durch neue Betonparadiese ersetzt. So sieht es da jetzt aus, also weniger Paradies aber desto mehr Betong. Und es ist da tot. Die wenigen Autos auf der Straße waren vom Herbstlaub bedeckt, gegenüber läuft der Bahndamm der ehemaligen Nordbahn, zu Mauerzeiten als Grenzmauer umfunktioniert, ich stieg aus, schaute mich um, ob ich einen Helfer erblicken könne, aber nein, es gab niemanden. Es fuhren nicht wenige Autos, Taxis vor allem, es ist die Schleichroute nach Tegel, aber Autos heranzuwinken ist sozusagen nicht mein Stil, ich war auch unrasiert, ich sah sehr nach Samstagmorgen aus und hätte ich so einen Typen wie mich im Brunnenviertel neben der Straße winken sehen, hätte ich vermutlich aufs Gaspedal gedrückt. Ich beschloss zu warten, ich lehnte mich ans Auto und schaute auf das Handy, las Facebook, las Nachrichten, irgendeine Eingebung würde mir schon vom Himmel fallen.
Dann rief ich meine Frau an, die zuhause lag und ein wenig kränkelte, um meine Situation zu schildern, dass es nun eben ein bisschen dauern würde, sie solle sich nicht sorgen. Ich hatte nichts besonderes vor, außer einer lose Verabredung Fußball zu gucken, es war eben noch Vormittag, ich hatte viel Zeit.

Als mir nichts vom Himmel fiel beschloss ich den ADAC anzurufen. Das macht man doch so oder? Das Auto hat ein Problem und dann ruft man den ADAC an, ist das nicht so ein Lobbyverband für Autofahrer, sowas wie Fielmann für Brillenträger, Leute mit Lösungen? Beim ADAC hatte man tatsächlich eine Lösung, man würde mir jemanden schicken, ich wollte vorher aber wissen, wieviel das kostete, ich sei kein Mitglied, sondern suche nur nach einer Lösung. Man sagte mir, das sei kostenlos. Das fand ich super. Wie bei Fielmann eben. Ich wartete also auf den Rückruf.
In der Zwischenzeit lernte ich einen jungen, bulligen Mann in Trainigshose kennen. Er führte seinen großen Hund spazieren. Ich fragte ihn, ob er mir Starthilfe geben könne. Zur Sicherheit sagte ich im dritten Satz “Schöner Hund”. Er wurde sofort freundlich. Leider konnte er mir nicht helfen, er hatte keinen Führerschein mehr.

Eine halbe Stunde später rief mich der ADAC zurück. Man wollte wissen wo ich stand, ich nannte Straße und Hausnummer, fragte aber zur Sicherheit noch einmal nach dem Preis. Dieser Herr nannte mir jetzt 135€. Das ist ungefähr das 135-fache von kostenlos. (OK, Rechnung stimmt nicht). Das lehnte ich natürlich ab. Der ADAC-Mensch empfahl mir eine Taxe heranzuwinken, die hätten immer Startkabel dabei und würden immer helfen. Gute Idee dachte ich, ich legte auf und lief in das Viertel hinein auf der Suche nach einer Geldautomaten. Ich begegnete wieder dem jungen Mann mit dem Hund, der mir sagte, der nächste Automat befände sich am Nordbahnhof. Nordbahnhof, seufzte ich. Ein halber Kilometer südwärts.

Am Nordbahnhof bekam ich dann Geld. Ich dachte ich winke mir dort ein Taxi heran, das mich bis zum Auto bringt und dann Starthilfe gibt. Ich winkte unterwegs, es kam allerdings kein freies Taxi bis ich wieder am Auto stand. Also rief ich den Taxifunk per Telefon an, die mir ein Taxi zum Starthilfegeben schickten. Das ist tatsächlich ein Service, den Taxifahrer so geben. Kostet 15 Euro, ist billiger als der ADAC.
Mein Taxifahrer war ein Hertha-Fan, beim Abschied wünschten wir uns ein gutes Auswärstsspiel gegen Schalke, ich stieg dann in mein Auto mit dem nun laufenden Motor, wollte losfahren und würgte die Kiste ab. Tot. Und natürlich sprang es wieder nicht an. Ich konnte den Taxifahrer noch im Rückspiegel sehen, ich sprang aus meinem Auto und winkte ein bisschen wild. Das Taxi bremste und kam zurück. Er fand das schon lustig, ich sagte, ich sei kein sehr guter Autofahrer. Nachdem er den Motor wieder zum Laufen gebracht hatte, bat ich ihn kurz bei mir zu bleiben, bis ich losgefahren sei. Er sagte: immer feste Gas geben beim Anfahren. Das funktionierte.

Ich wusste aus den vorigen Erfahrungen, dass man ein bisschen fahren muss, um die Batterie aufzuladen. Am besten auf die Autobahn rauf und eine Stunde ordentlich fahren. Ich hatte aber Angst auf dem Weg zur Autobahn zu versagen, ich hatte Angst, auf einer großen Straße an einer Ampel den Motor abzuwürgen und mich plötzlich mitten in einer hupenden, bösen Welt wiederzufinden. Also bog ich in das Brunnenviertel hinein und fuhr um zwei oder drei Blocks. Ich fuhr immer im ersten Gang, 50 Km/h, ich fuhr völlig obertourig, das muss sich furchtbar angehört haben, aber nur so würde ich die Batterie aufgeladen bekommen. Dann gelangte ich in die Ackerstraße in eine Sackgasse, kurz vor Ende links stand eine sehr alte Frau bei einer Art Einfahrt, ich glaube, das muss ein Altersheim gewesen sein, ich fuhr in diese Einfahrt ein um zu drehen. Diese sehr alte Frau lehnte über einen Rollstuhl. Sie stand nur da, schaute mich mit einer schwer einzuschätzenden Miene an und lehnte über diesen Rollstuhl. Ich wollte den Rückgang einlegen und (Kunstpause) würgte den Motor ab.

Dummerweise stand ich jetzt ungünstig und quer in einer Auffahrt zu einem Altersheim, ich möchte mir nicht ausmalen, wie böse die Welt geworden wäre, wenn die Feuerwehr zum Altersheim hätten gelangen müssen.

Routiniert wie ich war, rief ich also wieder den Taxifunk an. Man versprach mir ein Taxi binnen zehn Minuten. In diesen zehn Minuten stand ich beim Wagen und schaute auf mein Handy. Die sehr alte Frau schaute ganze zehn Minuten lang mich an. Mir war nicht wohl. Der Taxifahrer, der diesmal kam, war ein BVB Fan. Nachdem er mir geholfen hatte, bat ich ihn, kurz stehenzubleiben und mir beim Starten zuzusehen, ich sei ein schlechter Autofahrer und eventuell würde ich den Wagen wieder abwürgen. Er fand das amüsant. Diesmal drückte ich ordentlich aufs Gas und alles lief gut. Nun fuhr ich zwanzig mal um zwei Häuserblocks herum. 50 Km/h im ersten Gang. Vielleicht fuhr ich auch dreißig mal. Als ich ein gutes Gefühl hatte, traute ich mich hinunter auf die Bernauer Straße und fuhr heim. Vor meinem Haus saß ich noch eine Weile mit laufendem Motor und schaute auf mein Handy.
Echt jetzt. Smartphones. Wohin hat man früher eigentlich geschaut?

6 Kommentare

  1. Ganz, ganz toll, diese Geschichte. Das deutschsprachige Internet ist doch gar nicht so scheiße, wenn man weiß, wo man gucken muss.

    Die einzige Frage, die mich nun umtreibt, ist ob Uber auch Starthilfe leistet? Und ob das güntiger oder teurer als beim Taxiruf wäre?

  2. Nächstes mal rufe ich Uber. Man muss ja wissen, was auf dem Markt ist.

  3. Ja, ich weiß. Mindestens eins meiner alten Autos brauchte seinerzeit auch einmal eine neue Batterie. Die Starthilfekabel kamen aber auch bei fast jedem Auto mal zum Einsatz. Bei meinem jetztigen habe ich im kalten Winter vor zwei Jahren nach einem Eisregen mit anschließendem Schnee mal sehr lange die Scheiben freikratzen müssen und dummerweise vergessen, innen die Lüftung und das Radio auszumachen. Sollten Sie auch immer ausschalten, wenn Sie mit dem Auto herumkurven, um die Batterie nach einer solchen Starthilfe wieder etwas zu laden. Blöd ist es halt im Dunkeln.

  4. Sehr geil! Ich hoffe, ich behalte mir den Tipp mit dem Taxi, falls ich mal wieder wegen leerer Batterie liegen bleiben sollte.
    Und früher… hat man auf Fußgänger gekuckt, oder besoffene Radfahrer, sowas, oder auf den Dreck im Innenraum und sich gefragt, woher der schon wieder kommt.

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