Fussball

Jeder fünfte Kunde den ich heute am Telefon hatte, sagte am Ende sowas wie:
“Nun, aufwiederhören dann und hoffentlich gewinnen Sie heute abend nicht, haha”
“Wie meinen Sie?”
“Nunja, heute spielt ja Deutschland gegen Holland”
“Achso. Das interessiert mich wenig”
“Aber Sie sind ja Holländer”
“Nein bin ich nicht”
“Tut mir leid, Sie klingen so holländisch”

Nach dem zehnten Kunden der so zu mir sprach, kochte ich und ich war kurz davor, meine Beherrschung zu verlieren.
Meine Kunden konnten schliesslich nicht wissen, dass ich in meiner Kindheit ein derart grandioses Mittelfeldliniensupertor geschossen habe, dass Fussball daraufhin, für mich, an Wert verloren hat.
Meine Kunden haben mich nicht gesehen, wie ich an jenem Tag als neunjähriger Knirps auf dem überwucherten Fussballplatz stand. Ich spielte im Mittelfeld, war der jüngste von allen, nicht besonders schnell, aber ich war immer schon sehr stark in den Beinen. Es spielte Corvara gegen La Villa, die Nachbardörfer, Fussballklasse Jugend X oder irgendwas, und ich hatte es aus einem mir heute unerklärlichen Grund in die Dorfmannschaft geschafft. Ich sah den Ball schon von Weitem auf mich zurollen. Pepi, der weiter vorne stand hatte den Ball falsch zu packen bekommen, und so rollte dieser, nicht besonders schnell, auf mich zu.
Ich war eben nur ein kleiner Junge, unmündig genug, nicht auf die Idee zu kommen, selbst ein Tor zu schiessen, sondern den Ball immer brav den Grossen zuzuspielen. Die Grossen die das konnten, die Grossen die solche Tore schossen, dass die Mädchen auf der Tribüne ohnmächtig wurden.
Als der Ball damals auf mich zurollte stand aber weit und breit niemand bei dem es sinnvoll gewesen wäre, ihm den Ball zuzuspielen. Vor mir war alles voll, und alle Leute denen ich normalerweise brav den Ball zuspielte, waren von der Gegenmannschaft gedeckt. Zurückstossen fand ich fad, überdies standen dort ohnehin nur die paar Flaschen von der Verteidigung, die würden mit dem Ball nichts sinnvolleres zustande bekommen als ich selbst.
Und so kam der Ball in Zeitlupe auf mich zu, und ich entschloss mich dazu, etwas waghalsiges zu tun: den Ball selbst ins Tor zu schiessen.
Ich strich mir das Haar nach hinten, um die Luft besser zu schneiden und lief dem Ball entgegen. Schnell musste ich sein und viel Kraft musste ich sammeln und den Ball einfach geradeaus nach vorne schiessen. So lief ich in Zeitlupe auf das Leder zu. Linkes Bein, rechtes Bein und der Ball kam mir absolut perfekt in den Lauf, ich stiess meinen rechten Fuss nach vorne und hob den Ball hoch in die Luft hinauf, er gewann genau die richtige Höhe, schoss wie ein Projektil von mir ab, über die Köpfe aller weiteren Fussballer hinweg, während ich heldenhaft mit meinem rechten Bein erhoben, noch in der Luft verharrte und dem Ball hinterherschaute.
Alle Spieler auf dem Feld starrten mit offenen Mündern dem Ball nach, unerreichbar für Jeden. Fassungslos griffen sich einige ins eigene Haar. Stunden später erreichte der Ball den Strafraum und auch für die letzten Verteidigungspieler war der Ball zu hoch. Es gab nur noch den Torwart, der noch retten konnte, was es zu retten gab. Aber der Schuss war ein Mörderprojektil geworden, auch für einen Torwart, der langsam und konzentriert den Abstand des Balles abschätzte, und dann aufmerksam aufsprang, die Arme streckte, den Ball um ganze zehn Zentimeter verfehlte um dann all den Anwesenden den grandiosen Anblick geben zu müssen wie der Ball in das Netz donnerte. Das Publikum toste. Die Mädchen wurden ohnmächtig.
Es war ein 1:0 und dieser Stand hielt sich bis zum Ende des Spieles. Man nannte mich drei Wochen lang “Bomba”. Es gab in diesen paar Wochen keinen cooleren auf der Schule.

Es braucht also niemanden zu wundern, wenn ich mich heutzutage nicht mehr für Fussball interessiere. Alles was ich danach sah, war amateuristisches Ballspiel.
Auch wenn sich heute niemand mehr an jenes grossartigste Tor der Gadertaler Geschichte erinnert.