7 April Mittwoch/Wednesday

Zurück zu den Lebenden. Ich kann jetzt von ekligen Details berichten, wie gestern früh meine Eiterbeule am Steißbein von selbst geplatzt war, aber ich beschränke mich lieber auf die Vorgänge im Krankenhaus. Ich bin da ja nicht oft, deshalb kann ich untraumatisiert darüber berichten. Dort angekommen wurde mir mitgeteilt, mich auszuziehen und auf ein Bett da drüben zu legen, den Zettel über Narkosen durchzulesen und zu unterschreiben, dann würde der Anästhesist kommen und mich einschläfern. An diesem Punkt ging Julietta weg, die mich die ganze Zeit begleitet hatte. Sie würde mich nach der OP mit dem Auto abholen. Während dem Lesen jenes Zettels schlief ich jedoch ein, so müde war ich von der letzten Nacht, in der ich wegen des Schmerzes kaum ein Auge zugedrückt hatte. Fünf Stunden später erwachte ich wieder, mit dem Zettel in der Hand, füllte ihn weiter aus und rief dann die Krankenschwester. Irgendwie hatten die mich wohl vergessen, denn danach ging alles schnell. Ich wurde in den OP-Raum geschoben und die Anästhesistin mit Fragen beworfen:

A: Rauchen Sie?
M: Ja.
A: Natürlich, Sie wohnen ja in der XXXXXXXXstrasse. Da raucht jeder.
M: Oh?
A: Dann nehmen Sie auch Drogen.
M: Nein.
A: Natürlich. Kommen Sie, Sie müssen mir schon die Wahrheit sagen.
M: Ich nehme keine Drogen.
A: Aber früher schon?
M: Ja, früher schon.
A: Na, sehen Sie. Welche Drogen waren das?
M: Alle.
A: Na, sehen Sie.
M: Sind sie diejenige, die mich am Arsch aufschlitzt?
A: Nein. Ich bin diejenige, die Ihnen das Gift verabreicht. (Satanisches Grinsen.)
M: Wer wird mich dann aufschlitzen?
A: Der kommt gleich. Wo kommen Sie eigentlich her? Sie haben einen merkwürdigen Akzent.
M: Südtirol.
A: Ach wie schön, ich fahre jedes Jahr nach St.Christina. Aber ihr Akzent klingt irgendwie anders. Ich kenne die Leute da.
M: Ich habe einige Jahre in Holland gewohnt.
A: Ah Holland. Haschisch.
M: Nein. Holland. Käse.
(Sie stach mir einen Schlauch in die Hand und verband das mit einer Flasche, die über mir hing.)
M: Was ist das?
A: Wasser.
M: Aha (ich bin sehr gutgläubig), wofür?
A: Sie sind etwas ausgetrocknet.
(Dann hielt sie mir eine Maske mit komisch riechender Luft über dem Gesicht.)
M: Das ist Ether? Damit ich einschlafe, oder? Das hab ich im Fernsehen gesehen.
A: Nein, das ist D. (irgendein Wort mit D), wirkt besser.
(Dann ging die Tür auf und der Chirurg kam rein.)
A: Das ist der Typ, der Sie aufschlitzen wird.
M: Oh, der sieht sehr vertrauenswürdig aus.
A: Ja, es gibt keinen in der Stadt, der so gut aufschlitzt.
M: Hmm.

Ich glaube, mit dem ‚Hmm‘ wollte ich eigentlich was sagen, aber da trat ich weg. Anästhesisten sind gefährliche Leute, glaube ich. Die sollte man nicht frei rumlaufen lassen.
Kurz danach fand ich mich in einem anderen Raum wieder. Ich blickte auf und sah drei weitere Betten mit Leuten drauf. Ich hatte Durst, also stand ich auf und wollte mir was zu trinken besorgen. Ungefähr gleichzeitig geschahen dann zwei Dinge: Erst sprang ein Typ, den ich gleich als Krankenpfleger identifizierte, zu mir herüber und meinte „Hey, was machen Sie da?“, und in dem Moment merkte ich, dass mein Körper mit Kabeln und Schläuchen verbunden war. Weit wäre ich eh nicht gekommen. Ich war überraschend schnell wach geworden. „Ich habe Durst“ sagte ich. Der Pfleger holte mir ein Glas Wasser. „Wann werde ich eigentlich operiert?“ wollte ich wissen. „Das haben Sie schon hinter sich“. Ich war verblüfft. Der Schlaf kam mir vor, als ob er nur eine Minute gedauert hätte. Ich fühlte an meinem Hintern und merkte, dass ich eine Art Windel trug. „Also, kann ich nun gehen oder?“ „Nein, das geht nicht, Sie müssen noch drei Stunden hier bleiben“ „Drei Stunden? Das schaff ich nicht. Ich will eine Pizza. Ich kann nicht mehr liegen.“ „Es tut mir leid. Legen Sie sich noch etwas hin.“ „OK, können Sie mir etwas zu lesen geben, ich kann hier nicht einfach so liegen“. Der Pfleger ging weg und kam kurz darauf mit einem Bayern-Urlaubsprospekt zurück. Ich nahm das Prospekt dankend an und vertiefte mich darin. Ich kann mich an kein Wort mehr erinnern, das darin vorkam. Erst zuhause fiel mir das Bayern-Prospekt wieder ein. Ein Bayern-Prospekt. Der Pfleger hatte mich sicherlich verarscht. Wahrscheinlich kennt er die mentale Verfassung seiner Narkosepatienten.

Nachdem ich das aber alles durchgelesen hatte, wurde ich wieder ungeduldig und verhandelte mit dem Pfleger, dass ich schon eine Stunde früher nach Hause dürfe. Und dann kam der türkische Bettenschieber plötzlich (vielleicht befand ich mich wirklich im Halbschlaf, weil immer alles so plötzlich geschah) und schob mich durch das halbe Krankenhaus. Wir unterhielten uns blendend über unser Leben und über Nachtschichten, dann trafen wir noch seine ganze Familie in irgendeinem Gang, einen ganzen Haufen türkischer Kinder und Frauen im Kopftuch. Ich fragte nicht, warum die hier wären, mir kam das ganz normal vor. Dann kam ich zurück in das Zimmer, in dem ich ganz am Anfang war. Da bekam ich meine Sachen wieder und durfte mich anziehen. Also stand ich da, voll angezogen und bereit zu gehen, jedoch musste ich noch eine Stunde warten. Julietta war schon informiert. Ich nervte die anwesenden Pfleger mit meiner Ungeduld, und einer gab mir einige Cents und zeigte mir den Raucherraum, wo ich mir bei eventuell anwesenden Rauchern eine Zigarette kaufen konnte. Und tatsächlich saßen dort etwas runtergekommene Patienten am Rauchertisch, gaben mir eine Zigarette und dann war ich glücklich. Um zehn kam dann Julietta, ich kam nach Hause und konnte endlich Pizza bestellen.

(2) mentale vorbereitung / mental preparation

Der Schmerzt der Entzuendung schwillt von Minute zu Minute an. Ich kann kaum noch laufen, und bücken sowieso nicht. Witzigerweise kann ich sitzen. Wenn vornuebergebeugt.
Morgen um 13:45 in den OP-Saal. Vollnarkose und einen zehn Zentimeter langen Schnitt in den Arsch. Danach tagelang auf dem Bauch herumliegen.

5 April montag/Monday

Nun, mein geplanter Tagesablauf für die nächsten zwei Wochen ist jetzt etwas durcheinander gekommen. Wie gestern schon geschrieben, ist mein Steißbein entzündet und ich habe daher beschlossen, heute Morgen zum Arzt zu gehen. Es war mir sehr unangenehm, muss ich sagen. Wie ich vornübergebeugt mit heruntergelassenen Hosen eine Ärztin in der Anusgegend herumfummeln lasse. Ich war bei Doktorspielen immer schon lieber der Arzt. Heute früh rief ich jedenfalls erst auf der Arbeit an und sagte, dass ich mich verspäten würde, weil ich ein entzündetes Steißbein hätte und ich nicht sitzen könne und deshalb schnell zum Arzt wolle, der mir den Eiter herausziehen würde. Sie könnten aber mit mir rechnen, heute Nachmittag. Nun stellte mich die Hausärztin zu deren Hauschirurgen durch und der schrieb mir gleich eine Einweisung ins Altonaer Krankenhaus zur Operation. Nur müsste ich einen nüchternen Magen haben, weil sie mich in Vollnarkose versetzen würden, und dann schrieb er mich gleich bis zum 19. April krank, weil ich ein zehn Zentimeter langes Loch in meinem Arsch haben würde. Oh, aber ich will doch nur einen Stich in die Beule, damit ich wieder sitzen kann, und am Wochenende kommt meine Schwester. Und Vollnarkose, was soll das? Da kann ich doch vielleicht nicht mehr aufwachen. Aber er duldete keinen Kommentar.