Seit einigen Tagen verwende ich für die Arbeit am Roman ein Programm namens Focuswriter. Das ist ein simples Schreibprogramm, das den kompletten Desktop überlagert und erstmal nur aussieht wie ein weisses, digitales Blatt Papier. Zuerst fand ich das etwas unterkomplex. Natürlich ist es hilfreich, wenn man während der Textarbeit Ablenkungen vermeidet, das wissen wir alle. Für ein Programm, das beansprucht, mich fokussiert zu halten, fand ich das dennoch etwas wenig. Erst nach etwas Rumprobieren zeigten sich mir ein paar ganz besondere Features:
- Die Einstellung von Tageszielen mit entsprechendem Tracking
- Dass man sich Tagesziele nach Zeit, Wortzahl oder definierter Seitenanzahl setzen kann
- Ein Wecker
- Dass man mit der Maus am Bildrand sich dennoch ein paar Infos rausziehen kann zB Uhrzeit, Arbeitspensum und natürlich das Menü
- Der Hintergrund.
Ich kann es gar nicht fassen, wie wichtig mir der Hintergrund ist. Das war mir gar nicht klar. Als Hintergrund stellte ich mir vorübergehend ein ziemlich düsteres Bild unseres Waldhäuschens in Schweden ein. Die Nachbarin, die 2 km flussaufwärts wohnt, schoss das Foto Ende November für mich. Das Haus, verlassen, winterfest gemacht in einer menschenleeren Gegend. Die Laubbäume ragen blattlos wie Adern in den unheilvoll grauen Himmel. Die Wiese vor dem Haus ist braun von den gefallenen Blättern der grossen Linde. Sie faulen. Bald werden sie vom Schnee bedeckt. Bald kommt der Winter. Vielleicht morgen schon. Vielleicht dauert es aber noch. Die Tage sind schon kurz, die Sonne kommt nur noch kurz über den Horizont.
Das Foto wird in Focuswriter hochskaliert. Ich sehe nur einen kleinen Teil des Hauses. Ich sehe den grauen Himmel und die entblätterten Bäume. In der Mitte über das Haus legt sich der Text, an dem ich schreibe.
Ruhe.
Das Bild gibt mir Ruhe. Das wusste ich nicht. Wäre das Bild im Sommer geschossen, wenn die Sonne scheint und alles grün ist, bekäme ich kein Wort geschrieben. Sonne, grün, Licht, Farben. Hölle. Alles Aufregung. So schaue ich auf das Blatt mit dem Text. Links und rechts blattlose Bäume. Grau, Weiss, Schwarz. Das Jahr legt sich langsam hin, bis die Dunkelheit kommt.
Ein Nebel legt sich über mich.
Der Text fliesst dann ganz von alleine.
Dazu fallen mir die Bewohner von Longyearbyen ein, die sagen, dass sie das Leben in der Polarnacht dem Leben mit der Mitternachtssonne vorziehen. Ein bisschen zumindest. Wenn nämlich die Sonne vier Monate lang durchgehend scheint, hat man immer das Gefühl, es sei was los. Energie. Licht, Farben, Hölle.
Vor einigen Jahren las ich auf Socialmedia einen Post von einem Mann, der über einen einst tauben Menschen schrieb, der im Erwachsenenalter Gehör erlangte. Diese Person sagte, die grösste Überraschung für sie sei es gewesen, dass die Sonne kein Geräusch macht. Sie hatte eine Art Brummen erwartet. Diese Überraschung konnte ich mir richtig gut vorstellen. Jahrzehntelang begleitet dich diese leuchtende Kugel am Himmel, sie macht hell und dunkel sowie Wärme und Kälte. Diese Energie. Und dann macht sie nicht mal ein Geräusch.
Damit kommen wir zum nächsten Punkt. Die Sonne macht tatsächlich einen ungemeinen Krach. Wir können sie nur nicht hören, weil es zwischen ihr und dem Planeten, auf dem wir wohnen, keine Luft gibt und damit auch keine Schallwellen übertragen werden können. Würden wir die Sonne hören können, dann würde sie klingen, als würde sie brüllen. Ein dumpfes Brüllen. Bei 100 Dezibel. Hundert Dezibel ist die Lautstärke in Clubs, man könnte sich also nicht mehr unterhalten. Ab 110 fängt die Schmerzgrenze an.
Würde in einem solchen Szenario plötzlich die Sonne erlöschen, würden es noch 14 Jahre dauern, bis die letzten Schallwellen die Erde erreicht haben. Wir würden also 14 Jahre lang auf einem finsteren, vereisten Planeten verbringen, während uns 14 Jahre lang eine gestorbene Sonne mit hundert Dezibel anbrüllt.
Glücklicherweise würden wir ohne Sonne aber in wenigen Tagen erfrieren. Aber die Sonne geht ja auch nicht einfach so aus. Sie würde zu einer Supernova explodieren. Von der Kälte würden wir deswegen gar nichts mitbekommen.
Morgen früh fahren wir jedenfalls nach Schweden. Ich freue mich sehr und bin gespannt, wie das Haus den Winter überstanden hat.
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Mal wieder ein toller Beitrag. Dann eine gute Fahrt und ich bin gespannt, wie es weitergeht.